Was können wir von der Wahlfront der revolutionären Linken Argentiniens lernen?

27.07.2015, Lesezeit 25 Min.
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// Woher kommt der Erfolg der FIT und was wird in den kommenden Vorwahlen debattiert? //

Die kürzlichen Wahlen in der argentinischen Provinz Mendoza zeigen den riesigen Fortschritt, den die Front der Linken und der ArbeiterInnen (Frente de Izquierda y de los Trabajadores, FIT) gemacht hat. Die KandidatInnen der Front für die Gouverneurswahlen, Noelia Barbeito von der Partei Sozialistischer ArbeiterInnen (Partido de los Trabajadores Socialistas, PTS), bekam mehr als 110.000 Stimmen, ein historisches Ergebnis für die Linke. In diesem August wird die FIT ihre ersten internen Vorwahlen haben, mit zwei verschiedenen Vorschlägen: ein Vorschlag der ArbeiterInnenpartei (Partido Obrero, PO) und ein Vorschlag der PTS. Woher kommt der Erfolg der FIT und was wird in den kommenden Vorwahlen debattiert?

Die FIT wurde 2011 als politische Wahlfront gegründet, um auf die restriktive Wahlrechtsreform der Kirchner-Regierung zu antworten. Laut dem Gesetz darf keine Partei bei den allgemeinen Wahlen antreten, die in den Obligatorischen offenen und gleichzeitigen Vorwahlen (Primarias Abiertas Simultáneas y Obligatorias, PASO) die Grenze von 1,5 Prozent der Stimmen sowohl auf nationaler Ebene (etwa 400.000 Stimmen) als auch in jeder einzelnen Provinz unterschreitet.

Angesichts dieses Manövers der Regierung, das auf die Eliminierung jedweder unabhängigen Alternative der ArbeiterInnenklasse in den Wahlen abzielte, wurde die FIT geschaffen. Die Front besteht aus der PO und der PTS, die die größten Parteien der argentinischen Linken sind, sowie Izquierda Socialista (Sozialistische Linke, IS). Alle drei Organisationen identifizieren sich als trotzkistisch.

In ihrem Gründungsprogramm, welches später durch eine Reihe programmatischer Erklärungen erweitert wurde, vertrat die FIT nicht nur klar eine unabhängige Perspektive der ArbeiterInnenklasse, sondern kritisierte und stellte sich ausdrücklich den populistischen Strömungen entgegen, die sich auf die sogenannten postneoliberalen Regierungen (Evo Morales, Hugo Chavez, und natürlich die Kirchners) beziehen und in Lateinamerika ein großes Gewicht besitzen.

Es war ein antiimperialistisches und antikapitalistisches Übergangsprogramm, welches die Notwendigkeit einer „Regierung der ArbeiterInnen und der Massen, die auf der Mobilisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten basiert“, ausdrückt. Der Versuch, die Teilnahme der Linken an den allgemeinen Wahlen 2011 zu verhindern, wurde von der FIT zurückgeschlagen: Sie erreichte mehr als eine halbe Million Stimmen für die Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidatur und fast 600.000 Stimmen für legislative Positionen. Im Jahr 2013 verbesserten sich die Stimmen für die Front auf 1,3 Millionen Stimmen, wodurch die FIT drei Sitze im Kongress erlangte (einen für die Provinz Buenos Aires, einen für Mendoza und einen weiteren für Salta), die einzigen Sitze für die Linke, zusätzlich zu mehreren Sitzen in Provinz- und Kommunallegislaturen.

In den kürzlichen Gouverneurswahlen in der Provinz Mendoza am 22. Juni erlangte die Kandidatin der PTS und der FIT, Noelia Barbeito, den dritten Platz mit 10,32 Prozenten der Stimmen (mehr als 110.000 Stimmen absolut), in einer Wahl, die zwischen dem ausgewählten Kandidaten der Kirchner-Regierung und dem Kandidat der oppositionellen UnternehmerInnen ausgefochten wurde. Es war ein historisches Ergebnis für die argentinische Linke in einer exekutiven Provinzwahl, die sich zu dem kürzlichen Erfolg des PTS- und FIT-Kandidaten Nicolás del Caño gesellt, der in Mendoza-Stadt einige Monate später 17 Prozent der Stimmen bekam. Del Caño ist aktuell ein Abgeordneter im nationalen Kongress für die Provinz Mendoza und wird in den offenen Vorwahlen der FIT für die PTS als Präsidentschaftskandidat antreten.

