„Es braucht auch in Deutschland Generalstreiks wie in Frankreich und Italien“
Interview mit Nagea Belekhrif, Mitglied im Integrationsrat Wuppertal für DIE LINKE. In dem Interview geht es um Diskussionen bezüglich Palästina in der Partei und wie man als Linke gegen Genozid, Kürzungen und den Rassismus der Bundesregierung kämpfen sollte.
Seit wann bist du bei der Partei Die Linke und warum bist du damals beigetreten?
Nach der letzten Bundestagswahl bin ich dort eingetreten. Eigentlich wollte ich nicht in die Politik gehen und es den „Profis“ überlassen. Ich habe gemerkt, dass Bekannte und Nachbarn in meinem Wahlkreis AfD gewählt haben,was mich schockiert hat. Seit Jahrzehnten werden wir Migrant:innen übersehen, nicht berücksichtigt bzw. in der Politik nicht gehört, aber ständig konfrontiert und verantwortlich für alle Probleme gemacht. Ich wollte daher selbst politisch aktiv in einer Partei werden, um mich gegen den Rechtsruck einzusetzen.
Dabei kamen Parteien, wie die SPD, CDU oder die Grünen nicht in Frage, die den Genozid in Gaza die ganze Zeit unterstützt haben. Daher bin ich in die Linke eingetreten, in der es zwar auch immer wieder schwierige Diskussionen gibt bezüglich Palästina, aber es in eine positive Richtung geht.
Wann hast du dich das erste Mal mit Palästina auseinandergesetzt?
Die palästinensische Sache wurde mir quasi mit der Muttermilch eingepumpt. Die systematische Unterdrückung, Ermordung und Vertreibung der Palästinenser:innen ist keine Sache von gestern oder vor zwei Jahren, sondern geht bereits seit Jahrzehnten so. In familiären Kreisen haben wir dies immer diskutiert.
Ich bin in Belgien aufgewachsen und meine Eltern stammen aus Marokko. In Belgien war es viel normaler, für Palästina und gegen die Besatzung und Apartheid auf die Straße zu gehen. Daher war ich schon mit 18 Jahren auf einer Demonstration für Palästina.
Wie schätzt du die Lage der Palästina Solidarität in der Partei ein?
Man merkt, dass die Solidarität für Palästina in der Partei wächst. Aber man kämpft auch noch oft gegen Windmühlen, habe ich das Gefühl. Es gibt unterschiedliche Sichtweisen, die auch offen diskutiert werden können.
Die Basis der Partei hat den Druck auf die Parteiführung erhöht, sich für Palästina zu positionieren. Ich bin auch sehr stolz, dass wir die „Zusammen für Gaza„-Demo als die Linke mit organisieren konnten. Ich glaube, wenn die Linke sich da nicht positioniert hätte, wäre ich auch wieder ausgetreten. Allerdings bin ich mit der derzeitigen Entwicklung in der Partei zufrieden.
Der 7. Oktober war für alle ein Schock. Allerdings wurde das Massaker relativ schnell dafür genutzt ethnische Säuberungen und Genozid zu rechtfertigen und führende Politiker von Israel und der USA sprachen davon Siedlungen und Urlaubsorte für Tourist:innen auf den Trümmern der zerstörten Städte in Gaza zu bauen. Das „Nie Wieder“, was deutsche Politiker:innen oft hervorheben, sollte nicht nur für Jüd:innen, sondern für alle, also auch für das palästinensische Volk gelten. Dafür sollte die Linke stehen. Die Jugend ist zum großen Teil palästinasolidarisch und setzt sich mit dem Thema viel mehr auseinander als vorherige Generationen.
Hast du selbst Repressionen erlebt wegen Palästinasolidarität?
