Im Einzelunterricht die Hose aufmachen: Machtmissbrauch an Schauspiel­schulen 

21.07.2025, Lesezeit 15 Min.
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Symbolbild: Christian Bertrand / Shutterstock.com

Film- und Theaterproduktionen stehen nicht selten wegen sexueller Übergriffe und Machtmissbrauch in den Schlagzeilen. Doch schon im Studium sind junge Schauspielende solchen Zuständen ausgesetzt. Wie wehren sie sich?

Schauspieler:in zu werden: Davon träumen als Kinder Viele. Auf dem roten Teppich der eigenen Premieren zu stehen,  sich selbst in einer Netflix-Serie zu sehen oder umjubelt auf der Bühne stehen und den Applaus zu genießen, die Branchenfelder sind vielfältig. Doch die Branche ist groß und auch etwas weniger glitzernd, als man sich das vorstellt. Der Beruf beruht auf handwerklicher Kunst, die man durch ein Studium und vor allem durch viel Praxis im Spielen erlangt. Dabei verkauft man seine Arbeitskraft (und beansprucht ganz konkret den eigenen Körper), wie in vielen anderen Jobs auch. Auch Schauspielende sind Machthierarchien ausgesetzt, durch Regisseur:innen, Produzent:innen oder auch Intendant:innen. Im Studium sind es Dozierende und die Schulleitungen. Persönlicher Kontakt im Miteinander, körperliche Nähe und ein oftmals distanzloser Umgang gepaart mit der hierarchischen Struktur begünstigen Machtmissbrauch.  

Spätestens durch die #MeToo-Bewegung von 2017, die Frauen ermutigte , sich gegen Harvey Weinstein zu wehren, ist uns Machtmissbrauch in der Branche ein Begriff. Weinstein nutze jahrzehntelang seine Position als einflussreicher Filmproduzent, um Frauen sexuell zu belästigen, zu nötigen und zu vergewaltigen. Gleichermaßen nutzte er seine Machtposition , um ebendiese  Frauen unter Druck zu setzen und sie zum Schweigen zu bringen. Doch solche Fälle sind keine Seltenheit: Im Oktober 2019 veröffentlichte Prof. Dr. Thomas Schmidt, Leiter des Masterstudiengangs Theater- und Orchestermanagement der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) Frankfurt am Main zusammen mit dem Ensemble Netzwerk die Studie „Macht und Struktur im Theater – Asymmetrien der Macht“. Schmidt befragte rund zweitausend Theaterschaffende und sammelte Fälle von physischer und psychischer Gewalt am Arbeitsplatz. Die Teilnehmenden berichten unter anderem von 284 Angeboten von Rollen, besseren Gagen und Engagements gegen sexuelle Gefälligkeiten, die mehrheitlich von Intendanten und Regisseuren ausgesprochen wurden. Außerdem erschien im März 2024 die ARTE-Dokumentation „Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film“, die aus einer dreijährigen Recherche aus Interviews mit mehr als 200 Film- und Theaterschaffenden entstanden ist und von Beleidigungen, Demütigungen, Gewalt und sexuellen Übergriffen in der Film- und Theaterbranche berichtet.

Das Erschreckende daran: Diese Missstände aus Filmproduktionen und Theaterstrukturen sind bekannt. Allerdings bleibt der Aufschrei aus, wenn es um die Zustände an den Ausbildungsorten, den Schauspielschulen geht. Auch dort gibt es Machtmissbrauch und davon nicht wenig. Wir haben mit zwei Studierenden von zwei unterschiedlichen privaten Schauspielschulen Interviews zu den Vorfällen an ihren Schule geführt. Die Namen der beiden haben wir anonymisiert.

Vom Traum zum Albtraum

Im deutschsprachigen Raum gibt es der Ständigen Konferenz Schauspielausbildung zufolge 19 staatliche oder städtische Schauspielschulen. Dort absolviert man eine drei- bis fünfjährige Grundausbildung und gilt anschließend als (staatlich) anerkannte:r Schaupieler:in. Die Plätze sind begehrt und die Klassen klein, zumeist werden gerade einmal zehn bis zwölf Studierende im Jahr  aufgenommen. Kein Wunder also, dass es ein zusätzliches Angebot gibt: Es existieren um die 60 Privatschulen allein in Deutschland. Auch hier sind die Klassen nicht besonders groß, im Durchschnitt 20 Studierende pro Klasse. Der große Unterschied zu den staatlichen und städtischen Schulen ist allerdings, dass die Studierenden monatlich mehrere hundert Euro zahlen, um überhaupt studieren zu dürfen. 

