Frankreich: François Bayrou wird zur Rettung Macrons an die Macht gespült

17.12.2024, Lesezeit 9 Min.
1
Foto: Obatala-photography/shutterstock.com

François Bayrou wurde zum Premierminister ernannt. Eine Gelegenheit, um auf den politischen Werdegang dieses Macronisten der ersten Stunde zurückzublicken.

Der 73-jährige François Bayrou wurde am Freitag zum Premierminister von Emmanuel Macron ernannt, dem vierten innerhalb eines Jahres. Seine Aufgabe wird es sein, eine Regierung zu bilden, die den Anschein von politischer Stabilität erwecken und den Haushaltsprüfungen standhalten kann. Der Mann kommt nicht aus dem Nichts, er ist seit 2017 ein wichtiger Verbündeter Macrons und hat den Posten aufgrund seiner Fähigkeit, Schaden anzurichten, ergattert.

Nachdem er den Posten des Premierministers bereits mehrfach verfehlt hatte, nutzt François Bayrou nun wahrscheinlich eine der letzten Gelegenheiten, eine Schlüsselrolle als Regierungschef zu spielen. Ein Sieg, der daran erinnert, dass der Politiker neben dem Image des Dummkopfs, das er sich vor allem aufgrund der Karikaturen der Satiresendung „Guignols de l’info“ angeeignet hat, ein gewiefter bürgerlicher Politiker mit einer beeindruckenden politischen Langlebigkeit ist. Die politische Gruppierung, die er seit 30 Jahren leitet, war für das Regime ein zentraler Pfeiler, der abwechselnd die Stabilität der verschiedenen Regierungen sicherstellte und gleichzeitig den politischen Ambitionen ihres Führers effektiv diente.

Ein Apparatschik der Fünften Republik

Bayrou, der aus dem bäuerlichen Kleinbürgertum in Béarn stammt, das historisch eng mit der „Christdemokratie“ verbunden ist, begann seine politische Karriere vor etwa 50 Jahren. Zunächst war er der „Schreiber“ von Jean Lecanuet, einem Politiker, der sich damals als „französischer Kennedy“ bezeichnete, und von Pierre Méhaignerie, dem Landwirtschaftsminister unter Giscard. Schnell erhielt Bayrou mehrere Posten: als Generalrat des Departements Pyrénées-Atlantiques, als Stadtrat von Pau, als Abgeordneter und als Europaabgeordneter.

1993 wurde er Bildungsminister in der Regierung Balladur und später in der Regierung Juppé (Premierminister der konservativen Partei), ein Amt, das er bis 1997 innehatte. Er zeichnete sich schnell als entschiedener Befürworter von Privatschulen aus. Als er versuchte, die staatliche Unterstützung für Privatschulen zu erhöhen, scheiterte seine Reform an einer großen sozialen Bewegung, bei der 600.000 Menschen auf die Straße gingen. In dieser Funktion leitete er auch die ersten Nachforschungen über „auffällige religiöse Kleidung Zeichen“ ein, indem er ein Rundschreiben veröffentlichte, das das 2004 eingeführte Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen vorwegnahm. Außerdem verstärkte er die Aufspaltung des Abiturs in verschiedene Zweige (Naturwissenschaftlich, Ökonomisch und Sozial, Literarisch) und gründete die Universitäten für technologische Professionalisierung. Ziel dieser Reformen war es, die Professionalisierung der Jugend zu beschleunigen, um den neuen Bedarf der Arbeitgeber an Arbeitskräften zu decken.

