Palästina, Imperialismus und Antikoloniale Befreiung

11.04.2024, Lesezeit 30 Min.
1
Quelle: Anas-Mohammed / Shutterstock.com

Während der Genozid in Gaza weitergeht, finden in der weltweiten Solidaritätsbewegung Diskussionen statt, wie eine Befreiung von Palästina zu erreichen ist. Warum es für die Befreiung Palästinas eine Revolution braucht und warum diese Revolution einen internationalistischen und sozialen Charakter trägt.

Seit 5 Monaten gehen Hunderttausende Menschen überall auf der Welt auf die Straße in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung. Israel führt einen verbrecherischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung, bei dem bisher über 35.000 Menschen ermordet wurden, davon über 13.000 Kinder. Ein Genozid, der mithilfe der imperialistischen Staaten wie USA und Deutschland stattfindet, und mit Akzeptanz der regionalen kapitalistischen Regierungen wie Ägypten und Jordanien ermöglicht wird. 

Viele Aktivist:innen, die auch in Europa auf die Straße gehen, merken, dass die palästinensische Frage eng mit dem Einfluss des westlichen imperialistischen Staates in der Region zu tun hat. Es finden Demonstrationen unter dem Motto „Global South United“  statt, die auf den gemeinsamen Kampf aller vom Imperialismus ausgebeuteten und unterdrückten Völker aufmerksam machen. In mehreren Ländern mobilisieren die Gewerkschaften gegen den Genozid und für einen Waffenstillstand. 

Nicht ohne Grund sehen in der palästinensischen Sache Millionen von Arbeiter:innen, Jugendlichen und Unterdrückten weltweit einen Teil ihres eigenen Schicksals. Ein Anliegen, das eng mit der eigenen Befreiung zusammenhängt. „Niemand ist frei, bis alle von uns frei sind.“

Wir denken, dass es für die Befreiung Palästinas eine Revolution braucht. Und, dass diese Revolution einen anti-kolonialen, anti-imperialistischen, internationalistischen und sozialistischen Charakter tragen muss, wenn sie eine vollständige Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung bringen will. Im Folgenden versuchen wir dies auf Grundlage der historischen Erfahrungen und Lehren aus dem Klassenkampf darzustellen. 

Imperialistisches Weltsystem und Kolonisierung Palästinas

Seit seiner Gründung ist der israelische Staat ein Instrument zur Unterdrückung, Ausgrenzung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Millionen Palästinenser:innen leben unter einem militärischen Besatzungsregime – ungefähr sechs Millionen leben im Exil, das heißt in den Nachbarländern und über die Welt verteilt. Apartheid, also ein System der systematischen Unterdrückung, Trennung und Entrechtung einer ethnischen Gruppe, war von Anfang an vorprogrammiert. Der Zionismus ist und bleibt ein aktiv-koloniales Projekt, von der Vertreibung von 750.000 Palästinenser:innen während der Nakba 1948 bis heute.

Die Befreiung Palästinas und der palästinensischen Massen bedeutet nicht nur die Abwehr des aktuellen Genozids durch dieisraelischen Armee und das Erreichen eines Waffenstillstands, sondern eine Revolution in Palästina, die das Kolonialregime und jegliche Unterdrückung- und Ausbeutungsverhältnisse abschafft. 

Die Ursprünge der modernen Kolonisierung Palästinas reichen bis zur Jahrhundertwende ins 20. Jahrhundert zurück. Schon 1885 schrieb der ideologische Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, von der Notwendigkeit eines rein jüdischen Staates. 1896 schrieb er in seinem Werk „Der Judenstaat“ über die Beziehungen seines „kolonialen Projektes“ in Palästina mit den imperialistischen Kräften Europas: „Für Europa dürften wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“

Der Erste Weltkrieg und die Besatzung Palästinas durch Großbritannien 1917/18 im Krieg gegen das osmanische Reich ermöglichte erst, dass die zionistische Bewegung in Europa anfing, eine Siedlungskolonie in Palästina zu errichten. Später fand die Gründung des israelischen Staates auf dieser Grundlage statt. 

Die Interventionen Großbritanniens und anderer europäischer Mächte im „Nahen Osten“ (also Westasien und Nordafrika) fanden vor dem Hintergrund der Entwicklung des Kapitalismus zu einer neuen Etappe statt: dem Imperialismus. Wegen der wirtschaftlichen Erfordernisse der Entwicklung der  kapitalistischen Produktionsweise war es für die kapitalistischen Staaten und Großkonzerne notwendig, neue Absatzmärkte für ihre Produkte zu schließen, Kapitalinvestitionen im Ausland zu tätigen und Rohstoffe und Handelsrouten in anderen Kontinenten zu sichern. 

