Fünf Tage im Streik

19.05.2013, Lesezeit 7 Min.
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// Die Streik- und Aktionswoche der GEW Berlin endete am Freitag mit dem Ausstand von 2.000 LehrerInnen und 200 SchülerInnen //

„Wir kämpfen nicht nur für die Rechte von angestellten Lehrern, sondern auch für Forderungen, die Beamte betreffen“, sagt Julia Neu, eine junge Lehrerin an der Sophie-Charlotte-Oberschule in Berlin-Charlottenburg. Wie Tausende ihrer KollegInnen beteiligte sie sich an der Streikwoche der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in der Hauptstadt.

Die etwa 8.000 angestellten LehrerInnen fordern mit den Arbeitsniederlegungen, die von Montag bis Freitag stattfanden, die Gleichstellung mit ihren 20.000 verbeamteten KollegInnen. Aber neben einer tariflichen Regelung zur Eingruppierung der Angestellten geht es auch um „alternsgerechte Arbeitsbedingungen“, denn bei der stark überalterten Berliner LehrerInnenschaft (das Durchschnittsalter liegt bereits über 50) gibt es 1.400 Dauerkranke. „Deswegen erleben wir auch eine große Solidarität von den Beamten“, so Neu weiter.

Am Mittwoch waren schwerpunktmäßig die Oberstufenzentren zum Streik aufgerufen und am Donnerstag die Grundschulen. An beiden Tagen verließen jeweils über 500 KollegInnen ihre Klassenzimmer – am Freitag waren dann alle Schulformen am Ausstand beteiligt, und 2.000 Lehrkräfte versammelten sich beim Streikcamp der GEW hinter dem Roten Rathaus. Am Mittwoch hatten 300 LehrerInnen auf Fahrrädern alle Berliner Parteizentralen besucht, um ihre Forderungen zu überbringen – am Freitag waren dann „GEW-PiratInnen“ mit vier Kanus und großen Transparenten auf der Spree unterwegs.

Gemeinsam voran!

Am Freitag boykottierten rund 200 SchülerInnen den Unterricht, um am letzten Tag der Streikwoche Solidarität mit ihren LehrerInnen zu zeigen. „Schüler und Lehrer gemeinsam voran!“ skandierten sie, als sie die Greifswalder Straße herunter demonstrierten. Am Molkenmarkt wurden sie mit Applaus empfangen. Ein Aktivist der linken SchülerInnengruppe „Red Brain“ erklärte von der Bühne, dass man sich auf den „gemeinsamen Vollstreik von Lehrern und Schülern“ vorbereiten müsse.

„Die Forderungen der Lehrer sind absolut berechtigt“ sagte Frieda (14) von der Romain-Rolland-Oberschule in Reinickendorf. Während der Woche sind bei ihr schon einzelne Unterrichtsstunden ausgefallen und angestellte LehrerInnen standen mit Protestschildern vor dem Tor. Am John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte hatte der Direktor in der großen Pause die Tür blockiert und SchülerInnen von der Teilnahme am Streik abgehalten. René (17) vom Kolleg Schöneberg hatte von einem Lehrer die Empfehlung zum Streik bekommen. Einige LehrerInnen gaben zu, dass sie den Aufruf zum Schulstreik selbst ausgedruckt und heimlich in ihren Schulen ausgelegt hatten.

Wer hat uns verraten? Und wer war mit dabei?

„Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ stand auf einer Fahne der Gewerkschaft. Lars Oberg, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für die SPD, beschwerte sich auf der Facebook-Seite der GEW: „Auch die NSDAP warb mit diesem Spruch!“ Tatsächlich hatte die Hitlerpartei diese Losung, die sich nach dem Verrat der SozialdemokratInnen an der deutschen Revolution von 1918-19 verbreitete, auch aufgegriffen. Ab Mittwoch war die Fahne nicht mehr zu sehen. Doch die Fahne ist etwa 10 Jahre alt und wurde ursprünglich vor einem Landesparteitag der SPD aufgestellt, so GEW-Pressesprecher Tom Erdmann. Die Fahne sei ohne Absprache mit dem Gewerkschaftsvorstand aus dem Lager herausgeholt und wäre auch ohne die Facebook-Diskussion wieder entfernt worden.

Dennoch tun die SozialdemokratInnen ihr Bestes, um die Aktualität dieser Losung unter Beweis zu stellen. Der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum, der für die SPD im Senat sitzt, verweigert weiterhin ernsthafte Tarifgespräche. Im April hatte er stattdessen „weitere Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Lehrerberufs“ angekündigt. Die wichtigste bestand aus zwei zusätzlichen Vorbereitungstagen am Ende der Sommerferien – eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnerhöhung. „Wenn sie die Attraktivität noch weiter steigern, wird bald keiner mehr Lehrer werden“, so die Reaktion eines Pädagogen. Auch die Oberschullehrerin Neu meinte: „Damit wird ein Signal an die Öffentlichkeit geschickt, dass Lehrer faul und blöd sind.“ Statt wirkliche Fortbildungsmaßnahmen anzubieten, erwartet der Senat von den LehrerInnen, dass sie sich in ihrer Freizeit fortbilden.