Warum gibt es zwei FIT-Listen in den Vorwahlen?

Aufgrund der Ablehnung der PO gegenüber einer einheitlichen Liste, die von zahlreichen unabhängigen und respektierten Intellektuellen und UniversitätsprofessorInnen unterstützt wurde, und danach ihrer Ablehnung zahlreicher Vorschläge der PTS (die auf Spanisch hier, hier und hier nachgelesen werden können), wird die PO (gemeinsam mit Izqiuerda Socialista) in den kommenden Vorwahlen gegen die PTS antreten.

Hunderttausende WählerInnen werden entscheiden, wer die KandidatInnen der FIT sein werden, die sich den KandidatInnen der Bosse, wie Scioli, Macri und Massa entgegenstellen werden. Sie alle sind politische ErbInnen von Carlos Menem, dem Hauptarchitekten der Ära des Neoliberalismus in den 1990ern. Es lohnt sich zu betonen, dass die Stimmen beider Listen in den Vorwahlen zusammengezählt werden, um die gesetzliche Minimalgrenze von 1,5 Prozent für alle Parteien zu überschreiten.

Woher kommt die Stärke der FIT bei den Massen? Was kann uns diese Erfahrung angesichts der wachsenden Anpassung der internationalen Linken an neoreformistische Phänomene wie Podemos und Syriza oder an die postneoliberalen Regierungen Lateinamerikas lehren? Was genau wird in dieser internen Vorwahl der FIT debattiert? Welche strategischen Differenzen drücken sich in den Vorwahlen aus? Und was können wir innerhalb dieser Debatten von den kürzlichen Wahlerfolgen der FIT in Mendoza, einer der Bastionen der PTS, lernen? Wir wollen versuchen, all diese Fragen zu beantworten.

Ursprünge der FIT: die trotzkistische Linke Argentiniens nach 2001

Die Rebellion vom 19. und 20. Dezember 2001 erschütterte das Land und markierte deutlich ein „Davor“ und „Danach“. Zum ersten Mal fiel eine gewählte Regierung als Resultat einer Mobilisierung der Massen. Aber zu diesem Zeitpunkt war die trotzkistische Linke, die in Argentinien eine lange und ereignisreiche Tradition besitzt, im Allgemeinen schwach – besonders in der ArbeiterInnenbewegung, die in einer Situation von 25 Prozent Arbeitslosigkeit fragmentiert und gespalten war – und spielte keine besondere Rolle.

Bis zum Ende des Jahrzehnts hatte sich die Mehrheit der trotzkistischen Strömungen auf internationaler Ebene in gescheiterte Projekte „breiter Parteien“ zurückgezogen oder den Trotzkismus vollständig fallen gelassen, wie es im Fall von Strömungen wie der Ligue Communiste Révolutionnaire in Frankreich geschah, oder erlitten ansonsten eine sektiererische Degeneration. In Argentinien behielt die trotzkistische Linke, im Wesentlichen die PO und die PTS, demgegenüber ihr Programm bei und machte politische Fortschritte.

Was war die Wurzel dieses Phänomens? Beide Parteien gingen aus der Krise von 2001 mit starken Verbindungen zum Klassenkampf und zur ArbeiterInnenbewegung hervor – die PO mit der Arbeitslosenbewegung und die PTS mit der Bewegung der Fabriken unter ArbeiterInnenkontrolle, am berühmtesten mit der Zanon-Fabrik. Zu den wichtigsten AnführerInnen der Bewegung gehörte Raúl Godoy von der PTS, der kürzlich als Provinzabgeordneter in Neuquén wiedergewählt wurde und an der Spitze der PTS-Liste in den kommenden Vorwahlen der FIT in der Provinz stehen wird. Von diesem Moment an haben die PO und die PTS unterschiedliche Strategien des Parteiaufbaus angenommen.