Anfang des 20. Jahrhunderts war es für die größten kapitalistischen Länder nicht mehr möglich, um solche neuen Absatzmärkte und Kolonien auf „friedlichem Wege“ zu konkurrieren. Die Weltmärkte mussten mit Waffengewalt erobert und verteidigt werden. So stieg auch das Interesse der imperialistischen Staaten am Nahen Osten, da dieser über reiche Ölreserven verfügte und geopolitisch aufgrund der wichtigen Handelsrouten zwischen Europa, Afrika und Asien wie dem Suezkanal eine Schlüsselposition innehatte. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914-1918 kolonisierten Großbritannien und Frankreich Länder im Nahen Osten. 

Auch im 21. Jahrhundert sehen wir, dass der Nahen Osten immer noch von Interventionen der imperialistischen Mächte dominiert wird. Im vermeintlichen „War on Terror“ (“Krieg gegen den Terror”) der NATO-Staaten, der eine neue Periode der Militärischen Besatzung des Nahen Ostens, darunter Syrien, Irak und weiterer Staaten darstellte, starben Schätzungen nach von 2001 bis 2021 4,5 Millionen Menschen aufgrund der Folgen der Militäroperationen. Dazu mussten 38 Millionen Menschen aus ihren Wohnorten fliehen. Währenddessen stieg der Anteil des Nahen Ostens an der Globalen Erdöl-Produktion im Jahre 2023 auf 31,3 Prozent, während Irak und Syrien die Mehrheit der Öl-Importe in die EU tätigen. 

Während Israel als ein Stützpunkt für die zahlreichen Militärinterventionen der NATO-Mächte im Irak, Iran, Syrien, Ägypten usw. diente, stellte sich der Imperialismus vollständig hinter die Kolonisierung Palästinas und subventioniert bis heute den israelischen Staat jährlich mit Geldern in Milliardenhöhe. So besteht die strategische Allianz zwischen dem Zionismus und dem westlichen Imperialismus bis heute an. Diese besondere Stellung ermöglicht dem israelischen Staat eine relative politische Selbstständigkeit – trotz ökonomischer Abhängigkeit –, die ihn aufgrund der hoch entwickelten Rüstungsindustrie zu einer Regionalmacht entwickelte.

Die Befreiung Palästinas und Zerschlagung des zionistischen Kolonialregimes ist also eng mit der Frage des Imperialismus, seinem Rauswurf aus dem Nahen Osten und seinerendgültigen Zerschlagung verbunden. Ein internationaler Kampf ist notwendig. 

Der anti-imperialistische Charakter der Befreiung Palästinas

Das palästinensische Volk braucht in diesem internationalen Kampf gegen den israelischen Kolonialismus und westlichen Imperialismus Verbündete. 

Seit Oktober sehen wir, dass in Jordanien, Libanon, Ägypten, sowie der Türkei Hunderttausende Menschen in Solidarität mit Gaza auf die Straße gingen. Teilweise strömten sie an die Grenzen ihrer Staaten zu Israel und Palästina, um die Zäune zu durchbrechen und den Menschen in Gaza Hilfsgüter zu bringen. Bevor sie mit dem israelischen Militär konfrontiert wurden, taten dies die jordanische oder ägyptischen Polizei bzw. der Grenzschutz, die den Auftrag hatten, mit allen Mitteln  zu verhindern, dass die Massen die Grenzen überqueren, da  eine direkte Hilfe der Massen an den Grenzen zu Palästina das Bündnis zwischen den verräterischen kapitalistischen Regierungen Jordaniens oder Ägyptens mit Israel gefährden würde. 

Die kapitalistischen Regierungen Syriens, der Türkei, Ägyptens oder Jordaniens sind nur in Worten mit dem palästinensischen Volk solidarisch, während sie geopolitisch mit Israel, der NATO und den USA paktieren, Waffengeschäfte mit dem israelischen Militär machen und eine soziale internationalistische Revolution in der Region verhindern, da diese auch ihre eigene Stellung im imperialistischen Ausbeutungssystem im Nahen Osten gefährden würde. Denn die nationalen Kapitalist:innenklassen (Bourgeoisien) dieser Länder, in derem Interesse regiert wird, profitieren selbst von der imperialistischen Unterdrückung ihrer Länder. 

Die nationalen Eliten und Bourgeoisien privatisieren und verkaufen einheimische Betriebe an ausländisches Kapital, wenn dies gefordert wird. Sie schließen Freihandelsabkommen und beziehen „Entwicklungshilfen“ im Gegenzug zur geopolitischen Zusammenarbeit und Zugang der imperialistischen Konzerne zum nationalen Gütermarkt und vergleichsweise billigen Arbeitskräften. Sie beziehen Kredite von internationalen Banken, die jedoch durch Kürzungen und Verschlechterung der Lebensbedingungen der Massen zurückgezahlt werden. 