Die Gründe, sich für ein Studium an einer Privatschule zu entscheiden, sind vielfältig. Viele haben jahrelang in Bewerbungsverfahren der staatlichen Institutionen vorgesprochen  und wurden nicht  angenommen. Auch sind die Aufnahmebedingungen dort niederschwelliger, denn die Leitungen dieser Schulen haben ein großes Interesse daran, mit den Träumen ihrer Studierenden Profite zu machen. Auch das Alter kann den Ausschlag geben, denn viele staatliche Schulen nehmen Vorsprecher:innen über 25 Jahren nicht mehr auf. Wenn man noch dazu Kinder hat, übergewichtig ist oder eine sichtbare Behinderung hat, wird die Aufnahme an einer staatlichen Schule nicht gleich unmöglich, aber deutlich schwerer. 

An Schauspielschulen – egal, privat oder staatlich – herrscht ein ungleiches Machtverhältnis zwischen den Studierenden und den Dozierenden. Das ist auch an anderen Hochschulen nichts Ungewöhnliches. Was hier aber Machtmissbrauch und (sexuell) übergriffiges Verhalten begünstigt, sind kleine Klassen mit sehr persönlichem (Lehr-)Kontakt in Form von Einzelunterrichten und einem sehr praxisorientierten  Studium, in dem man nicht selten unabsichtlich berührt wird. Dozierende bilden die Körper der Studierenden aus, kommentieren und korrigieren sie und geben physische Hilfestellungen. Körperkontakt, persönliche Nähe und auch das Alleinsein mit Dozierenden ist dabei erst einmal normal. Doch finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse, der dringenden Wunsch den Platz an der Schauspielschule zu behalten und die Angst, sich beruflich etwas zu „verbauen“, machen es schwer sich zu wehren, wenn die persönlichen Grenzen des Körpers und der Psyche überschritten werden, weswegen Studierende in Fällen missbräuchlichen Verhaltens meistens schweigen.

Aus unseren Interviews mit Alex und Toni erfahren wir, dass auch bei ihnen das Verhältnis von Dozierenden zu Studierenden oft ein lockeres, persönliches oder gar freundschaftliches sei. Oftmals entstehe im Unterricht ein zwangloser Umgang miteinander, der ein Gefühl der Augenhöhe schafft. Eine wirkliche Augenhöhe existiert dabei natürlich nicht. Stattdessen wird das Vertrauen der Studierenden ausgenutzt. Beide berichten von sexistischen Bemerkungen, Belästigungen und sexuellen Übergriffen. Es gebe sogar Dozierende, die die Abhängigkeit ihrer Studierenden von ihnen als Lehrende ausnutzen und Affären oder Beziehungen mit ihren Studentinnen anfangen. Alex berichtet:

Es sind oft sexuelle Anspielungen oder Witzchen, wo man nicht konkret sagen kann: ‚Du hast jetzt irgendwas Beschissenes gemacht‘, sondern es sind Momente, in denen man sich ganz klar unwohl fühlt. Er weiß das auch und er merkt das auch und hat irgendwie so eine Freude daran, dass wir in diesen Situationen mit ihm sind, wo er Grenzen testen kann.

Alex erzählt hier von ihrem Schulleiter, der auch als Dozent an der Schule unterrichtet. Es sollen sogar Schülerinnen vor einigen Jahren gegen ihn geklagt haben, da er sexuelle Handlungen erwartet habe. Im Gegenzug wollte er jene eine Prüfung bestehen lassen. Was Alex uns erzählt, ist kein Einzelfall. Die Dozierenden an Schauspielschulen kennen private Geschichten und die finanziellen Umstände ihrer Studierenden. Sie fühlen sich dermaßen sicher, dass sie sich übergriffig verhalten (können), ohne große Konsequenzen zu erfahren. Dieses Machtgefälle schafft ein Klima der Angst und des Schweigens, in dem sich Opfer oft isoliert und machtlos fühlen.  

Das Schlimme ist: Er weiß ja genau, was wir für Gerüchte kennen und was sich davon weiterträgt. Und dann in einem Einzelunterricht mit mir einfach die Hose aufzumachen, ist eben genau das, was ich mit ‚Grenzen austesten‘ gemeint habe. Ich hab‘ das Gefühl, dass er es ganz besonders bei Leuten macht, wo er merkt, dass da so eine gewisse Distanz ist. Ich sehe ihm das richtig an, er beäugt einen so richtig, wenn man dieses unruhige Gefühl hat. Also ich meine, er ist ja selber Schauspieler, er guckt sich das richtig an, wie so eine Studie, die er da an uns testet. 

