Internationalistisches Herbstcamp: Über 230 Menschen diskutieren Antworten auf Genozid, Aufrüstung und Rechtsruck

08.10.2025, Lesezeit 10 Min.
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Foto: KGK

Beim bisher größten Event von Klasse Gegen Klasse kamen vom 3. bis 6. Oktober über 230 Arbeiter:innen, Studierende, Aktivist:innen der Palästina-Bewegung, Familien mit Kindern, internationale Genoss:innen, aber auch Teilnehmer:innen aus Strukturen der Partei Die Linke und ihrer Jugendorganisationen zusammen.

Der 3. Oktober 2025: Auf der einen Seite sprachen beim offiziellen Festakt zum 35. Jahrestag der sogenannten „Wiedervereinigung“ Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron über die Notwendigkeit der Aufrüstung und schwörten die Menschen auf harte Veränderungen – sprich: Kürzungen und Abbau demokratischer Rechte – ein. Auf der anderen Seite kamen über 230 Menschen in der Nähe von Berlin zu einem internationalistischen Herbstcamp zusammen, um über Antworten auf Genozid, Militarismus und Nationalismus, die Pläne der Merz-Regierung und den Aufstieg der extremen Rechten zu diskutieren. Arbeiter:innen, Studierende, Aktivist:innen der Palästina-Bewegung, Familien mit Kindern, internationale Genoss:innen, aber auch Teilnehmer:innen aus Strukturen der Partei Die Linke und ihrer Jugendorganisationen, waren dem Aufruf der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) mit ihrer Website Klasse Gegen Klasse gefolgt und machten das Herbstcamp zur bisher größten Veranstaltung der Organisation. Während Macron in seiner Heimat zehntausende Polizist:innen auf Demonstrant:innen hetzte, sprachen beim Herbstcamp revolutionäre Internationalist:innen aus Frankreich, Italien und dem Spanischen Staat über Aufstände und Generalstreiks gegen die Politik der Herrschenden. Während der israelische Staat hunderte Aktivist:innen der Global Sumud Flotilla brutal entführte und folterte, um seinen Genozid am palästinensischen Volk weiterführen zu können, füllte der Slogan „Streiken wie in Italien – Für ein freies Palästina – Solidarität mit der Flotilla“ die große Halle des Jugenddorfes außerhalb von Berlin.

Was tun gegen die autoritäre Wende?

Zur Eröffnung am Freitagabend diskutierten Özlem Alev Demirel, Mitglied des Europäischen Parlaments für Die Linke, der linke Influencer Simon David Dreßler und Tom Krüger von Klasse Gegen Klasse über die Frage: „Was tun gegen die autoritäre Wende?“

Alle Podiumsteilnehmer:innen betonten die Wurzeln des aktuellen Rechtsrucks in den Umbrüchen der Weltlage und der aus ihnen resultierenden Krise des deutschen Imperialismus, die er versucht, mit massiver Militarisierung zu lösen. Bei der Frage, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen seien, zeigten sich aber große Unterschiede. Demirel sprach über die Notwendigkeit der Solidarität mit Palästina, äußerte sich jedoch zurückhaltend dazu, ob Die Linke bereit sein sollte, Koalitionsregierungen – selbst mit der CDU – zu bilden, um zu verhindern, dass die AfD an die Macht kommt: „Das ist nicht die entscheidende Frage“, sagte sie. Dreßler wies darauf hin, dass viele die AfD wählen, um einem System, das eindeutig nicht funktioniert, den Stinkefinger zu zeigen – und dass eine linke Partei ebenfalls diese Haltung vermitteln müsse. 

Tom Krüger argumentierte, dass Die Linke oft wie ein „Ventil“ fungiere – sie lasse den Dampf aus Protestbewegungen ab, indem sie sie in institutionelle Kanäle leite. Er begrüßte die zehntausenden Menschen, die in den vergangenen Monaten in die Linkspartei eingetreten sind, um sich Merz, der AfD und dem Genozid in Gaza entgegenzustellen, und lud sie zum gemeinsamen Kampf ein. Zugleich jedoch stellte er klar, dass die Perspektive „aller Demokrat:innen gegen die AfD“ zum Scheitern verurteilt sei, hob die Notwendigkeit einer unbedingten Ablehnung der Regierungsperspektive der Partei Die Linke hervor. Er warb für eine internationalistische Alternative, die nicht darauf abzielt diesen Staat mitzuverwalten, sondern die Probleme an der Wurzel anpacken will – für einen Bruch mit dem Kapitalismus und seinem Staat, aufbauend auf der Selbstorganisierung der Arbeiter:innen und der Jugend.

Die gesamte Veranstaltung wird auch bald auf unserem Youtube-Kanal zum Nachsehen veröffentlicht werden.