Durch all diese Maßnahmen bereichern sie sich selbst und nehmen sich ihren Anteil vom imperialistischen System der Kapitalakkumulation. Sie sind darauf angewiesen, sich den imperialistischen Ländern zu unterwerfen und als ihre „Agenten“ zu agieren.

Die regionalen Solidaritätsbewegungen mit Palästina im Nahen Osten müssten also ihre eigenen kapitalistischen und korrupten Regierungen konfrontieren, um den Menschen in Palästina zu helfen. Nicht die Haschemiten, Al-Sisis und Erdoğans, sondern die Arbeiter:innen und Ausgebeuteten der benachbarten Länder sind die Verbündeten des palästinensischen Volkes. Durch Massendemonstrationen, Generalstreiks und Blockaden können die Arbeiter:innenklasse und Werktätigen der Region die imperialistische Weltwirtschaft lahmlegen. 

Stellen wir uns vor, was es für europäische Regierungen bedeuten würde, wenn sie kein Erdöl mehr von ihren Hauptimporteur:innen aus dem Irak und Syrien bekommen würden, weil diese Betriebe im Rahmen von Generalstreiks von Arbeiter:innen besetzt, blockiert und selbstverwaltet wären. Aus dieser Perspektive stellen die aktuellen Massenproteste gegen die jordanische Monarchie, die sich sowohl gegen die soziale Krise, als auch gegen die verräterische Haltung der Regierung zum Genozid in Gaza stellen, eine wichtige Dynamik dar. 

Dynamik der Revolten gegen reaktionäre kapitalistische Regierungen

Jede revolutionäre und anti-imperialistische Bewegung in den benachbarten Ländern Israels stellt eine große Gefahr für sie dar, denn ohne ihre regionalen Verbündeten und des Schutzschirms der USA, sowie der EU, könnte sie nicht mehr überleben. 

Es gäbe auch die Gefahr, dass Revolutionen und Massenerhebungen in benachbarten Ländern eine internationale Dynamik wie während des sogenannten „arabischen Frühlings“ in den 2010er Jahre erzeugen könnte.  Erneute internationale Massenproteste in der Region gegen die korrupten Regierungen würden ebenfalls einen Einfluss auf Israel und Palästina ausüben. Teile der Arbeiter:innenklasse, die in israelischen Gebieten leben, könnten dazu gebracht werden, sich ebenfalls gegen das zionistische Regime zu stellen. Dafür wird es innen- und außenpolitische Niederlagen von Israel brauchen, die ihr Ansehen zertrümmern und Klassengegensätze in Israel selbst verschärfen.

Wir sind der Meinung, dass ein ausdifferenzierter Blick auf die Arbeiter:innenklasse Israels zeigt, dass es Teile gibt, die man möglicherweise von einem Bruch mit dem Zionismus überzeugen kann und muss, damit man dem zionistischen Staat seine Basis entziehen und eine Grundlage für ein Zusammenleben in einem zukünftigen sozialistischen, laizistischen und multiethnischen Palästina aufbauen kann. Dazu gehören auch Palästinenser:innen mit israelischem Pass und die Hunderttausenden Arbeitskräfte aus dem Ausland, die in der israelischen Industrie arbeiten. Die palästinensischen Arbeiter:innen werden die revolutionäre Führung in einem solchen Prozess innehaben, doch wir können nicht behaupten, dass die israelischen Arbeiter:innen niemals mit dem Zionismus brechen könnten. Dafür wird es jedoch große Niederlagen des zionistischen Staates brauchen. Dies ist eine strategische Notwendigkeit für ein friedliches Zusammenleben in einem gemeinsamen sozialistischen Staat. 

Hier dazu weiterlesen.

Im Falle von revolutionären Massenergebungen gegen das reaktionäre Regime existieren nicht unendlich viele Alternativen für den Ausgang dieser Prozesse. Diese können ineinander übergehen und Mischformen erzeugen, trotzdem können wir drei Hauptvarianten definieren:

Ein möglicher Ausgang ist, dass das alte kapitalistische Regime sich mit oder ohne Hilfe ausländischer Mächte stabilisiert und an der Macht bleibt, wie es das Assad-Regime in Syrien geschafft hat. Die zweite Option ist, dass das aktuelle Regime oder Regierung von den Massen oder Teilen des Militärs gestürzt wird, jedoch mit einer anderen bürgerlich-kapitalistischen Regierung ersetzt wird, wie es nach dem Sturz des Diktators Mubaraks in Ägypten im Jahre 2011 der Fall war, auf den die reaktionären und kapitalistischen Regierungen von Mohammed Mursi 2012 und des aktuellen Präsidenten El-Sisi, der durch einen Putsch 2013 an die Macht kam, folgten. Allesamt Regierungen, die dem Imperialismus treu blieben und von ihm unterstützt wurden, trotz ihrer internen Rivalitäten.