Die PTS unternahm die oft schwere und unsichtbare Arbeit innerhalb der ArbeiterInnenbewegung und der Industriegewerkschaften und nutzte dazu die objektive Stärkung der ArbeiterInnenklasse aus. Die PO arbeitete unter der Theorie, dass das Subjekt nun die Arbeitslosen (die piqueteros) seien und klammerte sich so an die Arbeitslosenbewegung. Letztlich wurde die Partei dadurch geschwächt: durch die Kooptierung von piquetero-AnführerInnen und durch die wirtschaftliche Stabilisierung, die den Arbeitslosen die Rückkehr an die Arbeit ermöglichte – wenn auch oftmals unter prekären Bedingungen.

Mit der Weltwirtschaftskrise, die Argentinien 2009 einen ernsthaften Schlag versetzte, kam der Prozess der Herausbildung einer wachsenden ArbeiterInnenavantgarde in der Industrie, die gegen Massenentlassungen kämpfte, in den Vordergrund. Das Symbol dieses Kampfes war die Kraft-Fabrik, wo 2.500 ArbeiterInnen beschäftigt waren. Im Betriebsrat (comisión interna) gab es eine Minderheit der PTS, angeführt von Javier „Poke“ Hermosilla, der aktuell Kandidat zum Vizegouverneur für die PTS in den FIT-Vorwahlen ist.

Nach dem langen Streik, der nur durch die Repression und Räumung der Fabrik durch die Polizei beendet wurde, die von den größten Fernsehkanälen live übertragen wurde, machte eine ArbeiterInnenavantgarde und mit ihr die PTS einen unvergleichlich großen Sprung nach vorne.
Dieser Aufschwung drückte sich in den Wahlen von 2009 aus. Nachdem die PO sich geweigert hatte, an einer Wahlfront teilzunehmen, schuf die PTS eine Allianz mit Izquierda Socialista und der Bewegung für den Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS): die Antikapitalistische und Sozialistische Front der Linken und der ArbeiterInnen (Frente de Izquierda y los Trabajadores Anticapitalista y Socialista, FITAS). In der Provinz Buenos Aires überholte die Front die PO, eine Strömung mit mehr als 50-jähriger Geschichte in Argentinien.

Nachdem die gewachsene Gleichheit der Kräfte offensichtlich wurde, und um die restriktive Mindeststimmenanzahl zu überwinden, die vom neuen Wahlgesetz etabliert wurde, revidierte die PO 2011 ihre Entscheidung von zwei Jahren zuvor: die Front der Linken und der ArbeiterInnen war geboren, mit Jorge Altamira als Präsidentschaftskandidat, der die PO vertrat, und Christian Castillo von der PTS als Vizepräsidentschaftskandidat.

Die Schwäche der Projekte der reformistischen Opposition

m Gegensatz zu Griechenland mit der Erfahrung von Syriza oder im Spanischen Staat mit Podemos, gab es in der politischen Szene Argentiniens keine solchen Parteien. Parteien wie die Sozialistische ArbeiterInnenbewegung (Movimiento Socialista de los Trabajadores, MST), die auf diese Art von Projekten abzielen, haben seit Jahren Allianzen mit Mitte-Links-Parteien gesucht und sind dabei elend gescheitert. Bei den kürzlichen Wahlen in der Stadt Buenos Aires konnten sie die 1,5 Prozent-Hürde nicht überwinden. Andere Koalitionen größerer Ausstrahlung wie das Projekt Süden (Proyecto Sur) des Regisseurs Pino Solana haben sich ohne großes Aufhebens aufgelöst.