1994 übernahm François Bayrou von seinem Mentor Méhaignerie (ehemaliger Minister in verschiedenen Posten) die Leitung der Partei „Centre des démocrates sociaux“, das er später in „Force démocrate“ (1995), „Union pour la démocratie française“ (1998) und schließlich in „Mouvement démocrate“ – MoDem – (2007) umbenannte und dessen Zügel er bis zum heutigen Tag fest in der Hand hält. Als Vorsitzender unterstützte er abwechselnd die sozialdemokratische oder die konservative Partei (Republikaner) und erzielte bei den aufeinanderfolgenden Präsidentschaftswahlen hohe Stimmenanteile. Im Jahr 2007 erreichte er im ersten Wahlgang 18 % und wurde dabei von verschiedenen Gruppen rechts von der Sozialdemokratie unterstützt, wie z. B. dem Think Tank „Les Gracques“, dem auch ein gewisser Emmanuel Macron angehört. Im zweiten Wahlgang unterstützte er halbherzig die Sozialdemokratin Ségolène Royal während sein Name als möglicher Premierminister im Falle eines Sieges gegen Sarkozy kursierte.

In all diesen Jahren zögerte der Politiker auch nicht, diejenigen aus der „zentristischen“ Bewegung zu säubern, die zu sehr mit der einen oder anderen Seite kokettierten, wie zum Beispiel sein ehemaliger Leutnant Jean-Marie Cavada, der als zu konservativ-nah eingestuft wurde. In einem vom Zweiparteiensystem geprägten System gelingt ihm das Kunststück, einen Raum in der „Mitte“ zu erhalten, womit er sich als einer der frühzeitigen Vorläufer des Macronismus und seines Projekts des „bürgerlichen Blocks“ erweist. Bayrou hegt seit jeher einen „Präsidentschaftstraum“ und möchte, dass die MoDem vor allem eine Maschine ist, die seinen persönlichen Ambitionen dient. Auf lokaler Ebene spielt die Partei gleichzeitig eine zentrale Rolle bei der Wahrung der politischen Stabilität, indem sie sich in der komfortablen Position des Königsmachers abwechselnd mit dem einen oder dem anderen Lager verbündet.

2017 verbündete sich François Bayrou mit Emmanuel Macron, der ihm die Tür zur Macht öffnete. Kurzzeitig ins sehr strategische Justizministerium berufen, zwingt ihn eine Scheinbeschäftigungsaffäre bei der MoDem schnell dazu, für die Dauer seines Prozesses alle offiziellen Posten aufzugeben, was ihn jedoch nicht daran hindert, ein unumgänglicher Verbündeter des Präsidenten zu bleiben. Seit 2020 Planungskommissar, nutzte der Politiker die Krise des Macronismus, um den Höhepunkt seines Einflusses zu erreichen: Mit nur 93 Abgeordneten von Ensemble Pour la République konnte Macron nicht mehr auf die 36 Abgeordneten der MoDem verzichten. Eine strategische Position, die dem Politiker die Türen zum Premierministeramt geöffnet hat. Dennoch verspricht die Aufgabe, die er vor sich hat, mehr als schwierig zu werden. Ein Misstrauensvotum im Parlament nach wenigen Wochen könnte die Dämmerung seiner politischen Karriere einleiten.

Korruptionsskandale, Gegner der Homo-Ehe

Abgesehen von seinen unbestreitbaren taktischen Fähigkeiten hat Bayrou eine ganze Reihe von Problemen. Insbesondere erlangte er nationale Bekanntheit durch ein virales Video, in dem er während des Präsidentschaftswahlkampfs 2002 ein Kind ohrfeigte. Einige Tage nach der Ausstrahlung des Videos erklärte er, dass es sich lediglich um eine „harmlose Geste eines Familienvaters“ gehandelt habe.

2013 intervenierte er in den Medien gegen die Ehe für alle und erklärte, dass diese eine „Gefahr des Auseinanderbrechens der französischen Gesellschaft“ darstelle. Seiner Meinung nach hatte die „Manif pour tous“, eine extrem rechte Kampagne gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, „das Recht, gehört zu werden“. Seine offenkundige Homophobie verbindet ihn mit vielen von Macrons Ex-Ministern, darunter seinem Vorgänger Michel Barnier.