Es gibt jedoch eine dritte Option, in der die Arbeiter:innenklasse und werktätigen Massen es schaffen, sowohl das alte Regime zu stürzen, als auch verhindern, dass eine andere Fraktion der herrschenden Klasse mithilfe des Imperialismus die Macht an sich reißt, damit die kapitalistische und imperialistische Plünderung der Werktätigen unter einem anderen Namen und Banner fortgeführt wird. 

Dies gelingt den Arbeiter:innen und werktätigen Massen, indem sie nicht nur die aktuelle Regierung stürzen, sondern die gesamte kapitalistische Klasse vollständig enteignen und politisch entmachten. Für eine solche Enteignung der herrschenden Bourgeoise brauchen die Arbeiter:innen und Massen eine eigene Staatsmacht auf einer antikapitalistischen und sozialistischen Grundlage, die die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse mit kollektiv-sozialistischen Eigentumsverhältnisse ersetzt. Durch die Enteignung des ausländischen Kapitals und der Großbetriebe, sowie der vollständigen Kontrolle des Außenhandels, würde es ihr auch gelingen, den ökonomischen Einfluss des Imperialismus mit seinen multinationalen Konzerne zu brechen. 

Zudem ist es für eine solche sozialistische Revolution in Grenzen eines Nationalstaates lebensnotwendig, dass sie sich auf andere Länder ausweitet , um nicht vom kapitalistischen Weltmarkt isoliert zu werden. Daher treten wir für eine sozialistische Föderation im Nahen Osten ein, als die einzige Perspektive für den Rauswurf des Imperialismus aus der Region.

Die Verbündete des palästinensischen Volkes in imperialistischen Ländern

Wie wir anfangs darstellten, ermöglichte erst die Invasion der Kontrollzonen des Osmanischen Reiches im Nahen Osten durch den britischen Imperialismus im Zuge des Ersten Weltkriegs, dass die zionistische Bewegung in Europa anfing, eine Siedlungskolonie in Palästina zu errichten. Später fand die Gründung des israelischen Staates auf dieser Grundlage statt. 

Während des Ersten Weltkriegs kam es jedoch auch zu revolutionären Erhebungen wie in Deutschland oder der zaristischen Russland. Die Arbeiter:innen konnten im Bündnis mit Bäuer:innen und den armen Massen ihre Monarchien stürzen, in Russland sogar ihre imperialistische Bourgeoisie durch eine sozialistische Revolution entmachten. Dieser Prozess führte zur Befreiung von zahlreichen Völkern, die zuvor vom zaristischen Russland unterdrückt wurden. 

In Großbritannien wäre es auch die Aufgabe der Arbeiter:innenklasse gewesen, die kolonialistischen Vorhaben und die Beteiligung ihrer eigenen Bourgeoisie im Ersten Weltkrieg zu bekämpfen und eine eigene Revolution durchzuführen, was auch eine spätere Kolonisierung Palästinas hätte verhindern können. Es gab große Proteste, die jedoch scheiterten. Die Gründe dafür waren vielfältig. Ein Grund war jedoch, dass es keine revolutionäre Partei mit Masseneinfluss in Großbritannien gab, die sich konsequent gegen den Krieg stellte und die einflussreiche Labour Party sich mit dem Kolonialismus arrangierte.

Es geht hier weniger um eine historische Anekdote, sondern um die Verdeutlichung der Tatsache, dass die Kolonisierung von Völkern im sogenannten Globalen Süden sehr eng mit dem Kampf der Arbeiter:innenklasse in imperialistischen Zentren für die sozialistische Revolution und dem Sieg über ihre imperialistischen Bourgeoisien verbunden ist. 

Auch heute sehen wir unmittelbar, was geschieht, wenn in imperialistischen Zentren keine revolutionären Massenbewegungen existieren, die die imperialistischen Staaten in ihren kolonialistischen Vorhaben stoppen können. Deutschland, die USA und andere Mächte vervielfachen ihre Waffenlieferungen an Israel seit dem Beginn des Genozids, bombardieren Stellungen im Jemen, Libanon und Jordanien, positionieren ihre Kriegsschiffe im Suezkanal und dem Rotem Meer. Sie erinnern die Massen des Nahen Ostens daran, was sie erwartet, wenn sie ihre imperialistischen Interessen bedrohen. 

