Gegen Merz und die Spaltung in gute und schlechte Migrant:innen

25.10.2025, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Hans Elmo/shutterstock.com

Der Kanzler teilt Migrant:innen in nützlich für die Wirtschaft und störend fürs Stadtbild ein. Warum wir jetzt einen Antirassismus der Arbeiter:innenklasse brauchen.

Was ist Neues ums „Stadtbild“ passiert in den letzten Tagen? Sprecher:innen der Kriegs- und Abschiebepartei Bündnis 90/Die Grünen inszenierten sich plötzlich wieder antirassistisch, tweeteten aber gleichzeitig chauvinistische Dönerbilder. Es gab Verrenkungen aus der Union, den offensichtlichen Rassismus als angebliche Debatte über Innenstädte umzudeuten. Die SPD Brandenburg kann sich eine Koalition mit einer „gemäßigteren“ AfD vorstellen.

Und Millionen Jugendliche – migrantische und nicht-migrantische – sind immer noch wütend, weil sie und ihre Freund:innen laut Kanzler aus dem „Stadtbild“ sollen. Und weil niemand im politischen Berlin ihre Wut teilt, sondern es vom „linkeren“ Parteienspektrum nur Beschwichtigung oder Empörung gibt, aber keine Antworten auf den Rassismus. 120.000 Menschen unterschrieben die Petition „Wir sind die Töchter“, aber Massendemonstrationen wie gegen die AfD Anfang 2025 und Anfang 2024 lassen noch auf sich warten – dabei übernimmt Merz mit seiner Äußerung das rassistische Nationalverständnis aus dem „Geheimtreffen“ der AfD, gegen das sich so viele Menschen mobilisiert hatten. 

„Unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes“

Der Bundeskanzler hat sich indes wieder gemeldet – und mit jedem Wort wird es schlimmer. Nachdem seine „Töchter“-Bemerkung, mit der er Frauen gegen Migrant:innen instrumentalisieren wollte, nach hinten losging, versucht er jetzt „gute von schlechten“ Migrant:innen zu trennen. Denn ein nicht geringer Wähleranteil der Unionsparteien hat selbst Migrationshintergrund, aber mit der Illusion, es ginge nicht gegen sie, die “gut Integrierten”, sondern nur gegen die “bösen Migrant:innen”, haben sie bisher die Anti-Geflüchteten-Politik mitgetragen.

An sie und an die Wirtschaft meldet sich Merz, wenn er jetzt am Rande des Balkan-Gipfels sagt: „Wir brauchen auch in Zukunft Einwanderung. Das gilt für Deutschland wie für alle Länder der Europäischen Union. Wir brauchen sie auch und vor allem für unsere Arbeitsmärkte.“ Migrant:innen seien ein „unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes“ und „wir können auf sie eben gar nicht mehr verzichten, ganz gleich, wo sie herkommen, welcher Hautfarbe sie sind und ganz gleich, ob sie erst in erster, zweiter, dritter oder vierter Generation in Deutschland leben und arbeiten.“ Damit dürfte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DWI) Marcel Fratzcher zufrieden sein, der zuvor im Handelsblatt kritisiert hatte: „Die Botschaft des Bundeskanzlers schwächt die Willkommenskultur Deutschlands und wird den Fachkräftemangel in Deutschland in den kommenden Jahren verschärfen.“ Auch die „verunsicherte“ SPD wird glücklich sein, dass ihr Kanzler nicht etwa ausbeutbare Migrant:innen abschieben möchte. 

Unionsfraktionschef Jens Spahn machte in seiner Verteidigung des Merz-„Stadtbilds“ nochmal das Feindbild deutlich: „Verwahrlosung, Drogendealer, junge Männer, meistens mit Migrationshintergrund, meistens Osteuropa oder arabisch-muslimischer Kulturraum“. Also: Die Union will – übrigens eben so wenig wie die AfD – einfach alle Migrant:innen ausweisen. Sie will einen Teil ausbeuten und den anderen Teil ausweisen oder mit Ausweisung bedrohen. Dafür verwendet sie Rassismus, stellt einen Teil als unzivilisiert und „asozial“ dar, um die Bevölkerung zu spalten und die Wut weg von Kürzungspolitik und Inflation zu lenken. So weiß der Teil, der ausgebeutet wird, dass er sich „integrieren“ – also assimilieren und unterwerfen – soll. Die Arbeiter:innenklasse als ganze wird diszipliniert, denn vor der hat der schwache Kanzler Merz große Angst, wie er selbst zugab. Gleichzeitig gibt’s Bürgergeldkürzung, Arbeitszeiterhöhung und Pflegegelder werden weggenommen, so schaut der Plan aus.

Der liberale „Antirassismus“ hat abgewirtschaftet 

Es bringt deshalb gar nichts zu argumentieren, dass es ohne Migrant:innen kaum mehr Dienstleistungen gebe und „gute“ Migrant:innen ja Steuern zahlen; denn diese Migrant:innen sollen nach Merz Willen bleiben und schuften – Merz will sie in Betrieb und Fabrik, aber bloß nicht in der Innenstadt sehen. Jede Spaltung in „gute und schlechte“, produktive und nicht produktive, integrierte und „parallelgesellschaftliche“ Migrant:innen hilft nur den Kapitalist:innen, ihr System aus Ausbeutung und Unterdrückung aufrechtzuerhalten. Der liberale „Antirassismus“, der im Namen der Wirtschaft darauf besteht, dass man doch Migration zum Arbeiten (Ausbeuten) braucht, hat abgewirtschaftet. Denn auch die „liberalen“ Kapitalist:innen, die sich über Merz‘ Sprech empören, profitieren durch billige Arbeitskraft und Prekarisierung, von der Spaltung der Arbeiter:innen in Menschen mit mehr und Menschen mit weniger Rechten. Sie stecken unter einer Decke mit den Konservativen, auch wenn sie sich zeitweise in verschiedenen Parteien oder Parteiflügeln organisieren. 

Wir verteidigen unsere Kolleg:innen nicht deshalb gegen Rassismus, damit unsere gemeinsamen Bosse sie besser ausbeuten können – wir wollen mit unseren Kolleg:innen gegen Rassismus, Aufrüstung und Kürzungspolitik gemeinsam kämpfen, streiken und uns organisieren. Wir wollen keine Polizei zur Kontrolle unserer Kolleg:innen, denn die ist ein wahres Problem im Stadtbild. Wir wollen keine Abschiebungen, sondern für eine gemeinsame Zukunft ohne Kapitalismus und Rassismus kämpfen, in der kein Mensch über einem anderen Menschen steht. Wir wollen keine kapitalistischen Wohnbaukonzerne, die uns die Orte zum Wohnen wegnehmen, sondern deren Enteignung unter Kontrolle der Mieter:innen und Arbeiter:innen. “Deutsche Wohnen und Co. enteignen” umsetzen – das wäre eine Verbesserung fürs Stadtbild! Und wollen keine Unterstützung für Genozid und keine Hochrüstung, sondern Masseninvestitionen in Bildung, Soziales und Gesundheit für alle Menschen, die hier leben – denn der Rassismus im inneren ist ein Spiegel des immer aggressiveren Imperialismus Deutschlands nach außen. 

Deshalb sagen wir jetzt mehr als zuvor an die Gewerkschaften: Wir wollen einen politischen Streik hin zum Generalstreik organisieren! Bilden wir dafür Komitees vor Ort an Schulen, Unis und Betrieben. Wenn du deine eigene Meinung oder Erlebnisse teilen möchtest, schreib der Redaktion von Klasse Gegen Klasse

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