Israel und Hamas einigen sich auf „erste Phase“ des Trump-Plans: Was nun?

11.10.2025, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Anas Mohammed/shutterstock.com

Unter dem enormen Druck der arabischen Regime und den Drohungen Trumps hat die Hamas eine Einigung mit Israel über die „erste Phase“ des ultra-kolonialistischen „Friedensplans“ Trumps bekannt gegeben.

Mehr als zwei Jahre nach Beginn der Völkermordoperationen der israelischen Armee im Gazastreifen haben die Hamas und die israelische Armee am frühen Donnerstagmorgen ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, das der ersten Phase des vom Weißen Haus entworfenen Fahrplans entspricht.

Die Bilder vom Mittwochabend zeigen jubelnde Menschen in den zerstörten Straßen von Gaza nach der Ankündigung eines teilweisen Waffenstillstands. Sie haben die Herzen all jener erwärmt, die mit unendlicher Traurigkeit die schrecklichen Entwicklungen verfolgen, die seit mehr als zwei Jahren den Alltag im Gazastreifen und prägen. Aber diese Szenen können das Ausmaß der Katastrophe der letzten zwei Jahre nicht vergessen machen. Schlimmer noch, die sich abzeichnende „friedliche Lösung” verspricht schrecklich zu werden, noch katastrophaler als der bereits verhängnisvolle Rahmen, der durch die Osloer Abkommen von 1993 geschaffen wurde.

Auf dem Weg zu einem dauerhaften Waffenstillstand in Gaza?

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurde das Eintreten der ersten Phase des Abkommens in Anwesenheit des katarischen Premierministers Mohammed Ben Abderrahmane Al Thani, des türkischen Geheimdienstchefs Ibrahim Kalin, des Nahost-Sonderbeauftragten des Weißen Hauses, Steve Witkoff, und Jared Kurshners, dem Schwiegersohn von Trump, bestätigt. Dieses sieht eine vorübergehende Einstellung der Massaker der israelischen Streitkräfte mit der Ankündigung eines teilweisen Waffenstillstands, einen schrittweisen Rückzug der israelischen Streitkräfte auf eine festgelegte Linie im Gazastreifen und einen Austausch von Gefangenen vor.

Mit dem Versprechen, alle Geiseln freizulassen, hat die Hamas die sehr riskante Entscheidung getroffen, ihr einziges Druckmittel aufzugeben. Ihre Führung begrüßte eine Vereinbarung, die „das Ende des Krieges im Gazastreifen, den Rückzug der Besatzungstruppen, die Einfuhr von Hilfe und einen Gefangenenaustausch” nach einem genauen Zeitplan ermöglichen würde. Am Freitagmorgen zeigen erste Bilder, dass die israelische Armee einen Teil ihrer Streitkräfte von der Frontlinie abgezogen und ihre Einheiten an die „gelbe Linie” verlegt hat, wodurch der Würgegriff um Gaza-Stadt gelockert wurde, während verspätet ein Waffenstillstand in Kraft trat.

Allerdings lassen weder die Ankündigungen von Trump, noch die der völkermordenden Führung Israels und schon gar nicht das am Donnerstag unterzeichneten Abkommen einen vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen oder ein dauerhaftes Ende des Krieges erkennen. Während die IDF Gaza bis zu dem Zeitpunkt, als das Kabinett das Abkommen bestätigte, weiter bombardierte, kündigte sie an, dass sie in Alarmbereitschaft bleiben werde, um die Offensive wieder aufnehmen zu können. Ein Signal für die Bereitschaft Israels, seine Operationen fortzusetzen, sollten die Verhandlungen in den kommenden Tagen scheitern.

