Humanitäre Hilfe als Todesfalle

Seit Ende Mai werden immer wieder nach Hilfe suchende Palästinenser:innen an den Verteilzentren der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) von Soldat:innen erschossen. Medecins sans frontieres/Ärzte ohne Grenzen (MSF) bezeichnet die Arbeit der GHF “als humanitäre Hilfe getarntes Massaker” und “Todesfalle”.
Vor über 100 Tagen haben israelische Behörden die völkerrechtswidrige Blockade humanitärer Hilfsgüter für den Gazastreifen verhängt. Ende Mai gründete sich die von den USA und Israel unterstützte private GHF-Stiftung mit 4 Verteilzentren. Diese befinden sich alle in von israelischen Streitkräften kontrollierten Gebieten im Süden des Landes, aus denen Palestinänser:innen zuvor gewaltsam vertrieben wurden. Immer wieder werden hungernde, nach Hilfe suchende Zivilist:innen in den Verteilzentren von der israelischen Armee erschossen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen sind bereits mehr als 500 Menschen getötet und mehr als 4000 Menschen verletzt worden. Nun fordert MSF (Medecins sans frontieres/Ärzte ohne Grenzen) die sofortige Abschaffung der GHF (Gaza Humanitarian Foundation) und die Wiederherstellung der Verteilmechanismen der UN, ein Ende der Blockade von Lebensmitteln, Treibstoff und humanitären Gütern sowie einen dauerhaften Waffenstillstand.
Die GHF ist Teil israelischer Kriegsführung und Mittel zur weiteren Durchsetzung des Genozids
Die GHF dient lediglich der Instrumentalisierung humanitärer Hilfe, um israelische Staatsinteressen fortzusetzen. 400 unabhängige Hilfszentren und Ausgabestellen wurden Ende Mai durch vier Verteilzentren ersetzt, die von amerikanischen und israelischen Streitkräften kontrolliert werden. Diese können und sollen keine sichere und gerechte Versorgung der Bevölkerung in Gaza sicherstellen, stattdessen zwingt sie alle Menschen in Gaza dazu, lange Wege auf sich zu nehmen. Dabei sind die Menschen durch die totale Blockade von Hilfsgütern körperlich bereits massiv geschwächt. Laut IPC werden bis September 2025 100% der Menschen in Gaza von akuter Nahrungsunsicherheit betroffen sein und mehr als jede zweite Person in Gaza unter schwerwiegender Mangelernährung leiden. Palästinenser:innen werden also täglich vor die Entscheidung gestellt an Hunger zu sterben, oder den weiten Weg zu den Ausgabestellen hinter sich zu legen, mit dem Risiko, dort verletzt oder getötet zu werden.
Dass die GHF Verteilzentren Israel als Kriegsinstrument dienen, wird in mehreren Punkten deutlich. Nicht nur durch das chaotische und tödliche Vorgehen der Soldat:innen vor Ort, sondern auch durch die gezielte, geographische Platzierung der Verteilzentren in den Süden, um den Krieg zu beeinflussen und die ethnische Säuberung des Gazastreifens voranzutreiben. Denn dadurch werden alle Palästinenser:innnen in den Süden gelockt, damit der nördliche Teil des Gazastreifens von israelischen Streitkräften eingenommen werden kann. Außerdem wird von versteckten Oxycodon-Pillen in Mehlsäcken berichtet, die von diesen amerikanisch-israelischen Hilfszentren ausgegeben werden. Dabei handelt es sich um halbsynthetische Opioide, die bei sehr starken Schmerzen eingesetzt werden und in hohen Dosen, beziehungsweise nicht an Alter und Körpergewicht angepasste Dosen, zu Abhängigkeit, Halluzinationen, Erbrechen und im schlimmsten Fall zum Atemstillstand und Tod führen können.
Der Notfallkoordinator Aitor Zabalgogeazkoa von Ärzte ohne Grenzen in Gaza beschreibt die Willkür der Gewalt, der die Palästinenser:innen an den Verteilzentren der GHF ausgesetzt sind folgendermaßen: “Kommen die Menschen früh zu den Verteilzentren und nähern sie sich ihnen, wird auf sie geschossen. Kommen sie pünktlich an, sind es aber zu viele und springen sie über die Absperrungen, wird auf sie geschossen. Kommen sie zu spät, dann dürfen sie nicht mehr dort sein und es wird auf sie geschossen”.