Am Samstag und Sonntag schlossen sich dutzende Workshops an: von den Aufgaben der Jugend international gegen Genozid und Militarismus, über das rassistische Migrationsregime und den antirassistischen Kampf, über die autoritäre Wende in Deutschland und über Trump in den USA, über feministische Theorie und feministische Kämpfe der Arbeiter:innen, über die Perspektiven der Palästina-Bewegung und die Grenzen des Linksrucks in der Linkspartei, bis hin zu Workshops über die permanente Revolution am Beispiel aktueller Aufstände wie in Nepal oder Indonesien, und die Perspektiven des Aufbaus einer revolutionären Partei in Debatte mit Texten von Luxemburg und Lenin. Viele der Workshops wurden ebenfalls aufgenommen und werden bald als Podcast veröffentlicht werden.

Auch zwei Dokumentarfilme schilderten die Kämpfe der Arbeiter:innen: Der eine handelte vom Kampf der ausgelagerten Krankenhausbeschäftigten der CFM in Berlin, darunter viele Migrant:innen, die seit fast 15 Jahren für Gleichbehandlung kämpfen. Der andere Film handelte von Christian Porta, einem Arbeiter und gewerkschaftlichen Vertrauensmann in einer Industriebäckerei in Moselle in Frankreich, der sich gegen eine unrechtmäßige Entlassung wegen seiner kämpferischen Haltung wehrte und sich in einem beeindruckenden Kampf gemeinsam mit seinen Kolleg:innen gegen die Bosse durchsetzen konnte. 

Streiken wie in Italien gegen Genozid und Militarismus

Ein Höhepunkt des Camps war die internationalistische Veranstaltung am Samstagabend. Eingeleitet von einem zuvor aufgenommenen Grußwort von unserem Genossen Bruno Gilga aus Brasilien, der sich als Teilnehmer der Global Sumud Flotilla zum Zeitpunkt der Veranstaltung in einem israelischen Foltergefängnis befand, stand der ganze Abend im Geiste des Kampfes gegen den Genozid in Gaza, die Komplizenschaft der imperialistischen Regierungen und gegen ihre autoritären Angriffe, mit denen sie die Arbeiter:innen und die Jugend auf weitere Kriege vorbereiten. 

Bera Rojas aus dem Spanischen Staat sprach über die wachsende Palästinasolidarität in dem Land, die sich in Bildungsstreiks bis hin zu einem geplanten Generalstreik Mitte Oktober ausdrückte, und kritisierte die heuchlerische Haltung der „progressiven“ spanischen Regierung, die mit symbolischen Gesten die Palästinabewegung kooptieren will, nur um zugleich ihre radikalsten Ausdrücke zu kriminalisieren und unter der Hand Kooperationen mit dem Völkermörderstaat weiterzuführen. Emma Hücker aus Italien elektrisierte den Raum mit einer Erzählung des Generalstreiks in Italien, der am Tag zuvor über zwei Millionen Menschen auf die Straßen gebracht hatte und damit nicht nur den Weg zur Beendigung der Komplizenschaft mit dem genozidalen Staat Israel aufzeigte, sondern auch zum Kampf gegen die extrem rechte Regierung Melonis. Sasha Yaropolskaya aus Frankreich wiederum betonte die Macht der selbstorganisierten Arbeiter:innen und der Jugend im Kampf gegen den Autoritarismus von Emmanuel Macron und für ein Ende des Präsidialsystems und der antidemokratischen Fünften Republik. Sie zeigte zugleich auf, dass für diese Perspektive der Aufbau einer revolutionären Partei notwendig ist, um die bremsende und verräterische Haltung der Gewerkschaftsführungen zu überwinden, die alles daran setzen, um die Bewegung einzuschränken und mit der Regierung zu verhandeln.

Zum Abschluss des Abends sprach Inés Heider aus Berlin, die Anfang des Jahres als unabhängige sozialistische Direktkandidatin für den Bundestag kandidiert hatte. Inés betonte den historischen Moment, den die Großdemonstration von 100.000 Menschen in Berlin gegen den Genozid bedeutet hatte, und warb dafür, die Kraft der Mobilisierung in einen Kampf gegen die gesamten Pläne der rechten Merz-Regierung umzuwandeln, in dem wir uns ein Beispiel an den Arbeiter:innen in Italien nehmen, die mit einem massiven Generalstreik das Land lahmgelegt haben. Gegen die Perspektive des Zusammenschlusses von Linke, SPD und Grüne, um eine AfD-Regierungsbeteiligung zu verhindern, argumentierte Inés: 

Wie soll konsequent antimilitaristische Politik funktionieren, zusammen mit denen, die am lautesten nach Aufrüstung schreien? Ich will echten Antimilitarismus. Mit allen aus der Linkspartei, die sich gegen die Vorbereitungen auf neue Kriege stellen wollen.

Mit euch will ich zusammen in unseren Gewerkschaften und Schulen, in den Betrieben und Unis kämpfen. Weil wir uns selbst organisieren müssen, um die Aufrüstung zu stoppen

Weil wir keine Organisation brauchen, die genau dann, wenn’s drauf ankommt, Merz in der Aufrüstung unterstützt, sondern eine, die den Kapitalismus zerschlägt.