Auch Toni berichtet uns von einem Vorfall an ihrer Schauspielschule. Sie hat sich nach dem Vorfall mit einem Dozenten der dortigen Anlaufstelle gegen Diskriminierung und Gewalt anvertraut. Allerdings ist diese Anlaufstelle mit den Beschäftigten der Schauspielschule besetzt, wie es auch in vielen anderen Schulen der Fall ist. Auch in Tonis Fall ging es nicht darum, durch die Anlaufstelle einen Ort des Vertrauens für die Studierenden zu schaffen. Stattdessen wurde ein Organ installiert, das die Schulleitung vor Klagen und internem oder medialem Aufruhr schützen soll. Dort würden die Informationen nicht vertraulich behandelt, sondern die Verantwortlichen der Anlaufstelle stünden im ständigen Austausch mit der Leitung über die Berichte der Studierenden. Toni erzählt im Interview: 

Es gab einen Dozenten bei uns, über den ich zu Beginn meiner Ausbildung schon mal was gehört habe, bezüglich Fotoshootings mit Kommilitoninnen. Er ist kein guter Fotograf, aber sehr charismatisch, der redet mit allen und er erinnert sich an Namen, an Details. Er ist jemand, der einen schnell in den Bann zieht, aber auch jemand, der oftmals zutiefst rassistische Witze reißt. Bei einem Unterricht hat er mehrfach das N-Wort gedroppt und dann noch ein paar sexistische Witze hinterhergeschoben. Ein paar von uns waren total in Schockstarre, als er das gemacht hat, weil wir gar nicht wussten, was wir sagen sollen. Wir haben das bei der Antidiskriminierungsstelle unserer Schule gemeldet und jemand von dort muss ihm erzählt haben, was wir gesagt haben. Daraufhin wurde ich aus der hauseigenen Agentur meiner Schule geschmissen. Wenn sowas passiert, dann denkt man erst mal: ‚Okay, scheiße für mich jetzt gerade‘ und dann haben ich in unsere Klassengruppe geschrieben, aber man hat gemerkt, die Leute hatten Angst und haben darum gesagt, dass sie sich nicht mehr erinnern würden.

Auf Kommiliton:innen kann man sich in diesen Situationen nicht immer verlassen, denn die Furcht vor Konsequenzen lähmt die gegenseitige Solidarität. Übergriffe können somit vor den Augen der gesamten Klasse stattfinden und auf wenig bis keinen Widerstand stoßen, da Zeug:innen später vorgeben, sie hätten nichts gesehen oder es vergessen. 

Ich habe irgendwie dann nach Hilfe gesucht, aber es hat wirklich niemanden interessiert. Stattdessen habe ich eine E-Mail von ihm bekommen, wo er halt mir alle möglichen Dinge erzählt hat, dass ich ja nicht weiß, wie es in diesem Beruf aussieht und ich ganz vorsichtig sein soll, mit wem ich mich anlege, also schon sehr drohend auch. Und er ist auch jemand, der viel im deutschen Fernsehen arbeitet. Das heißt, ich glaube, dass der auch selber Schiss hatte um seinen Ruf. 

Die Folgen von Missbrauch jeglicher Art an Schauspielschulen können weitreichend sein und sich auf die Psyche, aber auch die berufliche Zukunft der Betroffenen auswirken. Viele Opfer kämpfen mit traumatischen Erfahrungen und fühlen sich verletzt, gedemütigt und entmutigt. Einige geben den Wunsch, Schauspieler:in zu werden, auch auf.

„So ist das Showbusiness eben“

Im Schauspielstudium werde einem nicht selten eingeredet, dass diese Missstände nicht ungewöhnlich seien und man sich damit schon einmal für die Arbeitswelt wappnen solle, so berichtet Toni. Die Studie von Thomas Schmidt bestätigt diese Annahme zunächst: Angeschrien werden auf Proben, Drohungen, das Arbeitsverhältnis nicht weiter zu verlängern, Missachtung der Privatsphäre durch nächtliche Anrufe. Und auch in der ARTE-Dokumentation wird von sexuellen Übergriffen, systematischem Mobbing, cholerischen Leitungspersonen, wie Intendanz oder Regie, Geschrei und Beleidigungen berichtet. So ist das Showbusiness eben. Doch stimmt das?

