Gespräche mit einem Antizionisten

13.12.2017, Lesezeit 7 Min.
Gastbeitrag

Angesichts der erneut entbrannten Debatte, in der Antizionismus mit Antisemitismus gleichgestellt werden, hat sich unser Gastautor zu einem fiktiven Treffen mit einem deutschen Zionisten getroffen, und ihm einige Fragen beantwortet.

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Es wird langsam Winter. Zeit, zu Hause zu bleiben und vor den sozialen Medien zu hocken. Ein kurzer Exkurs durch deutschsprachige linke Seiten und Gruppen zeigt sehr schnell, dass viele Menschen – die sonst engagiert und politisch sind und auch oft an der Seite der Unterdrückten stehen – plötzlich ganz anderes reden, wenn es um den Zionismus und dessen Besatzung Palästinas geht. Oft eskalieren solche Online-Diskussion schnell in rassistische Hetze und Halbwahrheiten, teilweise werden dort aber auch Fragen gestellt, die aus tatsächlicher Naivität, falscher Analyse oder bloßem Unwissen stammen. Also habe ich mir ein kurzes Experiment ausgedacht, das hoffentlich uns allen in der antizionistischen Linke in Deutschland zum Nutzen sein kann, und habe mich mit einem fiktiven deutschen Zionisten für ein fiktives Gespräch verabredet, um zu versuchen, für allemal alle seine Fragen zu beantworten.

Wir treffen uns in einem fiktiven Café in einem fiktiven gentrifizierten Bezirk im Süden Berlins, wo “Refugees Welcome” sind, Menschen mit Kuffiyehs aber eher nicht. Mein fiktiver Gesprächspartner ist jung, studiert Politikwissenschaft und hat höchstwahrscheinlich mehr Marx und Adorno gelesen als ich. Er ist neulich aus Tel-Aviv zurückgekommen, wo er eine ganze Woche lang die Realität vor Ort kennenlernte, am Strand und in Cafés. Als die Bedienung uns unseren Kaffee bringt, gibt er zu, ich sei der erste Antizionist, mit dem er in seinem Leben tatsächlich spricht, vom jüdischen Antizionisten ganz zu schweigen. Wir trinken unseren fiktiven Kaffee mit Sojamilch und ich sage ihm, da es eh um eine Fiktion geht, kann er mir alle Fragen stellen, die er den bösen Antizionist*innen immer stellen wollte. Er dreht seine fiktive Zigarette, atmet tief und schießt los.

Ihr Antizionisten wollt aber Israel vernichten. Das heißt, alle Juden*Jüdinnen ins Meer zu treiben. Wie kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren?

Man kann Israel nicht “vernichten”. Ein Staat ist ein politischer Apparat. Als solches kann er aufrechterhalten, reformiert oder abgeschafft werden. Da wir Israel als das Resultat eines zu Beginn des 20. Jahrhunderts angefangenen Kolonialprojekts sehen, einen Besatzungsstaat, der mit imperialistischer Unterstützung das Land militärisch erobert hat, ist für uns die letzte Möglichkeit, also die Abschaffung, die einzige linke Alternative.

In dem zionistischen Diskurs, besonders hier in Deutschland aber nicht nur, werden oft verschiedene Elemente absichtlich durcheinandergebracht oder gleichgesetzt und ihre Zusammenhänge verschleiert. So ist auch hier der Fall mit der Gleichsetzung eines (Kolonial-)Staates und einer religiösen, von mir aus auch ethnischen (das wäre aber eine andere Diskussion) Gruppe. Die Abschaffung des Kolonialprojektes wäre also mit der Vernichtung aller (israelischen) Juden*Jüdinnen nur so gleichzusetzen, wie die Abschaffung des Patriarchats mit der Vernichtung aller Männer oder die Abschaffung des Kapitalismus mit der Hinrichtung aller Kapitalist*innen.

Warum ist ein palästinensischer Nationalstaat besser als ein jüdischer?

Ist er an sich nicht unbedingt. Und natürlich ist ein sozialistischer Staat mit dem Proletariat an der Macht besser als beide – da stellt sich aber die Frage, ob wir bis zur sozialistischen Weltrevolution tatsächlich warten wollen und dürfen. Wir rufen aber nicht zu einem rein palästinensischen Nationalstaat auf, wir rufen zu einem Staat auf, in dem allen ethnischen und religiösen Gruppen des Landes gleichberechtigt leben können. In diesem Staat werden alle Juden*Jüdinnen, die im Lande leben, natürlich alle Rechte haben wie ihre muslimischen oder christlichen Nachbarn. Ein wichtiges Recht werden aber die Palästinenser*innen doch in diesem Staat noch bekommen – die 1948 Vertriebenen und ihren Nachfolgenden können natürlich zurück ins Land und sich dort niederlassen.