Ich bin überzeugt, dass das nicht geht, ohne eine revolutionäre Partei. Das ist das Werkzeug, das wir brauchen, um die Revolten, die gerade mehr und mehr werden, zum Sieg zu führen. Wie soll diese Partei sein? Sie soll internationalistisch sein. Sie muss überall eine gemeinsame Strategie haben. Sie muss fähig sein, diese Strategie auf die unterschiedlichen Situationen in vielen Städten und Ländern anzuwenden. Sie muss sich vornehmen, zusammen mit den fortschrittlichsten Teilen der Arbeiter:innenbewegung und der Jugend zu kämpfen. Gegen den Imperialismus. Überall auf der Welt.

Wie weiter im Kampf für eine starke antiimperialistische Linke?

Bei einem Vernetzungstreffen am Ende des Camps diskutierten über 50 Menschen aus verschiedenen Organisationen, darunter zahlreiche Mitglieder der Linkspartei oder ihrer Jugendstrukturen ebenso wie bisher Unorganisierte, über weitere Schritte. Zentral waren insbesondere zwei Fragen: Wie kann die Palästinasolidarität innerhalb und außerhalb der Partei gestärkt werden, während die reformistische Führung weiterhin an Israels „Existenzrecht“ als Apartheidstaat festhält? Einige Führungskräfte der Partei Die Linke, wie Bodo Ramelow, unterstützen den Völkermord ausdrücklich; jede linke Partei, die ernst genommen werden will, müsste ihn morgen aus der Partei ausschließen. Während zahlreiche Mitglieder der Linksjugend konsequent an der Seite Palästinas stehen möchten, hat der Bundessprecher:innenrat von Solid vor wenigen Tagen ein furchtbares pro-zionistisches Statement veröffentlicht, indem er Trumps kolonialen Plan für Gaza gutheißt. Der Kommende Bundeskongress von Solid wird in diesem Sinne eine Richtungsentscheidung sein: Ordnet man sich der Staatsräson unter oder organisiert man einen unerbittlichen Kampf dagegen? 

Und zweitens: Wie kann man Kräfte gegen die Perspektive der Regierungsbeteiligung der Linkspartei sammeln? Das ist keine abstrakte Frage: Die Linke hat gute Chancen, nächstes Jahr in die Berliner Regierungskoalition einzutreten. Die Geschichte zeigt, dass sie, sobald sie an der Macht ist, jedes einzelne Prinzip ihres Programms verraten würde. Die zahlreichen neuen Mitglieder der Partei müssen sich auf dieses Szenario vorbereiten – und Klasse Gegen Klasse unterstützt sie dabei.

In der Diskussion wurde klargestellt, dass es nicht um Zersplitterung geht. Sondern um die Perspektive, eine revolutionäre Fraktion in der Linkspartei und Solid aufzubauen, aus dem sich daraus ein neues Projekt entwickeln könnte, das eben nicht nur eine kleine Zahl an Aktiven mitnimmt, sondern hunderte oder tausende, was die politische Landschaft verändern könnte. Mit einer Perspektive, wie mit Streiks und Mobilisierungen die Rechten zurückgeschlagen, der Abbruch aller Beziehungen mit Israel und die entschädigungslose Enteignung von Wohnungskonzernen und Kriegsprofiteuren durchgesetzt werden können. Gegen eine solche Perspektive wird die Parteiführung sofort hart vorgehen – die Alternative dazu wäre aber nur, die eigenen Punkte aufzugeben und an die Führung anzupassen. Denn es sind gerade die Bürokratien, die die Kämpfe spalten und vereinzeln – unsere Perspektive ist die eines gemeinsamen Kampfes zur Verteidigung der linken Positionen, mit der die zehntausenden Neumitglieder in die Partei rein sind, und für den Aufbau einer revolutionären Alternative. 

Dafür wollen wir mit all jenen, die zu unserem Herbstcamp gekommen sind, und vielen weiteren Menschen zusammen kämpfen. Wie Inés am Samstagabend zum Abschluss ihrer Rede sagte: 

Wenn ihr hier schon mal gehört habt: „organisiert euch dafür mit uns“, dann heißt das nicht, dass wir mit euch einfach eine kleine Organisation mit ein paar mehr Leuten werden wollen

Die Ziele, die wir uns stellen, sind groß. Und weit weg. Noch. Gerade deshalb müssen wir jetzt anfangen, die Schritte dahin zu machen. Und jeder Gedanke, jede Kritik, jede einzelne Person von euch hier, bereichert das Projekt, was wir aufbauen und macht es besser. Weil wir etwas aufbauen wollen, das den kapitalistischen Staat herausfordert. Das nicht einknickt, wenn’s hart wird. Das sich in keinem Fall loyal zu diesem Regime verhält. Ich will euch deswegen alle hier nochmal einladen, für dieses Projekt mit uns zu kämpfen.

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