Interview: Neupack-Streikende wollen selbst bestimmen

19.04.2013, Lesezeit 4 Min.
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Die Beschäftigten wollten den Arbeitskampf in die eigenen Hände nehmen. Das hat die IG BCE untersagt. Ein Gespräch mit Dieter Wegner, Aktivist vom Soli-Kreis für die KollegInnen bei Neupack und von der Hamburger Gewerkschaftslinken.

Seit dem 1. November 2012 sind die KollegInnen des Hamburger Verpackungsherstellers Neupack im Streik. Warum spricht die IG Bergbau, Chemie, Energie – die IG BCE – nun von einem Durchbruch in den Verhandlungen?

Für die IG-BCE-Führung ist es wohl ein Durchbruch, daß das Unternehmen bereit ist, eine „Maßregelungsklausel“ zu akzeptieren, mit der Abmahnungen und Kündigungen gegen Streikende zurückgenommen werden. Doch einige werden von dieser Vereinbarung ausgenommen, darunter der Betriebsratsvorsitzende Murat Günes und fünf weitere StreikaktivistInnen, denen das Unternehmen Straftaten wie Körperverletzung und Beleidigung vorwirft. Mir ist es ein Rätsel, wie man von „Durchbruch“ sprechen kann, wenn nach fast sechs Monaten Verhandlung noch keine Einigung besteht über Mindestlöhne, Eingruppierung, monatliche Vergütung, Urlaubsgeld, Verfahren bei Umgruppierung und vieles mehr.

Es geht nicht um einen Tarifvertrag, deshalb verhandelt offiziell nur der Betriebsrat. Die FunktionärInnen der IG BCE sind als BeraterInnen dabei. In ihren Streikinfos stellt diese sich jedoch als Verhändlerin dar. Die IG BCE hatte am 5. April die Gespräche mit der Neupack-Geschäftsführung für gescheitert erklärt und abgebrochen. Ohne die KollegInnen über die Wiederaufnahme zu informieren, verkündet sie jetzt: „Es gibt noch offene Punkte, hier vor allem die Frage der Eingruppierungen.“ Wie seit Beginn des Streiks wird nie über den wirklichen Sachstand informiert. Die Streikinfos dienen dazu, fürs Durchhalten zu loben, angebliche Erfolge und gute Absichten zu verkünden. Dieses Blatt wird kaum noch gelesen.

Die IG BCE betont aber, daß sie weiter für einen Tarifvertrag kämpft.

Die IG-BCE-Führung hat in den ersten Wochen geglaubt, für und mit den KollegInnen einen Haustarifvertrag erstreiken zu können – allerdings auf dem Boden der Sozialpartnerschaft. Als die UnternehmerInnenfamilie Krüger sich der Rolle des Sozialpartners verweigerte, nahm die Gewerkschaftsführung Abschied von der Forderung nach einem Tarifvertrag. Jetzt redet sie von einer Regelungsabsprache, die angeblich einem Tarifvertrag nahe komme.

Das Streikzelt, das seit fast sechs Monaten vor dem Tor des Hamburger Betriebes stand, wurde abgebaut. Warum?

Die Kolleginnen und Kollegen haben dafür einen Container bekommen. Die Begründung lautete: Der kann abgeschlossen werden, es braucht keine Nachtwachen mehr. Doch der Container faßt nur 16 Leute – im Zelt hingegen fanden Treffen mit bis zu 50 Streikenden und UnterstützerInnen statt. Das Zelt wurde zuerst für zwei Tage um 20 Meter versetzt, dann ganz abgebaut – angeblich auf Wunsch der Umweltschutzbehörde.

Die IG BCE hatte bis zum 24. Januar einen Vollstreik organisiert, doch danach gab es nur noch einen „Flexi-Streik“. Konkret heißt das, daß die KollegInnen in den letzten drei Monaten nur 16 Tage klassisch im Ausstand waren. Warum?

Selbst von den 16 Streiktagen waren etliche nur Mitgliederversammlungen. „Flexi-Streik“ bedeutet in diesem Fall nur noch „ganz wenig Ausstand“. Die KollegInnen wollten ihren Arbeitskampf in die eigenen Hände nehmen, mit kurzfristigen und überraschenden Arbeitsniederlegungen hätten die Krügers niedergestreikt werden können. Das hat ihnen die Gewerkschaft aber untersagt – unter ihrer Regie findet jetzt kaum noch etwas statt.

Der Arbeitskampf läuft seit fünfeinhalb Monaten – so lange wurde in Hamburg seit Gründung der Bundesrepublik nicht mehr gestreikt. Wie geht es nun weiter?

Bei Neupack streiken prekär Beschäftigte, die in Deutschland einen immer größeren Anteil unter den Lohnabhängigen ausmachen. Es ist zu hoffen, daß es viele Neupack-Streiks geben wird. Die Kämpfenden von Hamburg-Stellingen und Rotenburg werden ihre Erfahrungen, die sie mit ihrer Gewerkschaftsführung gemacht haben, weitergeben. Sie sind sehr wertvoll.

Vor uns steht jetzt erst einmal der 1. Mai, Hauptredner in Hamburg ist Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE. Er wurde sicher zu einem Zeitpunkt eingeladen, als die IG BCE noch glaubte, den Streik bei Neupack gewinnen zu können, – Vassiliadis sollte also einen Sieg verkünden. Wir sind gespannt auf seine Rede.

dieses Interview in der jungen Welt.

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