Was uns die Hafenarbeiter*innen aus Genua lehren: Refugees Welcome statt Waffenlieferungen

01.07.2019, Lesezeit 7 Min.
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„Dem Krieg gegenüber geschlossen, den Geflüchteten offen“, lautet die Parole der Hafenarbeiter*innen in Genua. Ein hervorragendes Beispiel für proletarischen Internationalismus, wovon die Arbeiter*innenbewegung besonders in den imperialistischen Zentren wichtige Lektionen ziehen kann.

Erst haben sie sich geweigert, saudische Schiffe mit Militärgütern für die Invasion Jemens zu beladen, nun haben die Hafenarbeiter*innen von Genua den Wunsch ausgedrückt, das Rettungsschiff Sea Watch 3 in ihrem Hafen zu empfangen. Mitten in einer menschenunwürdigen Lage am Mittelmeer haben sie entgegen der chauvinistischen Agenda der Europäischen Union mehrere Interventionen durchgeführt, die uns alle daran erinnern, wozu die Arbeiter*innenklasse fähig ist.

Keine Waffen an Kriegstreiber*innen: Hafen geschlossen für den Krieg

Heute Morgen bekamen wir leider die Bestätigung, dass sie auch hier in Genua die Verladung von Militärgütern geplant haben. Wir haben zu einem Streik aufgerufen, weil wir nicht am Krieg in Jemen beteiligt sein wollen. (Hafenarbeiter aus Genua)

Im März 2015 wurde Jemen zum Schauplatz des Stellvertreter*innenkrieges zwischen Saudi-Arabien und Iran. Saudi-Arabien, Verbündeter des Westens und der Anführer der Reaktion, führt die Militärallianz an. Die militärische Invasion des Landes hat die Infrastruktur und überhaupt die Staatlichkeit ruiniert, woraus die derzeit größte humanitäre Krise entstanden ist.

Auch wenn die europäischen – vor allem deutschen – Rüstungsunternehmen harmonische Beziehungen zu Kronprinz Mohammed bin Salman pflegen, entstand in mehreren Ländern zivilgesellschaftliche Empörung über die Waffenexporte nach Saudi-Arabien, die auf die Regierungen einen spürbaren Druck ausgeübt hat. Deshalb gab es einige Blockaden der Lieferungen an Saudi-Arabien. Der proletarische Ausdruck war zunächst in Le Havre sichtbar. Kein Zufall, da diese Hafenstadt in der nahen Geschichte der französischen Arbeiter*innenbewegung zur „Streikhauptstadt“ wurde, als die französische Regierung ihnen neoliberale Arbeitsmarktreformen zu diktieren versuchte.

Am 10. Mai haben die Hafenarbeiter*innen von Le Havre es abgelehnt, das saudische Frachtschiff „Bahri-Yanbu“ zu empfangen. Zehn Tage später haben sich ihre Kolleg*innen in Genua ähnlich verweigert, das Schiff mit Kriegsmaterialien zu beladen. Sie haben gestreikt und eine wahre internationalistische Botschaft gesendet: „Hafen geschlossen für den Krieg – Hafen offen für Migrant*innen“

Des Weiteren fanden in Santander und Marseille aus demselben antimilitaristischen Grund Boykott-Aktionen gegen das saudische Schiff statt. Der „Hafen-Widerstand“ der Kolleg*innen war jedes Mal erfolgreich. In einem Gespräch mit Jacobin Magazin hat Giacomo Marchetti, der zu den Organisator*innen der Streikaktion in Genua gehört, auf die lange antiimperialistische Tradition des Hafens von Genua hingewiesen:

Der Hafen von Genua stand schon immer im Mittelpunkt der Solidaritätsaktionen gegen den imperialistischen Krieg — vom Krieg in Vietnam über den Krieg im Irak bis hin zum Widerstand gegen Pinochet in Chile.

Der Widerstand von antifaschistischen Partisan*innen in Genua zählt ebenfalls zur heroischen Tradition der Hafenstadt.

Gegen die rassistische Festung Europas: Hafen offen für Migrant*innen

Ein Schiff mit 42 Menschen an Bord wartete zwei Wochen vor der Küste von Lampedusa. Es sind Menschen, die vor dem Krieg fliehen, vor dem Elend, vor der Gefangenschaft. Die Verantwortlichen für diese Kriege und das Elend sitzen in den Europäischen Parlamenten sowie in den italienischen und europäischen Verwaltungsbüros. (…) Wir sind einfache Arbeiter*innen im Hafen von Genua, aber gerade weil wir Arbeiter*innen sind, können wir uns nur in den Grundwerten der Arbeiter*innenklasse wiedererkennen: Die Brüderlichkeit zwischen den Menschen, die internationale Solidarität.

