Inés Heider: „Wenn wir als Klasse kämpfen, haben wir eine Welt zu gewinnen“

02.06.2025, Lesezeit 10 Min.
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Über 2.000 Menschen versammelten sich am 24. Mai 2025 in Paris beim internationalistischen Event von Révolution Permanente und der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale – ein beeindruckendes Zeichen gegen die Militarisierung und die extreme Rechte weltweit. Wir dokumentieren hier die Rede von Inés Heider, Sozialarbeiterin und Sprecherin der Revolutionären Internationalistischen Organisation.

Youtube von Klasse Gegen Klasse: Inés Heider: „Wenn wir als Klasse kämpfen, haben wir eine Welt zu gewinnen“

Genoss:innen, ich komme aus einem Land zu euch, das super lange als das Symbol der Stabilität des europäischen Kapitalismus galt. Ihr wisst es, Deutschland hat die kapitalistische Krise von 2008 relativ okay überstanden. Aber jetzt hat sich das Blatt gewendet. Die globale Krise ist einfach so tief, dass selbst Deutschland ihr nicht entkommen konnte. Seit zwei Jahren befinden wir uns in einer Rezession. In der Automobilindustrie sollen Zehntausende Stellen abgebaut werden und unsere Chefs überlegen, Produktionsstätten zu schließen oder statt Autos in den Werken jetzt Waffen zu produzieren. Bei den Wahlen in 2021 ging es noch hauptsächlich ums Klima. Aber dann hat der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz zum Ukrainekrieg eine militärische Zeitenwende ausgerufen und über Nacht zusätzliche 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr durchgesetzt. Auf einmal war es völlig egal, dass Armeen die Klimakiller Nummer eins sind.

Aber seine Regierung ist im letzten Herbst auseinandergebrochen, weil die Militarisierung nicht schnell genug vorangegangen ist. Die neue Regierung besteht aus der christlich- konservativen CDU und wieder der Sozialdemokratie. Sie hat sich auf die Fahne geschrieben, die Aufrüstung noch mehr anzukurbeln. Und unser neuer Bundeskanzler Friedrich Merz meinte: „Koste es, was es wolle.“ Klar. Er will die stärkste Armee Europas aufbauen und sein Außenminister will die Militärausgaben auf 5 Prozent des BIP erhöhen. Das ist einfach mehr als eine Verdopplung. Das wären einfach 225 Milliarden Euro jedes Jahr. Wie das alles finanziert werden soll? Natürlich durch massenhafte Angriffe auf uns Beschäftigte und auf unsere Leben, wo gekürzt wird, bei Sozialausgaben, bei pädagogischen Angeboten und bei Material im Krankenhaus. Und als ob das noch nicht genug wäre, soll der Acht-Stunden-Tag abgeschafft werden. Durchgesetzt werden soll das dann alles mit Angriffen auf das Streikrecht und einer massiven Aufrüstung der Polizei.

Für dieses Projekt hat Merz genauso wie Trump dann auch Großkapitalisten in sein Kabinett geholt und es passt einfach wie angegossen. Merz selbst saß im Aufsichtsrat von circa einem Dutzend Unternehmen und Banken, unter anderem der HSBC, wo er 5.000 Euro pro Tag und damit in einem Jahr fast 2 Millionen Euro verdient hat. Ich bin Schulsozialarbeiterin. Wenn ich mit 67 in Rente gehe, – denn das ist das Rentenalter in Deutschland, noch -. werde ich in meinem ganzen Leben keine 2 Millionen Euro verdient haben. Merz spricht von Parallelgesellschaften, wenn er gegen Migrant:innen hetzt. Aber Leute, ich frage mich, wo entsteht hier eine Parallelgesellschaft in dem Arbeiter:innenbezirk, in dem ich lebe und arbeite oder in deinem CEO-Kabinett?