Die Initiative gegen Antisemitismus in Wuppertal hat der Partei gedroht, mich wegen eines Posts auf Social Media, der zum Boykott von israelischen Produkten aufruft, anzuzeigen. Eine einzelne Person aus dem Ortsverband rief mich an und meinte, dass sich die Partei von mir distanzieren müsse. Allerdings habe ich dann bei der Mitgliederversammlung offen darüber gesprochen, ob dies wirklich der Fall sein würde. Das haben alle Mitglieder verneint, was mich nochmal bestärkt hat, in der richtigen Partei zu sein.
Es gibt gerade wieder einen Waffenstillstand, den Israel aber bisher regelmäßig gebrochen hat. Was braucht es um den Genozid, aber auch den Rechtsruck zu bekämpfen und was kann die Linke tun?
Der Genozid muss überall anerkannt werden. Die Linke sollte den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, dass sie sich von Israel distanziert und die Beziehungen abbricht, sodass Israel immer weiter isoliert wird. Zudem sollte die Partei noch mehr über Palästina informieren, zum Beispiel indem sie Aufklärungsarbeit leistet, auch über den Rechtsruck und die AfD.
Viele Migrant:innen sorgen sich auch über den steigenden Rassismus und sie wissen, dass sie oft viel härter bestraft werden, wenn sie Fehler machen und haben daher Angst, wie sich die Situation in Deutschland entwickelt. In Zeiten, wo der Bundeskanzler sagt, dass es einen importierten Antisemitismus von Muslim:innen gibt, sollte allen klar sein, dass was nicht stimmt. Zudem hetzt die Regierung gegen Arme und Arbeitslose, spart bei ihnen, während Friedrich Merz die Diäten für seine Minister um 1200 Euro erhöht. Wie können wir als Menschen da nicht auf die Straße gehen?
Zudem sollte die Linke sich auch für mehr Investitionen in Bildung und Soziales einsetzen.
Sollte die Linke auch zu mehr Demonstrationen und Streiks für Palästina und gegen die Merz Regierung eintreten?
Ja, auf jeden Fall! Ich wünschte, es gäbe mehr Mentalität in Deutschland auf die Straße zu gehen, wie in Frankreich und zuletzt beim Generalstreik für Palästina in Italien. Auch hier braucht es Generalstreiks, um diese Regierung abzusetzen. Wir haben ja gemerkt, dass es etwas bewirkt, für Gaza auf die Straße zu gehen.
Demonstrationen sind eine der wenigen Möglichkeiten für uns Arbeiter:innen und Unterdrückte, klar zu machen: „Hier läuft was schief!“ Politiker sollten das nicht als Störung, sondern als Dialog verstehen. Die Themen, die wir auf der Straße tragen, gehören einfach auf die politische Agenda.
Ich fände es echt gut, wenn wir öfter demonstrieren würden, um zu zeigen: Hier drückt der Schuh! Wichtig ist, dass die Politik diese Proteste dann auch ernst nimmt. Dies geschieht nur, wenn es breite Mobilisierungen gibt, wo auch die Gewerkschaften aufrufen und sich gegen die Politik der Regierung stellen.
Denn solange wir überhaupt auf die Straße gehen, zeigt das: Wir glauben noch daran, dass wir selbst auch etwas verändern können und diesem ungerechten System nicht einfach ausgeliefert sind. Und dieser Glaube ist unheimlich viel wert.
Wie siehst du die letzten Aussagen von Bodo Ramelow und anderen führenden Parteimitgliedern wie Ines Schwerdtner?
Bodo Ramelow ist meiner Meinung nach untragbar. Er sollte nicht mehr in der Partei sein. Vor allem lernt er nicht daraus oder ändert seine Meinung. Er ist falsch in der Partei.
Für uns als Feminist:innen steht Bodo Ramelow leider oft symbolisch für genau die Strukturen, die wir überwinden wollen: Den weißen, älteren Mann aus dem politischen Establishment, der das patriarchale, kapitalistisches System für uns verkörpert. Auch er sollte die aktuelle Kritik zum Anlass nehmen, seine Positionen noch einmal gründlich zu überdenken.