So sahen wir, wie es im Laufe des 20. Jahrhunderts mehrere imperialistische Interventionen oder vom Imperialismus organisierte reaktionäre Putsche gegen revolutionäre Bewegungen und nationalistische Regierungen gab, die es wagten, Kolonialmächte zu entmachten oder kapitalistische Eigentumsverhältnisse anzutasten. 

In Kuba organisierte die CIA 1961 eine gescheiterte Invasion in der Schweinebucht, um die kubanische Regierung von Fidel Castro zu stürzen und die USA attackiert bis heute die Wirtschaft Kubas durch ein Handelsembargo. In Chile unterstützte die CIA im Jahre 1973 wiederum aktiv die Planung und Durchführung des Militärputsches gegen den linken Präsidenten Salvador Allende, der unter dem Druck der Arbeiter:innenbewegung stand, Schlüsselindustrien zu enteignen. Der Putsch führte zur Machtübernahme von General Augusto Pinochet, der eine brutale Diktatur errichtete. 

Wir sahen in etlichen anderen antikolonialen Kämpfen wie dem Maji-Maji-Aufstand im heutigen Tansania und der Herero- und Nama-Aufstände im heutigen Namibia gegen das deutsche Reich (1904-1908) oder dem algerischen Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich (1954-1962), wie europäische imperialistische Mächte mit brutalen Militärinterventionen gegen antikoloniale Freiheitsbewegungen und Regierungen vorgehen und, wie im Falle Namibias, vor dem Genozid als Mittel nicht zurückschreckten. 

Die imperialistischen Mächte werden auch gegen alle zukünftigen revolutionär-sozialistischen oder antikolonialen Bewegungen mit Gewalt vorgehen. Die Befreiung der kolonisierten und abhängigen Ländern, die von den imperialistischen Mächten ausgebeutet und geplündert werden, hängt nicht nur von ihrem eigenen Kampf ab, sondern auch davon, ob sie ein Bündnis mit den Arbeiter:innen der imperialistischen Zentren erschaffen können. 

Der Algerienkrieg ist ein gutes Beispiel: Im Mai 1957 organisierten die französischen Kohlearbeiter:innen einen landesweiten Streik, um gegen die Kriegsanstrengungen in Algerien zu protestieren. Der Streik war eine der ersten großen Demonstrationen gegen den Krieg und führte zu einer beträchtlichen öffentlichen Unterstützung für die Antikriegsbewegung. Im Oktober 1960 kam es in Paris zu einem großen Generalstreik, der vom Gewerkschaftsverband CGT organisiert wurde. Der Streik richtete sich sowohl gegen die Politik der Kolonialregierung in Algerien als auch gegen die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in Frankreich. Der Generalstreik führte zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei und zu zahlreichen Verhaftungen. Im Januar 1961 streikten die Dockarbeiter:innen im Hafen von Marseille gegen den Krieg in Algerien und die Präsenz französischer Truppen in dem Land. Der Streik führte zu erheblichen Störungen im französischen Handel und veranschaulichte die breite Ablehnung des Krieges in der Bevölkerung.

Auch heute besteht angesichts des Genozids in Gaza und des Befreiungskampfes des palästinensischen Volkes die Aufgabe in den imperialistischen Zentren darin, die eigenen Regierungen daran zu hindern, die israelische Kolonialregierung weiter zu unterstützen. Die Blockade jeglicher Waffenlieferungen und logistischer Unterstützungen für die israelische Armee, ein internationaler Generalstreik der Gewerkschaften in Europa, die Lahmlegung der Industrie, um große wirtschaftliche Schäden in der israelischen Wirtschaft hervorzurufen, sind unbedingt notwendige Maßnahmen, die seitens der Arbeiter:innnenklasse in Europa getroffen werden müssen, um ihre Geschwister in Palästina gegen den Genozid und auch sich selbst gegen den Rechtsruck und die Kriegstreiberei zu verteidigen.

In diesem Sinne hat die Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Ländern die Macht, die Unterstützung des israelischen Staates praktisch zu beenden und die Forderungen der BDS-Bewegung nach Boykott, Desinvestment und Sanktionen durch eigene Aktionen  durchzusetzen. Hoffnungen, dass internationale Institutionen oder die kapitalistischen Staaten Europas und der USA auf Forderungen der BDS eingehen und diese umsetzen könnten, ist eine gefährliche Fehleinschätzung dieser bürgerlichen Kräfte und eine Strategie, die zum Scheitern verurteilt ist. Nicht selten versuchen Teile der imperialistischen Bourgeoisie, sich als eine vermeintlich humanitäre Kraft darzustellen, wie es aktuell die US-Demokraten versuchen. 