Die Merz-Regierung ist sogar so sehr auf Aufrüstung aus, dass sie schon vor ihrem Amtsantritt die Verfassung geändert hat. Das Ergebnis: In Deutschland kann jetzt unbegrenzt viel Geld ins Militär investiert werden. Gleichzeitig haben Sie mit den Gewerkschaftsführungen schlechte Tarifabschlüsse für den öffentlichen Dienst verhandelt. Es sei ja kein Geld da, und die Spitzen unserer Gewerkschaften haben dieses Spiel mitgemacht. Erdrückend.

Aber lasst uns nicht vergessen, ich komme heute hierhin, auch aus einem Land zu euch, in dem weniger als 20 Prozent der Menschen im Kriegsfall selbst die Waffe in die Hand nehmen wollen würden. Natürlich versucht die Regierung alles, um da Überzeugung zu schaffen. Die Bundeswehr macht einfach Werbung auf Pizzakartons und sogar eigene YouTube Serien. Und auch an Schulen und Universitäten gibt es eine massive Werbekampagne der Bundeswehr. An einer Schule in meinem Bezirk zum Beispiel können 13-jährige in der Pause Kampfjet spielen, im Flugsimulator, gesponsert von einem Lobbyverband der deutschen Luftwaffe. Aber die ganze Militarisierung ist kein rein deutsches Phänomen. In ganz Europa werden hunderte Milliarden Euro ausgegeben für Waffen, für Munition, Panzer, Raketen und Bomben. Sie alle wollen, dass wir bezahlen für ihre Konfrontationen und ihre Krisen, in Frankreich und Deutschland mit harten Angriffen auf unsere Lebens und Arbeitsbedingungen und unsere demokratischen Rechte. In der Ukraine, in Palästina und an vielen anderen Orten jetzt schon mit unseren Leben.

Die Bosse und ihre Regierung wollen, dass dieses Schicksal uns hier auch blüht. Deshalb müssen wir ganz klar sagen: Die militärischen Pläne der Regierung bedeuten vor allem eins: Sie wollen, dass wir ihre Kriege um Profite und Einfluss für sie austragen. Es sind ihre Kriege, aber unsere Toten. Deshalb sagen wir als FT ganz klar: Kein Cent, kein Mensch und keine Waffen für Kriege.

Das ist ein wichtiger Punkt, weil Deutschland der zweitgrößte Waffenlieferant für den anhaltenden Genozid an den Palästinenser:Innen ist. Die bedingungslose Unterstützung Israels ist deutsche Staatsräson, das heißt, jede deutsche Regierung hält es für ihre Pflicht, jegliche Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu kriminalisieren. Ihr wisst ja einiges über die Repression gegen alle, die sich gegen den Genozid in Gaza stellen. Anasse wird wegen Verherrlichung zum Terrorismus angeklagt, während er sich gegen den wirklichen Terror der israelischen Kriegsmaschine ausgesprochen hat Auch in Deutschland standen und stehen Genoss:innen von uns vor Gericht, weil sie sich für Palästina eingesetzt haben. Aber wir haben diese Gerichtsprozesse gewonnen, weil wir sie nicht still hingenommen haben, sondern weil wir breite Solidarität organisiert haben, weil wir die Kampagnen öffentlich und politisch geführt haben. Und damit meine ich auch den Gerichtsprozess, den ich hatte. Ich wurde von einem Tag auf den anderen gefeuert, weil ich mich gegen die Sozialkürzungen eingesetzt habe, die wegen der Aufrüstung stattfinden. Aber jetzt habe ich meinen Job zurück.

Gerichtsprozesse sind nicht die einzige Repression, die wir gerade erleben. Auf palästinasolidarischen Demonstrationen in Berlin wurden eine Zeit lang alle Sprachen außer Deutsch und Englisch verboten, also zum Beispiel Arabisch, Irisch oder auch Hebräisch. Aber sie wollen uns nicht nur unsere Worte nehmen, sondern sie wollen uns auch unsere Leben nehmen.