Ihr Scheitern hat zum Einen mit dem reformistischen Diskurs der Kirchner-Regierung selbst zu tun, aber auch mit der Existenz und Konsolidierung der FIT als Alternative nach links. Das ist ein anderer Pfad als der, den ein großer Teil der internationalen Linken beschreitet; selbst trotzkistische Gruppen im Spanischen Staat oder in Griechenland haben ihre Energie in die Schaffung reformistischer Varianten wie Syriza (die sich aktuell vor der Troika verneigt) oder Podemos gesteckt. Letztere ist von Pablo Iglesias angeführt, der sich bei ihnen bedankte, indem er sie wie im Fall der Antikapitalistischen Linken (Izquierda Anticapitalista, IA) dazu zwang, ihre Organisation aufzulösen.

Diese relative Abwesenheit einer reformistischen Opposition, hat – auch wenn sie nicht notwendigerweise ein permanentes Phänomen ist – in den vergangenen Jahren zum Erfolg der FIT als unabhängige Front der ArbeiterInnenklasse beigetragen, wie sich in vergangenen Wahlen gezeigt hat. Wir befinden uns nun im dritten Wahljahr (2011, 2013 und 2015), in dem die FIT ihre Stärke demonstriert hat.

Diese Langlebigkeit zeigt, dass es sich nicht nur darum handelt, einen unbesetzten Wahlraum zu „besetzen“, sondern drückt aus, dass die Front tief in sozialen Sektoren verwurzelt ist. Dadurch entsteht eine echte Synergie zwischen dem Sozialen und dem Politischen. Das kann nicht durch ein Mehr oder Weniger an Stimmen – was zu einem Großteil abhängig von der politischen Situation ist und in der Zukunft von der politischen Landkarte nach den Präsidentschaftswahlen bestimmt sein wird – wieder rückgängig gemacht werden.

Strategische Differenzen innerhalb der FIT

Neben ihrer Ablehnung einer Übereinkunft über die Kandidaturen für die Vorwahlen hat die PO begonnen, ein neues Verständnis der „Einheitsfront“-Taktik zu entwickeln, die ursprünglich von der Dritten Internationale ausgearbeitet worden waren. Laut Jorge Altamira ist die FIT eine „Einheitsfront“, die sich von einer Taktik zu einer allgemeinen Strategie zu entwickeln scheint. In seinen eigenen Worten: „Die Verteidigung der ‚Einheitsfront‘ ist der größte Unterschied zwischen den Strategien und Prinzipien innerhalb der Front der Linken.“

In einem anderen Artikel haben wir gegen diese Idee argumentiert und gezeigt, dass sie eine absolute Verwirrung darüber darstellt, was eine Einheitsfront und eine politisch-elektorale Front wirklich sind. Das hat Konsequenzen, wie wir herausgestellt haben: „Damit werden alle wesentlichen Elemente sowohl der Einheitsfront als auch der politisch-elektoralen Front begraben; der Schlüssel einer Einheitsfront ist die gemeinsame Aktion für präzise Ziele im Klassenkampf, der politisch-elektorale Block ist gerade durch sein Programm definiert. In der Folge werden beide in opportunistische Politiken verwandelt.“

Wenn das Konzept der Einheitsfront hin zu einer Diskussion verschoben wird, wie die Kandidaturen bei einer Wahl organisiert werden sollen, wird die Einheitsfront von ihrer zentralen Achse entfernt: dem Klassenkampf. Demgegenüber hat die falsche Identifikation einer politisch-elektoralen Front mit einer „Einheitsfront“ den Zweck, die Diskussion über das politische Programm dieser Wahlfront als Vorbedingung für die Einbeziehung neuer Elemente oder wichtiger Kandidaturen in der FIT abzuwerten.

Diese Diskussion drückte sich praktisch darin aus, dass verschiedene Organisationen kürzlich ihre Wahlunterstützung für die FIT erklärt haben, während sie gleichzeitig kein klares Programm der Klassenunabhängigkeit besitzen. Im Gegenteil beziehen sie sich auf Gruppen wie Syriza, Podemos oder auf regionale Bewegungen wie von Evo Morales oder ehemals Hugo Chavez.