Für einen internationalistischen Kampf der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Zentren gibt es jedoch Hürden. Es braucht einen langfristigen Kampf in den Gewerkschaften von Revolutionär:innen und pro-palästinensischen Arbeiter:innen und Aktivist:innen. Die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführungen und reformistische Bürokratien der SPD, Grünen, sowie der LINKEN haben einen versöhnlerischen, pro-zionistischen und pro-imperialistischen Einfluss auf die Arbeiter:innenklasse, die millionenfach in den Gewerkschaften organisiert ist. Es fehlt in Deutschland an einer alternativen, internationalistischen und revolutionär-sozialistischen Führung – einer revolutionären Partei mit Masseneinfluss und Verankerung in Betrieben und Gewerkschaften. 

Eine solche Partei wäre in der Lage, einen Kampf für die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiter:innenklasse in imperialistischen Zentren zu führen. Als Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO), die klassegegenklasse.org herausgibt, kämpfen wir für den Aufbau einer solchen Partei. Im Rahmen dieses Kampfes führen wir aktuell angesichts der pro-kapitalistischen und pro-zionistischen Politik und dem Scheitern der Linkspartei eine Kampagne für die Gründung eines revolutionären, sozialistischen und internationalistischen Wahlfront für die kommenden Bundestagswahlen. Wir wollen gemeinsam mit allen Interessierten und anderen sozialistischen Organisationen unabhängige Kandidat:innen aus den Reihen der Arbeiter:innenklasse und der sozialen Bewegungen aufstellen, die unter anderem für die vollständige Befreiung Palästinas eintreten und den deutschen Imperialismus konsequent bekämpfen. 

Als RIO gehören wir einer internationalen sozialistischen Strömung an, der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale, die in 14 Ländern für den Aufbau solcher Parteien kämpft und aktuell eine internationalistische Kampagne zu Palästina, Krieg und Imperialismus durchführt. Es ist dringend notwendig, den Kampf für die palästinensische Befreiung mit dem Kampf gegen den steigenden Militarismus und der imperialistischen Plünderungspolitik zu verbinden. 

Nur durch einen gemeinsamen Kampf der unterdrückten Völker, der Arbeiter:innenklasse der Länder des Nahen Ostens und der Arbeiter:innenklasse der imperialistischen Zentren, können Palästina und alle anderen Kolonien befreit werden. 

Die Vollendung der antikolonialen Befreiung und der Sieg über den Imperialismus

Im Laufe des 20. Jahrhunderts erreichten mehrere ehemalige Kolonien der europäischen Mächte nach Befreiungsbewegungen und Kämpfen gegen die Kolonialmächte eine formale bürgerliche Unabhängigkeit. Benin, Burkina Faso, Guinea-Bissau, Elfenbeinküste, Mali, Niger, sowie viele weitere Länder Afrikas befreiten sich von der formalen Kolonialherrschaft Frankreichs. Nigeria, Kenia, sowie Uganda erlangten die Unabhängigkeit von Großbritannien.

Obwohl diese Länder nun formal unabhängig sind, einen eigenen Sitz in den Vereinten Nationen haben und laut dem internationalen Völkerrecht „gleichberechtigt“ sind, gab es in der Realität alles andere als ein Ende der imperialistischen Ausbeutung. So kassiert der französische Staat jährlich 400 Milliarden Euro an Steuern von seinen ehemaligen Kolonien. Viele der EX-Kolonien sind dazu gezwungen eine französische Kolonialwährung CFA („Franc für die Kolonien Frankreichs in Afrika“) zu verwenden, die früher an den Franken, heute an den Euro gekoppelt ist. Sie müssen 85 Prozent ihrer Währungsreserven in der französischen Zentralbank lagern. Somit können die Ex-Kolonien keinen Einfluss auf ihre eigene Währung ausüben und geldpolitische Maßnahmen für die einheimische Wirtschaft treffen. Die Ketten des Kolonialismus und der imperialistischen Plünderung sind also nicht vollständig gebrochen, sondern haben nur eine andere Form angenommen. 

Die imperialistische Plünderung durch die USA, Deutschland, Großbritannien und weitere imperialistische Mächte sehen in ihren jeweiligen Einflussspähren auf der Welt nicht grundlegend anders aus. 