Ich sage das, weil ich hier und heute auch in Gedenken an Lorenz spreche. Lorenz war gerade mal 21 Jahre alt, als er vor einem Monat von der deutschen Polizei rassistisch ermordet wurde, mit mindestens drei Kugeln von hinten, eine in den Oberkörper, eine in die Hüfte und eine in den Kopf. Für Lorenz und für alle, die von der Polizei ermordet wurden. Kein Vergeben, kein Vergessen.

Die Polizeigewalt, von der ich spreche, ist aber nur die Spitze der inneren Militarisierung. Die neue Bundesregierung in Deutschland will auch die Grenzen militarisieren. Sie macht es auch schon. Flüchtende Menschen werden jetzt gerade in diesem Moment direkt an der deutschen Außengrenze abgewiesen. Und sie wollen noch mehr abschieben, sogar nach Afghanistan und nach Syrien. Es ist genau dieser Rassismus, den die Regierung aktiv schürt, der nicht nur ansteigt, sondern auch die extreme Rechte stärkt.

Deshalb ist die Alternative für Deutschland inzwischen die stärkste Partei in den Umfragen. Eine Partei, die im Wahlkampf Abschiebetickets in Briefkästen mit nichtdeutschen Namen gesteckt hat. Also Fake Flugtickets mit rassistischen Inhalten drauf. Diese Aktion ähnelt einer Aktion aus 1933, bei der Nazis Freifahrkarten nach Jerusalem an jüdische Menschen verteilt haben. Aber es ist nicht nur die AfD, die mehr Abschiebungen will, es ist auch die CDU. Es sind die Sozialdemokraten, sind die Liberalen und die Grünen. Die demokratischen Parteien reagieren auf den Rechtsruck, indem sie Stück für Stück die Forderungen aus den Parteiprogrammen der extremen Rechten übernehmen. Ist irgendjemand wirklich überrascht darüber, dass diese Strategie nicht aufgeht? Wenn sich alle Parteien super einig darüber sind, dass wir Massenabschiebungen brauchen, dann werden die Leute die Partei wählen, die sie schon am längsten und am konsequentesten fordert. In diesem Fall die AfD.

Als Resultat wird jetzt super viel darüber diskutiert, ob die AfD nicht verboten werden sollte. Und viele Menschen, die eine genuine Sorge vor dem Rechtsruck haben, fänden das gut. Natürlich sollte rassistische, sexistische und queerfeindliche Hetze bekämpft werden. Aber können wir dem Staat vertrauen, faschistische Umtriebe zu unterdrücken? Natürlich nicht. Die Polizei und die Geheimdienste sind voller Nazis. Und selbst wenn die AfD dann weniger Parteigelder vom Staat bekommen würde: Großkapitalisten wie Elon Musk sind voll auf ihrer Linie. Musk hat bei den Wahlen 1,5 Millionen Euro an die AfD gespendet. Denkt ihr nicht, er würde es wieder tun? Warum sollte er nicht? Mit der Forderung, Steuern für Großunternehmen und Reiche zu senken, macht die AfD doch genau für Musk und Co Politik. Die AfD müssen wir deshalb nicht vom Staat verbieten lassen. Die AfD müssen wir zerschlagen.

Viele junge Menschen in Deutschland wie auch in anderen Ländern wollen dem Rechtsruck etwas entgegensetzen. Einige von ihnen denken, dass das bedeutet, der Partei Die Linke beizutreten. Deshalb gibt es seit Anfang des Jahres Zehntausende Neueintritte in diese Partei. Viele haben die Hoffnung, dass die Partei den Kampf gegen die extreme Rechte stärkt. Mit ihnen werden wir Seite an Seite stehen auf der Straße, um die AfD zurückzuschlagen. Aber wir sagen auch ganz klar: Die Partei Die Linke sagt, lieber eine stabile Regierung unter dem neoliberalen Rassisten Friedrich Merz als eine weitere Stärkung der AfD. Dafür hat sie im Bundesrat Merz‘ Aufrüstungsplänen zugestimmt. Aber die Front aller Demokraten ist eine gefährliche Illusion, weil wir nichts gemeinsam haben mit Merz und mit seinem Großkapitalistenkabinett. Sie wollen die Rechte von Frauen und von queeren Menschen beschneiden. Und die extreme Rechte können wir deshalb meiner Meinung nach nur bekämpfen, wenn wir diese Regierung bekämpfen und die Großmachtambitionen des deutschen Imperialismus sowieso.