Nirgends auf der Welt wird das Rückkehrrecht vererbt. Warum soll es für die Palästinenser*innen so sein?

Das stimmt nicht. Mein Großvater musste in den 30ern Jahren aus Berlin fliehen, 2001 konnten meine Familie und ich seine deutsche Geburtsurkunde finden und uns damit als Deutsche einbürgern. Ich habe das Rückkehrrecht meines Opas vererbt, das finde ich auch in Ordnung – ein Staat oder eine Gesellschaft bekennt ihre historischen Taten und versucht, diese wiedergutzumachen.

Aber die Juden*Jüdinnen brauchen einen Schutzraum, nach alldem, was der deutsche Faschismus ihnen angetan hat.

Ja. Aber wir lehnen es ab, dass dieser Schutzraum die Form eines kolonialen Besatzungsstaates haben sollte. Und hier musste man noch mal erwähnen – unter echtem Sozialismus wären alle religiöse Minderheiten dort geschützt, wo sie gerade leben, da sie alle ein Teil der globalen Arbeiter*innenklasse sind. Natürlich ist es aber gerade nicht der Fall. Ein künftig entkolonisiertes Palästina wird, wie gesagt, allen Gruppen ihr Recht auf Selbstbestimmung und Schutz geben. Dazu zählen natürlich auch die Juden*Jüdinnen des Landes. So wie wir Unterdrückung von Minderheiten in unseren eigenen Ländern bekämpfen, anstatt diese Minderheiten einfach in ein anderes Land zu schicken, damit sie sich dort einen Schutzraum errichten, so lehnen wir dieses Kolonialprojekt als Lösung des europäischen Antisemitismus ab.

Die Hamas ist eine antisemitische, nationalistische, proto-faschistische und fundamentalistische Organisation, wie könnt ihr euch mit ihr solidarisieren?

Tun die meisten von uns nicht. Wir solidarisieren uns aber mit dem palästinensischen Widerstand, da dieser nicht nur unter internationalem Völkerrecht legitim ist, sondern auch aus einer linken Perspektive zu unterstützen ist – es ist der Widerstand eines kolonisiertes Volk gegen seine Besatzer*innen. Als Linke müssen wir in der Lage sein, solchen Widerstand an sich als legitim zu erachten, auch wenn wir nicht alle in dem Widerstand beteiligten Organisation politisch unterstützen. Dazu wird auch die Hamas hier im Lande oft als ein bequemes Feindbild benutzt, um jegliche Solidarität abzusprechen. Dabei gab es sie bis 1987 gar nicht – sie kann also unmöglich der Grund sein, warum die Besatzung Palästinas legitim ist. Ich könnte hier natürlich viel Negatives über die Hamas und ihre fundamentalistische Politik sagen, ich sehe aber, das kriegst du ganz gut alleine hin.

Für mich ist BDS “kauft nicht bei Juden”. Da kann ich nicht mitmachen.

Musst Du nicht. Es gibt viele Wege, Solidarität mit dem palästinensischen Kampf zu zeigen. Für manche passt BDS aus persönlichen Gründen nicht, für manche weil es eine liberale Kampagne ist, die viel Wert auf Großkonzernen und bürgerliche Apparate liegt. Was Du aber nicht machen soll, ist unsere Kampagnen zu sabotieren und gegen uns zu hetzen, wenn wir für gewaltfreie Druckmittel gegen den Zionismus plädieren. Du musst das Recht der Palästinenser*innen anerkennen, als Unterdrückte zu so einem Boykott aufzurufen. Das wäre schon mal sehr hilfreich. Schließlich beschwerst du dich ständig, wenn die Palästinenser*innen zu Waffen greifen – hier hast du also eine gewaltfreie Alternative.

Es wurde Abend und kalt, als wir uns an einer fiktiven Straßenecke voll mit fiktiven palästinensischen Läden im fiktiven Süden Berlins verabschiedet haben. Bevor wir Tschüß sagten, machten wir aus, uns in ein Paar Wochen wieder hier zu treffen, falls mein fiktiver Gesprächspartner weitere Fragen haben sollte. Als ich ihm ausnahmeweise die Hand reichte, suchte ich in seinen Augen vergeblich nach Zeichnen, ob der böse Antizionist für ihn jetzt ein kleines bisschen weniger böse ist.

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