Wir sehen also, dass die Errungenschaft, sich im bürgerlichen Sinne als „souveränen“ Staat zu gründen, in keinster Weise bedeutet, dass eine vollständige Befreiung erreicht ist. Diese im bürgerlichen Sinne „unabhängigen“ Länder werden weiterhin von imperialistischen und kolonialen Mächten ökonomisch geplündert und sind wirtschaftlich wie politisch weiterhin abhängig. Daher auch die Bezeichnung als „halbkoloniale“ oder „abhängige“ Länder. Durch die Schuldenpolitik der imperialistischen Mächte, durch ihre Zentralbanken, die Weltbank und den Internationalen Währungsfond gegenüber formal unabhängigen, aber in allen anderen Hinsichten abhängigen Ländern, findet eine beispiellose Plünderung statt. 

Manche Kräfte des heutigen liberalen Postkolonialismus meinen, dass der Kolonialismus hauptsächlich „in den Köpfen der Menschen“, in der Kunst, in der Wissenschaft, sowie in der Sprache weitergeführt wird. Ihrer Meinung nach braucht es eine „Dekolonisation“ dieser Institutionen und Phänomene und sie schlagen daher oft ein „Umdenken“ dagegen vor: #decoloniseyourmind heißt ihre Devise. Es stimmt, dass die menschliche Kultur weiterhin kolonialistische Merkmale aufweist und auch die Arbeiter:innen imperialistischer Zentren, die selbst ausgebeutet werden, nicht davon befreit sind. Die Grundlage und der Motor der kolonialen Kontinuität liegt jedoch nicht in der Welt der Ideen oder der Sprache, sondern in den internationalen und ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen. So wird er nur durch einen Umsturz dieser Verhältnisse zerschlagen werden können. Nicht allein durch Sprache und akademische Texte, sondern durch materielle Gewalt: Massenproteste, Blockaden, Generalstreiks, Enteignungen und den internationalen Kampf um die Staatsgewalt für die Reorganisation der Weltwirtschaft. 

Dieses imperialistische Ausbeutungssystem wird zwar durch die genannten internationalen Wirtschaftsinstitutionen und multinationalen Konzerne im Dienste der Länder wie den USA, der EU, China, etc. reguliert, jedoch bleiben das Militär und Waffengewalt die tatsächliche Methode für die Unterwerfung. Alleine die USA haben  von 1900 bis heute mindestens 72 Militärinterventionen im Ausland durchgeführt, um ihre ökonomischen und geopolitischen Interessen mit Waffengewalt und Massakern durchzusetzen. Die Militärausgaben der USA betrugen im Jahre 2015 mehr als alle Militärausgaben Chinas, Russlands, Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens zusammen. 

Es wird nicht möglich sein, eine solche Maschinerie zu zerschlagen, ohne ihre eigenen Reihen zu spalten. Den effektivsten Kampf gegen den US-amerikanischen Imperialismus können und müssen nur die Arbeiter:innen in den USA selbst führen. 

Um diese internationalen und imperialistischen Ausbeutungen, die eine Fortführung des Kolonialismus sind, zu beenden, braucht es eben eine Enteignung dieser Institutionen und des Reichtums, über den sie verfügen – und einen endgültigen Sieg über die imperialistischen Staaten. Es ist daher eine strategische Notwendigkeit, die Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Zentren für die Enteignung der imperialistischen Bourgeoisie zu gewinnen. Sonst wird der Imperialismus immer eine Gefahr für mögliche antikoloniale und sozialistische Revolutionen in den Kolonien darstellen. Es braucht eine internationale sozialistische Revolution, um die imperialistische Kriegsmaschinerie für immer zu stoppen. 

Eine sozialistische Einstaatenlösung für Palästina

Wir stellen uns aktiv gegen scheinheilige Zwei-Staaten-Lösungen auf kapitalistischer Grundlage, sondern treten für eine Niederwerfung des israelischen Kolonialregimes durch den Kampf des palästinensischen Volkes und der internationalen Arbeiter:innenklasse, vor allem die der Region, ein. Wir treten für ein laizistisches, multiethnisches und sozialistisches Palästina auf dem gesamten historischen Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer ein, in dem Jüd:innen, Araber:innen und Menschen anderer Ethnizitäten und Religionen friedlich und geschwisterlich zusammen leben. 

Keine mögliche kapitalistische Regierung in Palästina, die notwendigerweise mit imperialistischen kapitalistischen Mächten kooperieren würde , wird in der Lage dazu sein, die dutzenden Jahre kolonialer und imperialistischer Ausbeutung der Werktätigen Palästinas beseitigen zu können. Wir treten für die Bildung einer Arbeiter:innenregierung durch sozialistische Maßnahmen, und den Aufbau eines Arbeiter:innenstaates ein. 

Die entschädigungslose Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und Banken unter Arbeiter:innenkontrolle und die zentrale Planung aller natürlichen Ressourcen, der gesamten Produktion und des Außenhandels mit dem Ziel, die sozialen Unterschiede unter den palästinensischen und jüdischen Massen zu beseitigen, ist für die wahre Befreiung unumgänglich. Nur so kann eine gerechte Aufteilung der Ressourcen und Infrastruktur gewährleistet werden. 