Die jüngste Geschichte gibt wenig Anlass zu Optimismus. Die israelische Regierung hat gezeigt, dass sie nicht zögert, ihre Vereinbarungen nach der „ersten Phase” zu brechen, wie im Januar dieses Jahres, als die Unterzeichnung eines Waffenstillstands einer brutalen Blockade des Gazastreifens und einer erneuten Intensivierung der Völkermordoperationen der israelischen Armee vorausging. Währenddessen setzt die Hamas ihre letzten Hoffnungen auf Trump.

Auch im Libanon hat Israel seinen Teil der Vereinbarung nicht eingehalten und unterhält weiterhin mindestens fünf Außenposten im Süden des Landes. Eine ähnliche Entwicklung ist in Gaza wahrscheinlich. Da ein Rückzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen nicht auf der Tagesordnung steht, ist kurzfristig eher mit einer Fortsetzung des Konflikts in geringerer Intensität mit sporadischeren Angriffen der israelischen Armee zu rechnen. Mittelfristig erscheint die Lage besonders instabil. Der Plan würde zunächst vollendete Tatsachen schaffen, in deren Verlauf die israelische Kontrolle über weite Teile des Gazastreifens verstärkt würde. Israel wird wahrscheinlich die erneute „terroristische Bedrohung” – selbst die elementarsten Formen des Widerstands, die sicherlich fortbestehen werden – als Vorwand nutzen, um seine Besatzung eines Großteils des Gazastreifens aufrechtzuerhalten, ähnlich wie seine langjährige Besatzung des Westjordanlands.

Gleichzeitig bleibt die Koalition von Netanjahu äußerst fragil und stellt einen zusätzlichen Faktor der Instabilität dar. Die faschistischen Minister seines Kabinetts, Smotrich und Ben-Gvir, haben bereits ihre Ablehnung des Trump-Plans zum Ausdruck gebracht, auch wenn ein Austritt aus der Koalition derzeit nicht auf der Tagesordnung zu stehen scheint [4]. Die Oppositionsführer haben Netanjahu zwar ein Sicherheitsnetz angeboten, um die Freilassung der Geiseln zu erreichen, aber angekündigt, dass sie später versuchen werden, die Regierung zu stürzen. Während die Frage nach der Zukunft Gazas und der Hamas weiterhin offen ist und der Konsens über einen Völkermord in der israelischen Gesellschaft hoch bleibt, könnte der Druck zur Wiederaufnahme der Völkermordoperationen im Gazastreifen schnell wieder in den Vordergrund rücken.

Wie sieht die Zukunft Gazas aus?

In den kommenden Tagen und Wochen werden die Frage der Regierung Gazas und der Entwaffnung der Hamas sowie die Zukunft der verschiedenen palästinensischen Führungen diskutiert werden. Aber der Verhandlungsspielraum der Hamas und der palästinensischen Fraktionen ist äußerst begrenzt, da sie sich inmitten eines Dreiecks von Bedrohungen befinden: Einerseits besetzt die israelische Armee weiterhin Gaza; zum anderen könnte Trump damit drohen, den Völkermord wieder aufzunehmen, sollte die Hamas sich den israelischen Forderungen „widersetzen“; und schließlich üben die mitschuldigen arabischen Staaten weiterhin Druck aus, damit der Plan des Weißen Hauses umgesetzt wird.

Diese Situation ist das Ergebnis einer Erpressung. Aber die Strategie der Hamas, den reaktionären arabischen Regimes in der Region zu vertrauen, hat dieses ungünstige Kräfteverhältnis begünstigt. Diese Regime, von denen viele Verbündete des US-Imperialismus sind, haben nicht nur den Handel und die Finanzbeziehungen mit dem Völkermordstaat aufrechterhalten, sich an der Unterdrückung der Solidaritätsbewegung beteiligt, sondern drohen nun auch damit, eine Besatzungsarmee zu entsenden, um die Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Unterordnung unter die arabischen Bourgeoisien, die die palästinensische Sache historisch als Verhandlungsmasse für ihre eigenen Interessen genutzt haben, dem Kampf des palästinensischen Volkes für seine Selbstbestimmung nichts zu bieten hat.