Und was wäre ein bürgerlicher französischer Politiker ohne Korruptionsvorwürfe? In einer Affäre wurde François Bayrou ab 2017 in einem Fall von Veruntreuung von Geldern und fiktiven parlamentarischen Assistent:innen, von denen die MoDem profitiert hatte, zitiert. Er wurde 2019 angeklagt und im Februar freigesprochen, nicht weil er seine Unschuld beweisen musste, sondern „im Zweifel für den Angeklagten“ geurteilt wurde. Im Übrigen ist der Fall noch nicht abgeschlossen, da die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat. Das Urteil bestätigte außerdem die Schuld von acht Führungskräften der MoDem, die beschuldigt wurden, nicht weniger als 293.000 € veruntreut zu haben. Bayrou gelang es jedoch, durch die Maschen des Netzes zu schlüpfen, da es keine schriftlichen Beweise dafür gab, dass er die Genehmigung für die Veruntreuung erteilt hatte.

Außerdem betont Bayrou häufig seinen „katholischen Eifer“, der ihn unter anderem in die „Gemeinschaft der Seligpreisungen“ geführt hat. Diese strenge Sekte wird regelmäßig in Fällen von sexuellem Missbrauch erwähnt und hat sich durch die Gründung der Vereinigung „Mutter der Barmherzigkeit“, die Frauen von Abtreibungen abhalten soll, und des Hauses Cottolengo, das Aidskranke und Homosexuelle auf den „rechten Weg“ zurückbringen soll, einen Namen gemacht. Die Organisation wurde wiederholt sektenhaften Praktiken beschuldigt und ihre Leiter des psychologischen, physischen und sexuellen Missbrauchs, insbesondere von einer großen Anzahl ehemaliger Anhänger:innen.

Schließlich tat sich François Bayrou 2022 hervor, als er eine „Bank der Patenschaften“ zugunsten von Marine Le Pen und Eric Zemmour vorschlug. Das Patenschaftssystem drohte damals, die beiden extrem rechten Kandidat:innen an der Kandidatur zu hindern, da es den antidemokratischen Charakter der Fünften Republik zu offen enthüllte. Der MoDem-Chef schlug daraufhin vor, dass Kandidat:innen, die in den Umfragen der bürgerlichen Medien mindestens 10 Prozent erhalten, automatisch die 500 Patenschaften erhalten sollten. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, hatte der Zentrumsführer damals selbst Marine Le Pen seine Patenschaft gegeben.

Auf diese Weise konnte François Bayrou von der Schwächung Macrons profitieren, um den Höhepunkt seiner Karriere zu erreichen. Dennoch scheinen seine mittelfristigen Aussichten alles andere als rosig zu sein und es ist schwer vorstellbar, wie es dem MoDem-Chef gelingen wird, die Abstimmung über den künftigen Haushalt zu überleben. Vor allem, wenn er seine Fähigkeit zum „Kompromiss“ nutzen will, um der PS und der LR einen „Nicht-Zensur“-Pakt abzuringen, werden die politischen Widersprüche und das Fehlen einer Mehrheit bald wieder in den Vordergrund rücken. Schon jetzt ist klar, dass der neue Regierungschef in die Fußstapfen seiner Vorgänger treten und alles tun will, um der Arbeiter:innenklasse Sparmaßnahmen aufzuzwingen, wie seine ersten Worte zum Haushalt 2025 anlässlich seiner Amtseinführung zeigen. Angesichts des erbärmlichen Schauspiels, das uns die Fünfte Republik bietet, ist es höchste Zeit, für ihre Zerstörung zu kämpfen, die Präsidentenfigur, den Senat und den Verfassungsrat wegzufegen und diesem verrottenden Regime ein Ende zu setzen.

Dieser Artikel erschien zunächst am 13. Dezember in unserer französischen Schwesterzeitung Révolution Permanente.

Mehr zum Thema