Welche Linke brauchen wir?

12.07.2015, Lesezeit 5 Min.
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„Oxi!“ Am 5. Juli war die Ablehnung nicht zu überhören: Mehr als 60 Prozent der Menschen im Griechenland stimmten mit „Nein“ beim Referendum über die Sparpolitik der deutschen Regierung und der Troika. Auch in anderen europäischen Ländern sagten vielen Menschen „Nein“ zu den Kürzungen, mit denen die ArbeiterInnen und die Jugend für die Krise des Kapitalismus zahlen sollen.

Doch die griechische Regierung von Alexis Tspiras und der reformistischen Partei Syriza interpretiert das Ergebnis genau andersherum: Sie glauben, sie haben ein Mandat, um ein neues Kürzungsprogramm mit der Troika auszuhandeln.

Die Grenzen der Linksregierung

Am Anfang des Jahres gewann Syriza die Wahlen und bei der reformistischen Linken in Europa kannte die Euphorie keine Grenzen: Die Zeit der Austerität war angeblich vorbei. Doch gleich am nächsten Tag bildete Tsipras eine Regierung zusammen mit der rechtsnationalistischen ANEL. In den endlosen Verhandlungsrunden der folgenden Monate gaben sie eine Forderung nach der anderen auf. Während wir diese Zeilen schreiben wird trotz des Referendums ein neues „Memorandum“ verhandelt.

Auch Pablo Iglesias von der neuen Partei Podemos im Spanischen Staat galt zeitweilig als ein Rockstar, der ohne Umwege die Regierung übernehmen würde. In den letzten Monaten haben unabhängige BürgerInneninitiativen zusammen mit Podemos die Rathäuser in Barcelona, Madrid und anderen Städten erobert. Doch die Partei stagniert in den Umfragen und Iglesias macht klar, dass er nach den Wahlen eine Regierung mit der zutiefst korrupten, sozialdemokratischen PSOE bilden wird.

Der „linke Aufbruch“, der eine bessere Verwaltung des Kapitalismus versprach, hielt also nicht lange. Projekte wie Podemos, die „weder links noch rechts“ sind, sondern nur „anständige Regierungen“ anstreben (Iglesias), stoßen an ihre Grenzen. Syriza sah sich immer in der Pflicht, die Regeln des Kapitalismus einzuhalten. Dazu gehört auch die Anerkennung der „Institutionen“ und der Europäischen Union, die immer stärker die Politik des deutschen Imperialismus durchsetzen.

Doch in einem Europa, das seit Jahren von der weltweiten Krise des Kapitalismus erschüttert wird, gibt es wenig Spielraum für Reformprojekte. Die linken Kräfte, die an die Macht kommen, müssen dann genau die Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung durchsetzen, die sie vor den Wahlen angeprangert haben. Die einzige Alternative ist der Kampf gegen das Europa des Kapitals und für ein sozialistisches Europa der ArbeiterInnen.

Welche Strategie ist nötig?

Linke ApologetInnen der Syriza-Regierung – sowohl innerhalb der Regierungspartei als auch in einem breiten Spektrum der europäischen Linken – setzen ihre Hoffnung auf eine „Doppelstrategie“, die die Regierungsübernahme durch starken Druck auf der Straße ergänzen soll. Doch das Beispiel Griechenland, wo es in den letzten Jahren über 30 Generalstreiks – also keinen Mangel an Straßenprotest! – gegeben hat, entlarvt diese Strategie als Sackgasse. Reformismus plus soziale Bewegungen ist immer noch Reformismus. Und manchmal ist es noch schlimmer: Die Versprechen einer bürgerlichen „Linksregierung“ können die Massen demobilisieren.

Dabei ist es im Zuge des Referendums umso wichtiger, den Protest auf der Straße zu verstärken und weitere Sektoren der ArbeiterInnenklasse gegen die Angriffe der Troika zu mobilisieren. In der Woche der Kampagne für „Oxi“ ließ sich die gewaltige Kraft der ArbeiterInnen und Jugend erahnen. Eine Kraft, so gewaltig, dass sie auch die Spardiktate der Troika zurückschlagen kann – wenn sie sich nicht von der Syriza-Regierung abhängig macht, sondern auf Selbstorganisierung setzt.

Im siebten Jahr der weltweiten kapitalistischen Krise werden wir neue Spannungen zwischen den arbeitenden Massen und ihren reformistischen Führungen erleben – vor dem Hintergrund ist eine unabhängige Politik der ArbeiterInnenklasse nötiger denn je. Nur die Perspektive einer ArbeiterInnenregierung, die mit dem Kapital vollständig bricht, kann im Rahmen eines Übergangsprogramms die wichtigsten Forderungen der ArbeiterInnen durchsetzen. Zu diesen gehören die Nicht-Zahlung der Schulden, die entschädigungslose Enteignung des Bankensektors und der Industrie unter ArbeiterInnenkontrolle, die Rücknahme aller Privatisierungen und die sofortige Erhöhungen der Renten und Löhne.

Trotz des Chauvinismus

Und auch in Deutschland, trotz des Gifts des Chauvinismus, kämpfen einige Sektoren der ArbeiterInnenklasse für ihre Rechte. Doch neben dieser Kampfbereitschaft erleben wir die verräterische Rolle der Gewerkschaftsbürokratie, die die Kämpfe bremst und ausverkauft. Trotz des vorherrschenden reaktionären Klimas muss es uns gelingen, revolutionäre Fraktionen in der ArbeiterInnenbewegung aufzubauen. Auch dafür brauchen wir ein klares Programm.

Nur wenn wir die Lehren aus den wichtigsten Kämpfen ziehen, können wir eine starke revolutionäre Organisation aufbauen, die sich dem Kapital entgegenstellen kann. Deswegen wollen wir – besonders mit dieser Ausgabe von Klasse Gegen Klasse – verschiedene Debatten über linke Strategie vorantreiben.

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