Diese Politik, andere Gruppen in die FIT zu integrieren, die nicht mit ihrem Programm übereinstimmen, keinen gemeinsamen Aktivismus haben und in einigen Fällen sogar bei regionalen Wahlen gegen die FIT angetreten sind – all das ohne eine ernste Diskussion über das Programm der FIT –, trägt nur dazu bei, die Fundamente in Gefahr zu bringen, auf denen der Erfolg der FIT aufbaut: ein klares politisches Programm der Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse und eine entschlossene und konsequente Intervention in den Klassenkampf und in verschiedene Bewegungen wie die Frauenbewegung.

Wir hatten diese Art von Diskussionen mit der PO schon öfter. Beispielsweise hat die PO 2012 kritisch zur Wahl von Syriza aufgerufen, die sie zur Gründung einer „linken Regierung“ aufgefordert haben – angeblich als Übergang zu einer „ArbeiterInnenregierung“. Das ist eine evolutionäre Perspektive auf das Zustandekommen einer ArbeiterInnenregierung. Diese strategischen Diskussionen sind auch in den Debatten über die Politik gegenüber den staatlichen Repressionsorganen vorhanden. Die PO hat vor Kurzem begonnen, die „Kontrolle der Polizeikommissariate durch gewählte VertreterInnen“ zu fordern – eine Politik, die im Gegensatz zum Programm der FIT steht. Eine solche „Kontrolle“ ist schon im Allgemeinen utopisch, und im Besonderen deshalb, wenn es um die Polizei geht, die die Hauptverantwortlichen für organisierte Kriminalität sind, worin Argentinien alles andere als eine Ausnahme ist.

Klassenkampf und die Verbindung des „Sozialen“ und des „Politischen“

Nach 2001 führte die Kirchner-Regierung die Neuorganisation des bürgerlichen Staates durch, die durch die wirtschaftliche Erholung (welche auf einer scharfen Abwertung der Löhne und auf dem „Boom“ der Rohstoffpreise basierte) möglich geworden war. Dazu nutzte sie einen reformistischen Diskurs, mit dem sie einen wichtigen Sektor der Menschenrechtsorganisationen kooptierten, die in Argentinien eine lange Tradition haben. Ein anderer Sektor führte den Kampf weiter und blieb von der Regierung unabhängig. Eine der Hauptfiguren unter ihnen ist Myriam Bregman, die Vizepräsidentschaftskandidatin der FIT in den Vorwahlen.

Bis zur Weltwirtschaftskrise 2008 repräsentierte der Kirchnerismus eine relative Barriere für den Aufstieg linker politischer Alternativen; kirchneristische Intellektuelle gingen so weit anzugeben, dass „links vom Kirchnerismus nur die Wand“ sei.

Aber der Schlüssel liegt im Adjektiv „relativ“. Warum war sie relativ? Vor allem deshalb, weil die „VertreterInnen“ des „nationalen und populären Projekts“ [proyecto nacional y popular, Selbstbezeichnung des Kirchnerismus, A.d.Ü.] innerhalb der ArbeiterInnenbewegung die gleichen GewerkschaftsbürokratInnen waren – und weiterhin sind – , die seit Jahrzehnten ihre Posten innehaben. Sie haben ihre SchlägerInnentrupps, die von den ArbeiterInnen gehasst werden, die mit den Bossen befreundet sind und in vielen Fällen direkte Verbindungen zur Militärdiktatur von 1976 haben. Sie stehen im direkten Widerspruch zum Diskurs der Regierung über die Verteidigung der Menschenrechte.

Dieser Hass auf die Bürokratie nährte einen Prozess der Organisierung und des Kampfes innerhalb der ArbeiterInnenbewegung und schuf das, was heute als „BasisgewerkschafterInnentum“ bekannt und mit den „Basisbetriebsräten“ (Teil dessen, was Adolfo Gilly die „argentinische Anomalie“ nannte) verbunden ist. Eine der Symbole dieser Bewegung war die strategisch wichtige Gewerkschaft der U-BahnerInnen von Buenos Aires. Aktuell wird ein Sektor von KirchneristInnen angeführt, während es eine starke Opposition gibt, deren wichtigster Anführer Claudio Dellecarbonara (PTS) ist, der auch als Kandidat bei den Vorwahlen für den Mercosur-Rat antritt.

