Grenzkontrolle in Schirnding: Ein tödlicher Schuss – ein Systemversagen

11.06.2025, Lesezeit 6 Min.
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In Schirnding wurde ein Mann iranischer Herkunft bei einer Grenzkontrolle erschossen. Angeblich soll er zuerst geschossen und Crystal Meth bei sich gehabt haben. Unter einem verstärktem Autoritarismus der Merzregierung wird es mehr und mehr zu solchen Zwischenfällen kommen.

Am 31. Mai 2025, gegen 14:20 Uhr, fällt auf der Staatsstraße 2178 bei Schirnding ein tödlicher Schuss. Ein 47-jähriger Mann iranischer Herkunft wird bei einer Polizeikontrolle von Beamt:innen der Bundespolizei erschossen. Laut gemeinsamer Presseerklärung von Staatsanwaltschaft Hof und Polizeipräsidium Oberfranken soll er zuerst geschossen haben. Die Polizei „erwiderte das Feuer“, heißt es, und tötete den Mann. Dessen Name bleibt unerwähnt. Seine Tatwaffe bleibt ungenannt. Nur das Crystal Meth, das bei ihm gefunden wurde, wird präzise aufgeführt: „niedriger dreistelliger Grammbereich“. Der Mensch? Eine Fußnote. 

Bundesweite Grenzkontrollen: Rassistische Fahndung wird verstärkt 

Während der Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in einer BR-Anfrage den tödlichen Schuss als „Beweis“ für die Notwendigkeit von Grenzkontrollen und Schleierfahndungen feiert, schweigt er über das verlorene Menschenleben. Für ihn geht es nicht nur um Migration, sondern um die angebliche Bekämpfung von Drogen-, Falschgeld- und Waffenschmuggel. Die „Gefahr“ wird instrumentalisiert, um ein repressives Grenzregime zu rechtfertigen, das täglich Menschen entrechtet und kriminalisiert. Herrmann betont, wie wichtig der Einsatz von Bundes- und bayerischer Grenzpolizei sei – doch was er verschweigt, ist, dass diese Polizeigewalt gerade diejenigen trifft, die am meisten von Ausgrenzung und Armut betroffen sind. Diese politische Verlogenheit entlarvt das wahre Gesicht eines Staates, der nicht Sicherheit schaffen will, sondern seit Jahren die Polizei aufgerüstet hat, um systematisch Geflüchtete zu kriminalisieren. Die Erfahrung mit der Polizei zeigt, dass durch die Systematisierung der Grenzkontrollen vor allem „ausländisch“ aussehende Personen kontrolliert und im Zweifel festgenommen werden, auch bekannt unter „Racial Profiling“, was in zahlreichen Studien bewiesen wird und in die DNA der deutschen Polizei eingeschrieben ist.

Die verschärften Grenzkontrollen, die mit dem Antritt der neuen Bundesregierung im Juni 2025 in Kraft traten, stellen einen Alleingang Deutschlands in der Europäischen Union dar. Binnengrenzkontrollen an den Grenzen zu Österreich, Tschechien und Polen haben sich vom Ausnahme- zum Dauerzustand entwickelt. Unter dem Deckmantel von „Migrationsdruck“ und „grenzüberschreitender Kriminalität“ verlängert der deutsche Staat diese Kontrollen willkürlich – entgegen der Schengen-Regeln, die solche Maßnahmen nur bei „ernster Bedrohung der öffentlichen Ordnung“ erlauben. Der deutsche Alleingang ist ein Signal der neuen Bundesregierung an die Bevölkerung, dass sie die Forderung der AfD nach stärkeren Grenzkontrollen selbst umsetzen können, dafür müsse man jetzt nicht mehr die AfD wählen. Gleichzeitig dienen sie dazu, Geflüchteten die Schuld für alle Probleme im Land in die Schuhe zu schieben. Egal ob steigende Mieten, „Kriminalität“ oder allgemeine Armut, die Geflüchteten und Ausländer:innen sind der Feind, wodurch der Staat auch die potenzielle Verbrüderung zwischen Geflüchteten und der deutschen Arbeiter:innenklasse unterbinden möchte. 

Frankreich und auch andere EU Länder kritisierten die von Deutschland initiierte „European Sky Shield Initiative“ zur Luftverteidigung. Sie bemängelten die fehlende Koordination auf europäischer Ebene und sahen darin eine Gefährdung gemeinsamer Sicherheitsinteressen. 