Vor diesem Hintergrund droht der Plan von Trump eine historische Wiederholung der düstersten Episoden der palästinensischen Geschichte zu werden, eine neue Etappe, die die israelische Expansion in Gaza bestätigt, weit über die früheren Besetzungen des Gazastreifens nach der Suez-Expedition 1956 oder dem Sechstagekrieg 1967 hinaus, bis hin zur Verhängung der Blockade 2006 und dem andauernden Völkermord. Entgegen den von allen imperialistischen Staaten im Chor verkündeten „Friedensfeierlichkeiten” ist dies eine koloniale Falle, die sich um die Palästinenser:innen schließt. Die Erfahrung mit den Osloer Abkommen von 1993, die keineswegs den Frieden einläuteten, ist das offensichtlichste Beispiel dafür, wie diese „Abkommen“ nur dazu dienen, die Unterdrückung zu legitimieren und zur Zustimmung zur nächsten Phase des Völkermords zu werden.

Diesmal hat Trump nicht einmal so getan, als wolle er die „Zweistaatenlösung“ wieder aufgreifen, die in den letzten Jahrzehnten dazu gedient hatte, den kolonialen Status quo in Palästina zu legitimieren. Während das ursprüngliche „Abkommen des Jahrhunderts” vom 28. Januar 2020 die Schaffung eines palästinensischen Staates vorsah, der Teile des Westjordanlands und den gesamten Gazastreifen umfasste, fordert der neue Plan die Verhängung eines internationalen Mandats über Gaza. Dieser Vorschlag erinnert an die nach dem Ersten Weltkrieg eingerichteten Kolonialmandate und orientiert sich an der 1999 im Kosovo eingerichteten internationalen Verwaltung.

Zwar steht die vollständige Vertreibung der Bewohner:innen des Gazastreifens aus dem Gebiet auf dem Papier nicht mehr unmittelbar auf der Tagesordnung, doch der sich abzeichnende Plan verspricht nur eines: die Auslöschung der Hoffnungen des palästinensischen Volkes. Und auch wenn das absurde Projekt, den Gazastreifen zu einer neuen Côte d’Azur ohne Palästinenser:innen zu machen, nicht mehr im Mittelpunkt von Trumps Diskurs steht, haben seine Freunde nicht darauf verzichtet, auf den Trümmern und Leichen der Bewohner:innen Gazas Profit zu schlagen (siehe Punkt 10 des Abkommens). Die ausländische Besatzung wird unter einer anderen Flagge stehen und unter der Kontrolle reaktionärer arabischer Regime erfolgen. Aber es wird weiterhin eine Besatzung von Trump und Tony Blair sein, der ein Jahrzehnt, nachdem er sich im Irak bewährt hat und die letzten Jahre damit verbracht hat, Raubzüge in Afrika als angeblich humanitäre Operationen zu tarnen, wieder zum Einsatz kommt. Die palästinensischen Führungen werden entweder liquidiert oder zu bloßen Hilfstruppen umgewandelt. Mit einem Wort: Es geht darum, an die alte europäische Kolonialgeschichte anzuknüpfen, indem Gaza zu einem Protektorat unter vollständiger wirtschaftlicher, politischer und militärischer Kontrolle gemacht wird.

Die arabischen Führungen bereiten sich bereits auf den größten Verrat in einer Geschichte vor, die doch schon viele erlebt hat. Vorerst wird die koloniale Ordnung im Gazastreifen wahrscheinlich durch eine arabische Besatzungsmacht unter der Führung Ägyptens aufrechterhalten werden. Während die Zeitung al-Hadath von der Bildung eines ägyptisch-palästinensischen Komitees berichtete, dem die Hamas zugestimmt hatte, einen Teil ihrer Waffen zu übergeben, merkt Haaretz an, dass eine ägyptische, katarische und türkische Truppe die Aufgabe haben wird, die Leichen der Geiseln zu finden, die die Hamas nicht lokalisieren kann. Der zweite Teil des Trump-Plans sieht die Einrichtung eines technokratischen Komitees unter dem Kommando eines „Friedensrats” vor, dessen Vorsitz Trump und Tony Blair innehaben und das den Gazastreifen mit arabischen Armeen regieren soll.

