Größte Pride Parade in Budapest trotz Verbot

Entgegen der Verschärfung der Unterdrückung von queeren Menschen und drohender Repression fand in Budapest am 28. Juni 2025 die größte Pride in Ungarns Geschichte statt.
Am Samstag, dem 28. Juni 2025 fand in der ungarischen Hauptstadt Budapest, entgegen des zuvor deklarierten Verbots dieser Veranstaltung, die größte Pride in ihrem 30-jährigen Bestehen in Ungarn statt. Obwohl die Polizei trotz der vorhergegangenen Ausweitung ihrer Befugnisse dazu angehalten wurde, nicht physisch einzugreifen, müssen die Organisator:innen und Besucher:innen nun fürchten, rückwirkend Kriminalisierung und Repressionen ausgesetzt zu werden.
Schätzungsweise zwischen 180.000 und 200.000 Menschen trotzten dem, mit dem „Schutz der Kinder“ begründeten, Verbot seitens der Polizei und demonstrierten auf der Budapest Pride einerseits für LGBTQIA+ Rechte, die in Ungarn seit Jahren sukzessiv eingeschränkt werden, und protestierten somit auch andererseits gegen die rechtskonservative Regierung unter Ministerpräsident Orbán, welche seit 2011 die, von ihnen selbst eingeführte, ungarische Verfassung bereits 15 Mal verändert hat. Ebendiese, zuvor in der Begründung des Verbots angeschnittene, semantische Verknüpfung von LGBTQIA+ und Kindeswohlgefährdung lässt sich häufig in den homophoben und fundamentalistisch-religiösen Lagern konservativer Parteien und Politiker:innen finden, um ihre menschenverachtenden Politiken zu rechtfertigen und eine binär gedachte Geschlechterordnung zu stärken. So taucht dieser Jargon auch bei Merz auf, wie in seiner Aussage vom 19. Oktober 2023, in der er sagte, es sei ihm egal, ob jemand homosexuell begehre, solange keine Kinder im Spiel seien. Durch diese semantische Verknüpfung wird indirekt die Vorherrschaft einer heteronormativen und damit binären Ordnung gefestigt, denn es ist sowohl dem Interesse von Staaten als auch dem des Kapitals dienlich, wenn in heteronormativen Kernfamilien neues Humankapital, also die nächste Generation an Arbeiter:innen und Bürger:innen aufgezogen und für die Verwertung am Arbeitsmarkt verfügbar gemacht wird. Zugleich gibt es wirtschaftliche Interessen am Fortbestand der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung, die soziale Reproduktionsarbeit unbezahlt an Frauen auslagert, sie zugleich in den unsichtbaren Bereich des Privaten, Häuslichen verschiebt oder diese aufgrund der gesellschaftlichen Abwertung von Care-Arbeiten in feminisierten Sektoren zu Niedriglöhnen verrichtet wird.
Mit dem Zweck, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Ungarn weiter eingrenzen zu können, wurde in diesem Jahr der Schutz der Kinder in den Verfassungsrang erhoben. Ebendiese Scheinargumentation ist auch schon zuvor als Begründung herbeigezogen worden, um Grundrechte zu beschneiden. So ist seit 2021 der Sexualkundeunterricht an ungarischen Schulen ausgesetzt. Zugleich dürfen Menschen unter 18 Jahren nicht von Dritten (also anderen Personen als den Eltern, wobei die Verfassung seit 2020 besagt, dass eine Mutter nur eine Frau und ein Vater nur ein Mann sein könne) über die Möglichkeit anderer, nicht binär gedachter Geschlechtsidentitäten, Geschlechtsangleichungen sowie nicht-heterosexuellem Begehren aufgeklärt werden.
Daran anknüpfend wurde Queere Literatur bereits 2021 auf die obersten Regale in Buchhandlungen verwiesen, um diese aus dem unmittelbaren Sichtfeld zu verbannen und sie zugleich von anderer Literatur zu trennen, was einen ent-normalisierenden Effekt hat. Außerdem wird die Existenz anderer Geschlechtsidentitäten abseits der Binärkodierung „weiblich“ und „männlich“ von staatlicher Seite negiert. So wurde im April 2025 ein neues Gesetz in Ungarn erlassen, das auf die Beschneidung der Rechte nonbinärer Menschen abzielte und mit dem festgeschrieben wurde, dass Menschen einem von zwei Geschlechtern zugeordnet werden müssen. Zudem gilt seit 2020 ein Gesetz, welches die amtliche Änderung des bei der Geburt zugeschriebenen biologischen Geschlechts (sex), sowie des gegebenen Namens und die Angleichung des Namens an die eigene Geschlechtsidentität (gender) unmöglich macht und damit die Rechte von trans Personen massiv eingeschränkt. Dieser Kampf gegen queere Menschen findet somit einerseits auf der gesetzlich regulierenden Ebene, andererseits auch im Kulturkampf statt.
Im März 2025 hatte das ungarische Parlament unter Führung der Fidesz-Partei ein Gesetz verabschiedet hat, das der Polizei die Legitimation zum Verbot von LGBTQIA+ Veranstaltungen verleiht und somit das Gewaltmonopol der exekutiven staatlichen Gewalt noch weiter ausdehnte. Um dieses Gesetz zu umgehen, rief der Bürgermeister Budapests Gergely Karácsony, ein Politiker der Grünen Partei Ungarns, die Parade als „kommunale Feier der Freiheit“ aus, denn der letzte Samstag im Juni sei zudem der Tag gewesen, an dem die Sowjettruppen 1991 Ungarn verlassen hätten. Eine solche städtische Veranstaltung bedarf keiner offiziellen Genehmigung. Dass dieser Kniff angewandt wurde, um diesen Verbotserlass zu umgehen, zeigt dann wieder der offizielle Name: „Tag des Budapester Stolzes“ – im Englischen: „Budapest Pride“. Mehrere kleinere Gegenveranstaltungen gab es von nationalistischen, wie rechten Bewegungen und fundamentalistisch-religiösen Organisationen, die mit Bibeln, Kreuzen und Heiligenbildern gegen die Pride Parade protestierten.
Wie von Orbán zuvor zugesichert, hat die Polizei die Pride nicht angegriffen oder gar aufgelöst, allerdings nur um den Schein der Rechtsstaatlichkeit Ungarns zu bewahren. Denn trotzdem drohen den Organisator:innen unter Bezugnahme auf das sogenannte Pride-Parade-Verbotsgesetz Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Wenngleich die Polizei dazu angehalten wurde, nicht physisch einzugreifen, so wurde ihr doch die Befugnis gegeben, die Teilnehmer:innen zu filmen und Gesichtserkennungssoftware einzusetzen, um diese rückwirkend zu identifizieren und zu kriminalisieren. Auf die Teilnahme alleine stehen bis zu 500 Euro Strafe.
Dies zeigt umso mehr, dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass staatliche Organe, wie die Legislative oder die Judikative, unsere Rechte schützen. Was bleibt, ist unsere internationale Solidarität und konsequente Selbstorganisation!