Die Linkspartei ordnet sich der Verteidigung der deutschen Stabilität unter und konkret bedeutet das auch, sich dem deutschen Imperialismus unterzuordnen. Sie haben zum Beispiel die Repression gegen palästinasolidarische Aktivist:innen unterstützt, indem sie für das Verbot von Samidoun gestimmt haben, wie die französische Regierung, die Palestine Vaincra verboten hat. Sie sind seit ihrer Gründung ununterbrochen Teil von Landesregierungen. Da haben sie Krankenhäuser geschlossen, sie haben Zwangsräumungen durchgeführt. Und weil sie Teil dieser Ordnung sind, können wir mit der Linkspartei nicht die extreme Rechte bekämpfen. Das geringere Übel hat dazu geführt, dass wir akzeptieren sollen, dass sie mit der SPD und zum Teil mit den Grünen regieren. Dass die CDU-Minister ins Amt gehoben haben, die sich von Afdlern kaum unterscheiden. Sie wollen einfach eine Front von allen Demokraten. Aber die Linke ist nicht nützlich, um die AfD zu bekämpfen.

Keine der Parteien im Bundestag repräsentiert uns. Deswegen sind meine Genossinnen Leonie Lieb aus München, die Hebamme ist und ich in Berlin dieses Jahr zum Ersten Mal in der Geschichte von RIO zu den Wahlen angetreten. Mit einem ganz anderen Programm. Volkswagen, haben wir gesagt, Rüstungsunternehmen, klimaschädliche und Immobilienkonzerne müssen unter der Kontrolle von Beschäftigten entschädigungslos enteignet werden. Und: Öffnet die Grenzen, Bleiberecht für alle. Uns ging es dabei nicht nur darum, Nur Stimmen zu sammeln und im Parlament dann im Warmen zu sitzen, sondern darum, mit Leuten darüber ins Gespräch zu kommen, was sie denken und mit ihnen zu diskutieren, wie man das erkämpfen kann. Das reicht halt nicht, am Wahltag ein Kreuz zu machen. Wir alle müssen jeden Tag mit unseren Mitschüler:innen, mit unseren Kommiliton:innen und Kolleg:innen darüber reden, dass es wichtig ist, dass wir uns jetzt schon organisieren. Wir wollten mit dieser Kandidatur eine Art Leuchtturm schaffen. Und wir wollten von unseren Bezirken aus ausstrahlen, dass es auch ganz anders geht. Es war ein mega wichtiges Zeichen für Revolutionäre in Deutschland.

Aber, es wurde schon gesagt, wir sind nicht die Ersten, such in Deutschland nicht, die einen Kampf gegen Kriegstüchtigkeit führen. Diesen Kampf haben Generationen vor uns schon Rosa Luxemburg Clara Zetkin und Karl Liebknecht geführt. Sie haben unermüdlich gegen den Weltkrieg gekämpft, während die Führung der SPD sich hinter den Kaiser gestellt hat. Karl Liebknecht war der einzige, der 1914 im Dezember gegen die Kriegskredite gestimmt hat. Sie sind also auch gegen den Strom geschwommen. Aber schon ein paar Jahre später haben Soldaten angefangen, sich massenhaft zu organisieren. Sie haben Befehle verweigert und Räte gebildet, während die Arbeiter:innen in den Fabriken angefangen haben, gegen die Weiterführung des imperialistischen Krieges zu streiken. Wir wollen das Erbe dieser revolutionären Arbeiter:innen, die von der Sozialdemokratie verraten wurden, wieder aufnehmen. Ein Erbe, das sich gegen Militarismus stellt, und dafür, dass, wenn wir als Klasse kämpfen, eine Welt zu gewinnen haben, in Deutschland, aber auch international.

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