Polens Premierminister Donald Tusk bezeichnete Deutschlands Entscheidung, Grenzkontrollen auszuweiten, als „inakzeptabel“ und kündigte an, das Thema auf EU-Ebene zur Sprache zu bringen.

Österreichs Innenminister Gerhard Karner erklärte, dass Österreich keine von Deutschland zurückgewiesenen Migranten aufnehmen werde, da er die deutschen Maßnahmen als illegal ansieht.

Griechenlands ehemaliger Migrationsminister Notis Mitarakis warf Deutschland vor, heuchlerisch zu handeln, indem es Griechenland für seine Grenzschutzmaßnahmen kritisierte, nun aber selbst ähnliche Praktiken anwendet.

Schleierfahndungen an der Deutsch-Tschechischen Grenze

Im Herbst 2023 meldete die alte Bundesregierung entlang der deutsch-tschechischen Grenze verstärkt Schleierfahndungen an – natürlich “temporär”. Die Reaktionen im Grenzgebiet sind durchwachsen bis kritisch. Während Pendler:innen sich über tägliche Verzögerungen auf ihrem Arbeitsweg beschweren, erklärt der Leiter der tschechischen Straßentransporte die Kontrollen als Verkehrsbehinderung 

Wer stärker militarisiert, wird mehr Menschen erschießen!

Der tödliche Schuss von Schirnding ist kein Unfall, kein Ausrutscher, kein „tragischer Einzelfall“. Er ist Ausdruck eines Staates im permanenten Ausnahmezustand – einer bürgerlichen Ordnung, die sich nur noch durch Abschottung, Kontrolle und Gewalt stabilisieren kann. Was wir erleben, ist keine Eskalation „aus dem Nichts“, sondern die logische Konsequenz eines autoritären Staatsumbaus im Dienste von Kapital und Nation: Kapital braucht Ordnung. Ordnung braucht Grenzen. Grenzen brauchen Waffen. Und Waffen brauchen Leichen. Jede Grenzkontrolle, jede Schleierfahndung, jede neue Befugnis für die Polizei ist ein Angriff auf die Bewegungsfreiheit der Lohnabhängigen – vor allem jener ohne Pass, ohne Besitz, ohne weißen Hautton. Der Staat rüstet auf, nicht gegen „Gefahr“, sondern gegen den sozialen Bruch, der durch seine eigene Krisenpolitik produziert wird. 

Bodycams, Einsatzprotokolle, interne Untersuchungen: das sind keine Schutzmaßnahmen, das sind PR-Instrumente, um die Repressionsapparate des bürgerlichen Staates zu legitimieren. Wenn der Staat filmt, dann nicht, um uns zu schützen – sondern um seine Gewalt abzusichern. Die nächste Kugel wird wieder als „Notwehr“ gerechtfertigt, die nächste Leiche wird wieder pathologisiert, entmenschlicht, relativiert.

Und wieder wird ein Innenminister die „Ordnung“ verteidigen – nicht das Leben.
Denn das Leben der Beherrschten zählt im Kapitalismus nur, wenn es verwertbar ist.

Was hier stirbt, ist mehr als ein Mensch.
Es ist das Recht auf Bewegung: das fundamentale Recht der Unterdrückten, Grenzen zu überschreiten.
Es ist das Recht auf Zweifel: das Recht, den Staat infrage zu stellen, ohne zur Zielscheibe zu werden.
Es ist das Recht auf Unversehrtheit: das Recht, nicht erschossen zu werden, nur weil man am falschen Ort lebt oder geboren wurde.

Die Gewalt an der Grenze ist nicht das Scheitern des Rechtsstaats – sie ist seine Erfüllung im Interesse der herrschenden Klasse. Der bürgerliche Staat schützt nicht uns, sondern das Privateigentum, die Klassenherrschaft, die rassistische Ordnung dieser Gesellschaft.

Unsere Forderungen 

Nur ein sozialistischer Bruch mit dem Kapitalismus kann die Gewalt an den Grenzen beenden. Keine Reform, keine Bodycam, kein Untersuchungsausschuss wird das leisten. Nur der gemeinsame Kampf der Lohnabhängigen – mit und ohne Pass – kann das System stürzen, das Menschen an Zäunen sterben lässt, um Profite zu sichern.

Fallbezogen fordern wir eine unabhängige Aufklärung durch die lokale Bevölkerung und durch Gewerkschaften unabhängig von der Polizei!

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