Die Mobilisierungen müssen verstärkt werden

Auch wenn die laufenden Verhandlungen und der Trump-Plan Israel, das in einem Völkermordkrieg versunken und auf internationaler Ebene isoliert ist, einen unerwarteten Ausweg bieten, gibt es dennoch Grund zur Hoffnung. Dieses düstere Bild hat zumindest den Vorteil, dass es im Kontrast dazu die immense Hoffnung deutlich macht, die die Mobilisierung der italienischen Arbeiter:innenklasse und die Massenmobilisierungen in aller Welt in den letzten Tagen zur Unterstützung des palästinensischen Volkes darstellen.

Die italienische Arbeiter:innenbewegung hat am 3. Oktober zwei Millionen Menschen auf die Straße gebracht und eine Dynamik ausgelöst, die sich in ganz Europa ausbreitet, beispielsweise in Spanien, wo die Gewerkschaft CGT dem Aufruf der Global Movement to Gaza gefolgt ist und für den 15. Oktober zu einem Streik aufruft. Das Kollektiv der Hafenarbeiter:innen von Genua ruft zusammen mit der USB und den Gewerkschaftssektionen mehrerer Mittelmeerhäfen in Kürze zu einem europäischen Streik gegen Völkermord und Militarisierung auf, während der italenische Gewerkschaftsbund CGIL versucht, der völkermordfreundlichen Regierung von Meloni eine Atempause zu verschaffen. Die Streikdynamik muss fortgesetzt und auf den gesamten Kontinent ausgeweitet werden, damit die Bewegung, die zum ersten Mal seit langer Zeit in Italien eine extrem rechte Regierung ins Wanken gebracht hat, nicht wieder abflacht.

Die Arbeiter:innenklasse und die Völker der Welt müssen ihre Regierungen dazu zwingen, alle Beziehungen zu Israel abzubrechen und ein vollständiges Waffenembargo zu verhängen, was Israel in echte Schwierigkeiten bringen und den Kolonialstaat zu einem bedingungslosen Rückzug zwingen könnte. Eine solche Mobilisierung könnte auch das Proletariat und die Massen in den Nordafrika und Westasien aufrütteln, die eine zentrale Rolle zu spielen haben. Die Erhebung der marokkanischen Jugend ist ein erstes, wenn auch noch begrenztes Anzeichen einer solchen Entwicklung. Die Niederlage Israels mit einem bedingungslosen Rückzug ist möglich, wenn die Arbeiter:innenklasse der imperialistischen Länder, die mit den Völkern der arabischen Welt gegen ihre eigenen kollaborierenden Regierungen verbündet sind, hart zuschlägt.

Die Solidaritätsbewegung mit Gaza hat Trump und Israel bereits zu dem aktuellen Akommen gezwungen. Der Eintritt der Arbeiter:innenbewegung in den Kampf ist ein zu gefährliches Schreckgespenst für die Führungen der Europäischen Union, die sich mitten im Wettlauf um Militarisierung und imperialistische Aufrüstung befinden. Es gibt historische Präzedenzfälle: Die politische Niederlage der Vereinigten Staaten in Vietnam beispielsweise wurde durch den heldenhaften Widerstand des vietnamesischen Volkes und die Unfähigkeit des Imperialismus, den Krieg fortzusetzen, ohne dass die Metropole von Protesten in Brand gesetzt wurde, ermöglicht. Es ist dringend notwendig, an diese Geschichte anzuknüpfen.

Dieser Artikel erschien zunächst am 10. September in Révolution Permanente.

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