Darstellende und andere Kunstschaffende aus der Film- und Theaterbranche lassen natürlich nicht alles still über sich ergehen. Neben den Teilnehmenden der Studie von Schmidt und den Personen, die wir in der ARTE-Dokumentation sehen, gibt es auch öffentliche Prozesse von Darsteller:innen, die sich wehren. Ein prominentes Beispiel aus dem deutschsprachigen Raum ist Merve Aksoy. Sie reichte 2023 Klage gegen einen Regisseur beim Arbeitsgericht Berlin ein. Der Regisseur soll Nacktaufnahmen, zu denen sie gedrängt worden sei, im Film verwendet haben. Diese waren vertraglich nicht vorgesehen und Aksoy selbst sah sie bei der Premiere des Films auf der Berlinale zum ersten Mal. Zusätzlich soll eine Gewaltszene gefilmt worden sein, die echt gewesen sei. Zum Schutz der Darsteller:innen ist allerdings vorgeschrieben, dass in solchen Fällen sowohl Kampf- als auch Intimitätskoordination stattfinden müssen. Intimitätskoordination ist eine Errungenschaft der letzten Jahre, vor allem im Bereich von Film aber auch im Theater. Sie ermöglicht, dass intime Szenen wie Liebes-, Kuss- oder Sexszenen nicht mehr einfach irgendwie „gemacht“ werden, sondern ebenso choreographiert und geprobt werden, um sicherzustellen, dass Grenzen eingehalten werden.

Nach über zwei Jahren Prozess gewann Aksoy kürzlich in zweiter Instanz. Im Rahmen ihres Prozesses wurde die Kampagne #GenugGeschwiegen ins Leben gerufen. Sie setzt sich für einen grundlegenden Wandel in der deutschen Film- und Theaterbranche ein. Selbst erklärtes Ziel sei es, Betroffene zu ermutigen, ihre Erfahrungen öffentlich und so den weitverbreiteten Missbrauch sichtbar zu machen. Darüber hinaus fordert die Kampagne konkrete politische Maßnahmen und Reformen auf gesetzlicher Ebene, um mehr Schutz für die Betroffenen zu erreichen. Doch trotz der vollen Gerichtssäle und Solidaritätsaktionen von MeToo-Germany und der #GenugGeschwiegen-Kampagne, berichtet Aksoy davon, dass Agenturen sie ablehnen, Jobangebote ausbleiben und sich zahlreiche Kolleg:in­nen nicht mit ihr solidarisieren. 

Genug Geschwiegen!

Merve Aksoy ist mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit gegangen und kann vielen Kunstschaffenden ein Vorbild sein. Auch Alex und Toni aus unserem Interview haben sich entschieden, die Vorfälle an ihren Schulen öffentlich zu machen, wenn auch zunächst anonym. Die Dunkelziffer all derjenigen, die über Vorfälle an ihren Arbeitsplätzen oder in der Ausbildung schweigen, ist allerdings riesig. Die Wenigsten trauen sich, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, da solche offenen Prozesse immer noch bedeuten können, Studienplätze zu verlieren, für Jobs nicht mehr in Frage zu kommen oder den Arbeitsplatz zu riskieren.

Eine neue Umfrage zu dem Thema ist gerade im Umlauf, mithilfe derer Machtmissbrauch und Diskriminierung in der gesamten Kulturszene des deutschsprachigen Raums erfasst, analysiert und erörtert werden soll. Es soll erhoben werden, wie groß das Problem tatsächlich ist, welche Arten von Machtmissbrauch und Diskriminierung besonders verbreitet sind, welche Unterschiede es zwischen den Ländern gibt und welche strukturellen Zusammenhänge zu Machtmissbrauch und Diskriminierung führen. Auch Studierende können an der Umfrage, die noch bis zum 25. August offen ist, teilnehmen. 

Das Problem zu erfassen und sichtbar zu machen, kann der erste Schritt sein. Doch gilt es sich auch dort zu wehren, wo der Machtmissbrauch stattfindet, an den Schauspielschulen selbst. Wie Tonis Erzählung deutlich gemacht hat, entsteht die dafür nötige Solidarität unter den Kommiliton:innen aber nicht von selbst. Sie muss durch die Selbstorganisierung der Studierenden erst geschaffen werden, an Schauspielschulen wie an jeder anderen Hochschule. Einen wichtigen Beitrag dazu können Komitees darstellen, in denen Frauen und Queers zusammenkommen, um für ihre Forderungen gegen Unterdrückung einzutreten.