Das ist die Botschaft, die das autonome Kollektiv der Hafenarbeiter*innen von Genua an Sea Watch gesendet hat. Mit 42 Geflüchteten, die vor der libyischen Küste aufgenommen wurden, fuhr das Rettungsschiff zwei Wochen lang im Mittelmeer herum und forderte die Öffnung eines sicheren Hafens, während der ultrarechte Innenminister Italiens, Matteo Salvini, die Einfahrt blockierte und mit Verhaftung und Beschlagnahmung des Schiffes drohte.

Die Geschichte von Sea Watch 3 ist ein neues Kapitel aus der Festung Europa, die seit Jahren andauert. Die Europäische Union (EU) gibt Milliarden für Grenzschutz aus, damit ihre Grenzschutzorganisation Frontex die Flüchtenden an der Überquerung des Mittelmeers hindert. Die Fakten zeigen die brutalen Folgen der rassistischen Unterdrückung: Nach Angaben der UNO ertranken im Jahr 2018 im Schnitt jeden Tag sechs Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Im Jahr 2019 starben bis zum 25. Juni 597 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer. Damit ist es die tödlichste Grenze der Welt.

Die Militarisierung europäischer Grenzen nimmt bewusst Tote in Kauf, während die Massenflucht zur unvermeidbaren Realität geworden ist. Im Jahr 2018 waren weltweit 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Gründe hierfür lassen sich in Umweltzerstörung, der ökonomischen und militärischen Ausplünderung der Länder der sogenannten dritten Welt finden, die zu Zusammenbrüchen geführt haben und zu Konflikten, die im Rahmen der kapitalistischen Ordnung unlösbar sind. Die Militarisierung verhindert nicht dass Millionen von Menschen in die imperialistischen Zentren fliehen (müssen), sondern macht es nur gefährlicher. Oder um es mit Trotzki zu beschreiben:

„Inmitten der ungeheuren Landflächen und den Wundern der Technik, die dem Menschen Himmel und Erde erschließen, hat es die Bourgeoisie fertiggebracht, unseren Planeten in ein widerwärtiges Gefängnis zu verwandeln.“

Was Deutschland betrifft…

Noch im Sommer 2018, als der deutsche Innenminister Horst Seehofer an einer „Migrationspolitik“ arbeitete, pflegte er gute Beziehungen zum ultrarechten Orbán aus Ungarn und Salvini aus Italien. Heute scheint das Triumvirat wegen Interessenkonflikten aufgelöst zu sein. Seehofer war erfolgreich darin, rechter Demagogie Gehör zu verschaffen und die Migrations- und Asylgesetze zu verschärfen. Rechter Terror hat in seiner Legislaturperiode zugenommen. Angela Merkel war die Architektin der Festung Europa, als sie mit den diktatorischen Regimen Abkommen vereinbart hat, um die Geflüchteten davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. Die Migration kann nicht durch Abschottungen, rassistische Politik und polizeiliche Maßnahmen gestoppt werden. Sie wird sich ausdehnen, und es wird immer mehr Geflüchtete geben. Es formiert sich Widerstand, um das elementare Recht der Bewegungsfreiheit uneingeschränkt zu verteidigen.

Im Sommer 2015, als die Geflüchteten die reaktionären Grenzen der Nationalstaaten durchbrochen haben, war es kein Problem für die NGOs, sie an den Hauptbahnhöfen abzuholen und in ihre Strukturen aufzunehmen. Heute werden migrationssolidarische Menschen kriminalisiert. Ihnen wird selbst die sichere Einfahrt in den Hafen verwehrt. Deutschland hat Ankerzentren gebaut, die als Geflüchteten-Gefängnisse gelten.

Es ist von fundamentaler Bedeutung, dass sich unter diesen Umständen die Arbeiter*innenbewegung radikalisiert und ihre Streitmittel anwendet. Wir unterstützen deshalb die antimilitaristischen und antirassistischen Aktionen der Hafenarbeiter*innen von Genua. Auch für die Hafenarbeiter*innen in Deutschland sind diese Erfahrungen wichtig. Dadurch können sie Waffenlieferungen an den israelischen und türkischen Staat verhindern, die Palästina und Kurdistan besetzt halten. Sämtliche diplomatischen Verträge und die Inhalt von Frachtlieferung müssen vor den Arbeiter*innen offengelegt werden. Sie sollen die Exporte kontrollieren und Waffenlieferungen stoppen können.

Wir kämpfen für ein Europa der Arbeiter*innen, ein sozialistisches Europa – das einzige Europa, das wirklich offene Grenzen für alle garantieren kann. Der Weg dahin ist weit – doch es ist der einzig realistische, im Gegensatz zur reaktionären Utopie, dass das Kapital Europa friedlich vereinigen könnte.

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