Haaretz Bericht legt Schießbefehle offen
Dabei geht die IDF ganz bewusst gegen Palästinenser:innen vor, wie eine Recherche der israelischen Zeitung Haaretz zeigt. Darin bestätigen Soldat:innen, die anonym bleiben wollen, dass sie wissentlich und willentlich dazu angehalten werden, ohne Vorwarnung auf Unbewaffnete zu schießen, die sich den Verteilzentren nähern. Neben der IDF sind auch andere Personen und Gruppen in die gezielten Tötungen verwickelt, wie der Abu Shabab Klan. Eine Miliz innerhalb Gazas, die von Israel bewaffnet wird, um IDF Soldat:innen zu “schützen” und die für einen Großteil der Plünderungen von Hilfsgütern verantwortlich ist.
Gesundheitsversorgung in Trümmern
Jeden Tag suchen Palästinenser:innen vergeblich nach medizinischer Hilfe in einfachen oder provisorischen Gesundheitseinrichtunngen, die nicht für die Behandlung von Menschen mit schweren Verletzungen ausgerüstet sind. Die Spitäler, die es waren, wurden durch israelische Angriffe komplett zerstört oder funktionieren nur noch teilweise. Es mangelt an Schmerzmitteln, Anästhetika und Bluttransfusionen. So beispielsweise auch in der provisorischen Einrichtung von MSF in al-Mawasi, die seit dem 07.Juni 423 Verwundete aufgenommen hat, die bei den GHF Verteilstellen verletzt wurden und jeden Tag kommen mindestens zehn dazu. Doch diese Verletzungen erfordern sofortige lebensrettende Maßnahmen, die nicht nur in al-Mawasi, sondern überall in Gaza nicht mehr geleistet werden können.
Das medizinische Personal ist tagtäglich mit den Folgen des Genozids und der humanitären Katastrophe konfrontiert, ohne den Menschen die benötigte medizinische Hilfe leisten zu können. Es fehlt an Fachkräften, Gebäuden, Ausrüstung und Medikamenten, wodurch lebensrettende Interventionen unmöglich gemacht werden. Wir unterstützen die Forderungen von MSF/Ärzte ohne Grenzen und rufen alle Arbeiter:innen und Studierende aus dem medizinischen Sektor dazu auf, sich mit ihren Kolleg:innen von MSF zu solidarisieren und gemeinsam gegen die humanitäre Katastrophe und den Genozid in Gaza zu kämpfen.
Dabei ist jedoch die Abgabe der Kontrolle und Vergabe der Hilfsgüter an die UNO oder eine NGO nicht die Lösung, wir müssen dies selbst in die Hand nehmen, um gegen alle repressiven Systeme und imperialistischen Agenden zu kämpfen und im echten Interesse des palästinensischen Volkes zu handeln. Wir können uns nicht auf scheinbar unabhängige Institutionen verlassen, die von imperialistischen Mächten unter Druck geraten und somit zum verlängerten Arm solcher Interessen werden könnten.
Denn der Völkermord am palästinensischen Volk hat seit dem 07.Oktober 2023 mindestens 56.000 Menschen das Leben gekostet, über die Hälfte sind Frauen, Kinder und Ältere. Dringend benötigte medizinische Versorgung ist durch die gezielten Bombardierungen von Krankenhäusern und die seit 100 Tagen andauernde völkerrechtswidrige Blockade von Hilfsgütern kaum mehr möglich. Die komplette Bevölkerung Gazas steht vor der Hungersnot, während die Verteilzentren der GHF keine humanitäre Hilfe bieten sollen, sondern lediglich Teil Israels genozidaler Kriegsführung sind.
Wir fordern deshalb das sofortige Ende der völkerrechtswidrigen Blockade, einen sofortigen Waffenstillstand, sowie den sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen an Israel und den Rückzug aller israelischen Truppen aus Gaza. Wir müssen uns an unseren Unis, in der Schule und in den Betrieben gegen die Aufrüstung und Militarisierung stellen und uns international als Studierende und Arbeiter:innen organisieren um gegen den Genozid zu kämpfen.