Die Kontrolle des Imperialismus über die Ressourcen des Landes muss beendet werden; der Reichtum der palästinensischen Kollaborateure, den sie sich durch Korruption verschafft haben, muss konfisziert werden. Auch die israelischen Arbeiter:innen müssen sich für die Enteignung der Kapitalist:innen einsetzen. Ein öffentliches Wohnungsprogramm ist zentral, damit die Palästinenser:innen das Rückkehrrecht praktizieren können, die israelischen Massen aber keine Zwangsvertreibung erleben müssen. Dies wird auch dazu dienen, die Vorurteile in den Bevölkerungen abzubauen. Der Arbeiter:innenstaat muss diesen Plan zentral behandeln. 

Internationale Planwirtschaft für die Dekolonisation des Planeten 

Die Befreiung bedeutet auch eine Befreiung von Armut, Mangel an Ressourcen, schlechter Ernährung und exzessiver Arbeitszeiten. In ehemaligen kolonialen und halb-kolonialen Ländern, und auch in Palästina braucht es einen Wohlstand, der seinen Namen verdient: der Hunger soll beendet, von Krieg und Kapitalismus zerstörte Städte wieder errichtet und das Gesundheits- und Bildungssystem sowie die Natur sollen nachhaltig wieder aufgebaut werden. Dafür werden alleine die Ressourcen in diesen Ländern nicht ausreichen, um aus eigener Kraft den aktuellen Lebensstandard der Bevölkerung in imperialistischen Zentren zu erreichen.

Für den Luxus der Kapitalist:innen in imperialistischen Zentren und ihrer nationalen Agent:innen in abhängigen und halb-kolonialen Ländern leben Millionen von Werktätigen in extremster Armut und unter härtesten Bedingungen. Laut Statista besaßen Ende 2022 1,1 Prozent der Weltbevölkerung rund 45,8 Prozent des weltweiten Vermögens. Rund 52,5 Prozent der Weltbevölkerung besaßen hingegen lediglich 1,2 Prozent. Die große Mehrheit dieser ärmeren 50 Prozent leben im sogenannten Globalen Süden, der von imperialistischen Ländern besonders geplündert wird.

688 Millionen Menschen waren im Jahr 2019 vom Hunger betroffen, während 922 Millionen Tonnen an Lebensmitteln im Müll landeten. Alleine durch die richtige Verteilung der Ressourcen bekäme also jeder Mensch, der verhungert, mehr als eine Tonne Lebensmittel in einem Jahr. 

Es wird notwendig sein, die Ressourcen, den Reichtum und die Technologien der heutigen Volkswirtschaften in Europa, USA, China und anderen Industrieländern zu nutzen. Ein Reichtum, der meist sowieso nur durch den Kolonialismus und die imperialistische Ausplünderung angehäuft werden konnte. Die vollständige Abrechnung mit dem imperialistischen und kapitalistischen Weltsystem und der Wiedergutmachung deren Schaden an der menschlichen Zivilisation und der Natur wäre also durch eine von Werktätigen demokratisch kontrollierte, internationale Planwirtschaft möglich, eine Planwirtschaft, die als Folge mehrerer sozialistischen Revolutionen gebildet wird und die Produktion, Reproduktion und Verteilung der Ressourcen solidarisch nach den Bedürfnissen der Weltbevölkerung richtet, mit dem Ziel Ungleichheiten zu beseitigen und den Wohlstand von allen zu steigern.

Dabei geht es nicht darum, den Kampf für den Sozialismus als irgendeine Bedingung für die Solidarität mit dem Befreiungskampf des palästinensischen Volkes zu erklären. Im Gegenteil: unsere Solidarität mit den Kämpfen der unterdrückten und kolonisierten Völkern ist bedingungslos, selbst wenn die aktuellen Führungen ganz andere Strategien vertreten, die wir bekämpfen. Im Gegenteil denken wir, dass der Kampf für die Befreiung Palästinas mit dem Kampf gegen den Imperialismus und für den Sozialismus ineinander übergehen und nur gemeinsam zum Erfolg führen werden.

Es braucht einen Kampf der internationalen Arbeiter:innenklasse und des palästinensischen Volkes gegen den Imperialismus und seiner regionalen Komplizen mit dem Ziel der Etablierung einer Föderation der Sozialistischen Republiken in der ganzen Region Westasiens, in Perspektive eines endgültigen Sieges über den Weltimperialismus durch die internationale sozialistische Revolution.

Mehr zum Thema