Zu den Faktoren, die Machtmissbrauch begünstigen, zählen auch prekäre Arbeitsverhältnisse. Besonders das Theater war und ist teilweise immer noch Ort der Prekarität. Seit 2002 gilt in Deutschland der Normalvertrag Bühne (NV-Bühne) in staatlichen und städtischen Theaterbetrieben für das künstlerische Personal. Dieses Jahr rief die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) in den Tarifverhandlungen sogar erstmals in ihrer Geschichte zum Streik auf. Ein wichtiges Zeichen dafür, dass auch Künstler:innen sich zunehmend als Arbeiter:innen verstehen. Der Weg zu besseren Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen kann der gleiche sein, wie er es in anderen Arbeitskämpfen gewesen ist. In den USA sind 2023 Mitglieder der SAG-AFTRA, der Gewerkschaft für Schauspieler:innen und Medienschaffende, in den Streik getreten, bei dem sie unter anderem die Erhöhung der Mindestgehälter sowie Zusicherungen über Ausstrahlungsrechte und Tantiemen bei Streaming-Diensten forderten. Die Folgen waren für die Studios verheerend. Der Schaden für die Branche wurde nach sechs Monaten Streik auf 6 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Streiks sind ein Mittel der Arbeiter:innenklasse, um ihre Forderungen durchzusetzen. Im deutschsprachigen Raum allein absolvieren jährlich rund 200 neue Schauspieler:innen die Ausbildung und suchen ihren Weg in den Arbeitsmarkt. Sie können gemeinsam mit den tausenden Darsteller:innen, die schon arbeiten, die Ergebnisse der erneuten Umfrage nutzen, sich für bessere Arbeitsbedingungen und gegen Machtmissbrauch einsetzen und gemeinsam mit dem Aufruf der GDBA in den Streik treten. In den USA sind fast alle hauptberuflichen Schauspieler:innen Mitglieder der Gewerkschaft. Somit blieben die Produktionen in Hollywood zum Zeitpunkt der Streiks stehen.

Auch im deutschsprachigen Raum sind Darsteller:innen und auch andere Kunstschaffende in der Lage, den Betrieb zum Stillstand zu bringen. Zu Pandemie-Zeiten wurde behauptet, die Kunst sei nicht systemrelevant. Doch das stimmt nicht. Folgen wir den Worten Leo Trotzkis, die er in seinem Leserbrief von 1938 mit dem Titel „Kunst und Revolution“, schreibt, so erfahren wir: 

Ganz allgemein gesagt, drückt der Mensch in der Kunst sein Verlangen nach einem harmonischen und erfüllten Leben aus, d.h. den kostbarsten Gütern, deren ihn die Klassengesellschaft beraubt. Deswegen enthält jedes echte Kunstwerk immer einen Protest gegen die Wirklichkeit, sei er nun bewußt oder unbewußt, aktiv oder passiv, optimistisch oder pessimistisch. Jede neue künstlerische Richtung hat mit einer Rebellion eingesetzt.

Rebellionen werden nötig sein, um die Produktionsbedingungen unserer Kunst zu verbessern. Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben, dass diese unter kapitalistischen Bedingungen jemals frei sein könnte. So wenig wir uns mit den Strukturen des Machtmissbrauchs abfinden dürfen, sollten wir zulassen, dass unsere Kunst vereinnahmt und unsere Ausdruckskraft durch die Klassengesellschaft kontrolliert wird. Dasselbe kapitalistische System, das die Kunst beschneidet, bringt auch die patriarchale Unterdrückung hervor. Trotzki hat zwar das Theater nicht erwähnt, doch gilt auch für uns, was er den Künstler:innen am Ende desselben Textes mit auf den Weg gab:

Echtes geistiges Schaffen ist unvereinbar mit Lüge, Heuchelei und Konformismus. Die Kunst kann nur insoweit ein großer Bundesgenosse der Revolution sein, als sie sich selbst treu bleibt. Dichter, Maler, Bildhauer, Musiker werden selbst ihren Weg und ihre Methode finden, wenn die emanzipatorische Bewegung der unterdrückten Klassen und Völker die Wolken der Skepsis und des Pessimismus verjagt, die heute den Horizont der Menschheit verdunkeln.

Korrektur: In einer früheren Fassung hieß es fälschlicherweise, der NV Bühne gelte seit 2022. Wir haben den Fehler korrigiert.

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