Was tun nach dem Post-Streik? Fünf Vorschläge

22.07.2015, Lesezeit 6 Min.
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Nach vier Wochen hat ver.di den Streik bei der Deutschen Post AG abgebrochen. Und die Wut an der Basis der Gewerkschaft ist spürbar. Seitdem laufen hitzige Diskussionen in Pausenräumen, in gewerkschaftlichen Gremien und auch in sozialen Medien. Sollte man aus ver.di austreten? Oder den nächsten Bundeskongress der Gewerkschaft im September abwarten? Brauchen wir eine ganz neue Gewerkschaft? Oder nur andere Leute an der Spitze? Fünf Vorschläge von ArbeiterInnen und Jugendlichen, die den Streik bei der Post solidarisch begleitet haben:

1. Der Niederlage ins Gesicht schauen.

Ja, es hätte noch schlimmer kommen können, wie Kocsis und viele andere FunktionärInnen immer wieder betonen. Doch das Ergebnis ist trotzdem schlimm. Die Lohnerhöhungen sind minimal. Die Ausgliederung der Delivery GmbHs bedeutet eine Niederlage für alle PostlerInnen. Die neuen PaketzustellerInnen werden deutlich weniger verdienen, und durch die Belegschaft wird eine große Spaltung gehen. Gewerkschaftliche Strukturen müssen neu aufgebaut werden.

Die Deutsche Post AG setzt auf Prekarisierung und auf pure Ausbeutung. Das deutsche Kapital verabschiedet sich von der früheren „Sozialpartnerschaft“ zugunsten eines neuen Wirtschaftsmodells mit unsicherer Arbeit und Niedriglöhnen. Doch die Gewerkschaftsführungen wollen den Wandel nicht einsehen. Deswegen hat ver.di hier, wie in vielen anderen Fällen, leider erneut bewiesen, dass sie sich nicht mit allen verfügbaren Mitteln gegen Prekarisierung stellt.

Aus dieser Niederlage müssen wir die richtigen Lehren ziehen, damit wir den nächsten Kampf gewinnen können.

2. Diskutieren! (Und sich dafür zusammensetzen!)

Über 700 KollegInnen haben die Petition für eine Urabstimmung unterschrieben. Kein Wunder, dass die ver.di-Führung die Meinung ihrer Mitglieder nicht einholen möchte – wer weiß, wieviele mit „Nein“ stimmen würden? Bei verschiedenen lokalen Streikversammlungen am letzten Tag des Ausstandes haben 100% der KollegInnen gegen den Abschluss gestimmt.

Die neuen Facebook-Gruppen sind schonmal ein Anfang. Darüber hinaus sollten sich kritische KollegInnen auch zusammensetzen, um das Ergebnis zu diskutieren und die nächsten Schritte zu planen – lokal, aber auch regional und bundesweit. Schließlich gibt es PostlerInnen rund um die Welt mit kämpferischen Erfahrungen. Deswegen stießen Nachrichten über den Streik bei der Post AG auf großes Interesse bei KollegInnen aus Frankreich und Argentinien. Also auch mit KollegInnen in anderen Ländern lohnt sich die Vernetzung.

3. Basisgruppen bilden!

ArbeiterInnen wissen selbst am Besten, was sie brauchen und wie sie das erkämpfen können. Deswegen muss Gewerkschaftsarbeit an der Basis stattfinden. Nicht in einem ruhigen Büro im Gewerkschaftshaus, sondern in der Belegschaft sollen Aktionen geplant werden. Wir brauchen kritische Basisgruppen, die eigene Flyer und Zeitungen herausgeben und auch unabhängig von den FunktionärInnen agieren können.

Besonders lohnenswert ist es, sich mit anderen ArbeiterInnen zu vernetzen. Die KollegInnen bei Amazon streiken seit zwei Jahren. Die ErzieherInnen haben monatelang gestreikt, aber die ver.di-Führung versucht gerade, ihren Kampf abzuwürgen. Die LokführerInnen von der GDL haben viele Forderungen durchsetzen können. Andere KollegInnen, wie zum Beispiel im Nahverkehr, mussten zusehen, wie ver.di oder andere Gewerkschaften ihre Streiks verraten haben.