Am Freitag erzählte die Linkspartei, dass sie den Streik durch ihre tagtägliche Anwesenheit unterstützt hätte. Falls Mitglieder der Linkspartei überhaupt beim Streikcamp dabei waren, traten sie bis Freitag nicht in Erscheinung (mit Ausnahme der Mitglieder der SAV, die auch in der Linkspartei aktiv sind, aber nicht mit Materialien der Linkspartei unterwegs waren). Das Problem ist nicht nur, dass die Linkspartei keinen Finger rührte, um eine breite Solidaritätsbewegung für den Streik aufzubauen – sie erwähnte auch nicht, dass sie als Senatspartei zwischen 2002 und 2011 genau jene Situation herbeigeführt hatte, gegen die die angestellten LehrerInnen jetzt protestieren!

Gegen Prekarisierung!

Am Mittwoch nachmittag beim Streikcamp fand auch eine Podiumsdiskussion zum Thema Prekarisierung statt. „Seit zwei Jahren arbeite ich als Musiklehrerin an Neuköllner Grundschulen, und in der Zeit habe ich 18 verschiedene Verträge gehabt“, berichtete Antje G. (31), die im Rahmen der sogenannten Personalkostenbudgetierung (PKB) beschäftigt ist. Durch das PKB-System können Berliner Schulen ihre ärgsten Personallöcher stopfen – immer mit befristeten und schlecht bezahlten Verträgen. „PKBler sind die Leiharbeiter des Schulsystems“, kommentierte ein Aktivist der Initiative „Bildet Berlin!“. Grundschullehrerin G. hat schon ein Studium der Kulturvermittlung mit Schwerpunkt Musik hinter sich, aber kein Lehramtsstudium. „Die Arbeit als Lehrerin macht mir Spaß, und ich würde sie gern weitermachen, aber der Senat ermöglicht es mir nicht.“ Sie muss nochmal studieren, um ein Referendariat beginnen zu können – aber währenddessen wird sie auch als Klassenlehrerin eingesetzt.

Ein junger US-amerikanischer PKB-Lehrer erzählte: „Mit meinen Qualifikationen kann ich schon eine volle Stelle besetzen, aber kein Referendariat machen.“ Dahinter sieht er eine bewusste Strategie des Senats zur Kostenreduzierung. Und das Problem gibt es nicht nur an Schulen: Bei der Podiumsdiskussion berichtete Stephan Gummert, Gewerkschafter an der Charité, davon, dass am Uniklinikum immer mehr Leistung von immer weniger Personal verlangt wird. Auch befristete Verträge werden zur Norm, wodurch die Belegschaft leichter erpressbar wird. (Leider erwähnte er nicht, dass der große Charité-Streik von 2011 nach vier Tagen abgebrochen wurde, ohne die Forderung nach einem Tarifvertrag für das outgesourcte Serviceunternehmen CFM durchgesetzt zu haben.)

Für breite Solidarität!

RIO, die Revolutionäre Internationalistische Organisation, organisierte Solidarität für die Streikwoche. Die linke SchülerInnengruppe Red Brain, die von RIO und unabhängigen SchülerInnen gebildet wird, organisierte den Aktionstag am John-Lennon-Gymnasium am Montag sowie den berlinweiten Schulstreik am Freitag. Waffen der Kritik, eine Gruppierung von RIO und unabhängigen Studierenden, organisierte auch ein „Teach In“ über Prekarisierung im Bildungssystem vor der Mensa der Freien Universität, um Solidarität mit den LehrerInnen zu bekunden. Am Freitag verteilten wir einen eigenen Flyer über die Perspektiven nach dem Streik.

Ein unbefristeter Vollstreik, der den Schulbetrieb stört, wird notwendig sein, um die Forderungen der angestellten LehrerInnen durchzusetzen. Die Streikwoche, die die Prüfungen und den sonstigen Schulbetrieb möglichst wenig stören sollte, hat nicht nur die große Streikbereitschaft der LehrerInnen unter Beweis gestellt, sondern auch das große Verständnis der SchülerInnen und Eltern für den Arbeitskampf (abgesehen von ihren offiziellen VertreterInnen). Für kommende Streiks brauchen wir eine breite Solidaritätsbewegung von SchülerInnen, Studierenden und anderen ArbeiterInnen. Auch BeamtInnen müssen direkt in den Kampf eingebunden werden. Dazu wird es auch notwendig sein, dass die Streikenden demokratische Streikversammlungen organisieren und die Kontrolle über diesen Kampf in ihre eigene Hände nehmen.

Teile dieses Artikels erschien in der jungen Welt am 17. Mai und am 18. Mai. Der ganze Artikel erschien auf Indymedia.

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