Aus all diesen Erfahrungen können wir lernen – aber dazu müssen wir sie miteinander teilen. Es gab schon verschiedene gemeinsame Demonstrationen. Aber das blieb auf der symbolischen Ebene. Nötig wären zum Beispiel gemeinsame Streikversammlungen, um die Kämpfe wirklich zusammenzuführen.

4. Bürokratie hinterfragen!

Warum stimmen die ver.di-FunktionärInnen Ergebnissen zu, die ihren Mitgliedern nicht gefallen? Werden sie nicht gerade dafür bezahlt, den Willen ihrer Mitglieder durchzusetzen?

Die traurige Wahrheit ist, dass GewerkschaftsfunktionärInnen in einer anderen Welt leben als wir. ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske verdient nach nicht ganz aktuellen Angaben bis zu 225.000 Euro im Jahr. Ein ver.di-Insider sagt, durch den Lohn solle sich Bsirske „auf Augenhöhe“ mit den KapitalistInnen verhandeln können. Das mag der Fall sein – aber dann ist er nicht auf Augenhöhe mit uns!

Die Gewerkschaften werden von einer privilegierten Schicht aus BürokratInnen geführt. Manche sind linker, manche sind rechter – aber alle verteidigen ihre eigenen Privilegien. Sie inszenieren sich als „ExpertInnen“ des Arbeitskampfes – und blockieren oft jede Initiative von der Basis, wenn diese selbst Verantwortung zu übernehmen versucht. Klar: Wenn die Basis sich eigenständig organisieren könnte, was würde dann noch die üppigen Gehälter (auch für einfache FunktionärInnen) rechtfertigen?

Also andere Menschen – linker, kämpferischer, demokratischer – an die Spitze stellen? Nein, das Problem geht tiefer. Wir brauchen eine Gewerkschaft, in der die Mitglieder die Entscheidungen treffen. Deswegen sollten sich kritische KollegInnen auch unabhängig von den FunktionärInnen zusammensetzen – denn auch sehr linke FunktionärInnen haben eine materielle Sonderstellung, wenn sie von der Gewerkschaft bezahlt werden. Letztendlich sind sie nicht den Mitgliedern rechenschaftspflichtig, sondern ihren „Arbeitgebern“.

5. Für eine andere Art von Gewerkschaft streiten!

Die DGB-Gewerkschaften organisieren heute rund sechs Millionen Menschen. Außerhalb des DGBs gibt es Spartengewerkschaften für bestimmte Berufe. Dank des antidemokratischen Arbeitsrechts in der Bundesrepublik existieren keine weiteren Gewerkschaften. Allein deswegen wäre es falsch, as ver.di auszutreten – die Alternative zu ver.di ist aktuell nur die Vereinzelung.

Innerhalb der großen Gewerkschaften müssen wir für eine andere Art von Interessensvertretung streiten: Eine Gewerkschaft, in der alle Entscheidungen auf Versammlungen der Mitglieder getroffen werden; in der FunktionärInnen direkt gewählt werden, und jederzeit abgewählt werden dürfen; in der FunktionärInnen einen einfachen ArbeiterInnenlohn verdienen und ihre Posten rotierend besetzt werden.

In den letzten Jahrzehnten hat es keine solche Gewerkschaften in Deutschland gegeben. Aber die ArbeiterInnenbewegung ist von einfachen ArbeiterInnen der Basis – nicht von gutbezahlten „Profis“ – erst aufgebaut worden. In anderen Ländern gibt es Beispiele, wie ArbeiterInnen sich organisieren und ihre Gewerkschaft von der Bürokratie zurückerobern. (Die Keramikfabrik Zanon in Argentinien ist ein Beispiel dafür.)

Das ist keine einfache Aufgabe, aber deutlich besser als eine Niederlage wie diese!

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