Während sich dieser Prozess entwickelte, gewann die PTS immer mehr Einfluss innerhalb der ArbeiterInnenbewegung. ArbeiterInnen wählten GewerkschaftsvertreterInnen, die Teil der PTS und der Linken waren, aber in vielen Fällen unterstützten die ArbeiterInnen weiterhin politisch – wenn auch ohne Leidenschaft – die KirchneristInnen. Deshalb bedeutete der Kampf der RevolutionärInnen für die Organisierung am Arbeitsplatz auch gleichzeitig immer einen konstanten politischen Kampf.

Nichtsdestotrotz waren die KirchneristInnen – im Gegensatz zu den traditionellen BürokratInnen – nicht in der Lage, in der ArbeiterInnenbewegung eine eigene Strömung aufzubauen (insbesondere im industriellen Sektor). Der Widerspruch einer „progressiven“ Regierung und der Realität der Gewerkschaftsbürokratie und ihrer faschistoiden Methoden erreichte einen Höhepunkt, als der junge Aktivist der PO, Mariano Ferreyra, 2010 von einem SchlägerInnentrupp der Gewerkschaftsbürokratie ermordet wurde. Das sorgte für eine landesweite politische Krise der Kirchner-Regierung, von der sie sich erst nach dem Tod des Ex-Präsidenten Néstor Kirchner erholen konnte.

Im Jahr 2012 brach die Regierung von Cristina Kirchner mit dem einzigen einigermaßen respektierten Sektor der Gewerkschaftsbürokratie, der von Hugo Moyano angeführt wurde, dem Anführer der mächtigen LastwagenfahrerInnen-Gewerkschaft. Dieser Schritt schwächte die Kirchner-Regierung innerhalb der ArbeiterInnenbewegung weiter.

Der Gründung der FIT gingen wichtige Kämpfe voraus, wie der Kampf gegen Entlassungen bei Kraft oder der Kampf der EisenbahnerInnen für bessere Arbeitsbedingungen. Die FIT präsentierte der ArbeiterInnenklasse dann eine politische Alternative der Klassenunabhängigkeit. Die politische Präsenz der FIT sorgte gemeinsam mit den Fortschritten der Linken (inklusive der wichtigen Arbeit der PTS in der hochindustrialisierten Zone im Norden von Buenos Aires) für den Aufstieg von Sektoren in der ArbeiterInnenbewegung, die nicht mehr nur antibürokratisch und klassenkämpferisch waren, sondern sich politisch nach „links“ auf die FIT bezogen. So entwickelte sich eine Gegentendenz zur langen Tradition, welche die peronistische Gewerkschaftsbürokratie in der ArbeiterInnenbewegung gegen „die Zecken“, oder ihr heutiges Äquivalent, gegen die „TrotzkistInnen“ durchgesetzt hatte.

Die Verbindung zwischen dem „Sozialen“ und dem „Politischen“, die auch den parlamentarischen Kampf und die Nutzung dieser Positionen im Dienst des Klassenkampfs einschließt, ist der Schlüssel der Konsolidierung der FIT. Diese Verbindung ergibt sich nicht nur in der ArbeiterInnenbewegung, sondern auch in der Studierendenbewegung, wo sich Sektoren nach links orientieren und sich später in wichtige Verbündete in den Kämpfen der ArbeiterInnen verwandeln.

Dies zeigt sich auch in der traditionsreichen argentinischen Frauenbewegung. Der Kirchnerismus hat häufig versucht, die Bewegung zu kooptieren, war aber nie erfolgreich (wie sich kürzlich wieder in der massiven und historischen Mobilisierung gegen Gewalt gegen Frauen am 3. Juni zeigte). Innerhalb der Frauenbewegung hat sich eine wichtige „linke Fraktion“ entwickelt, deren wichtigste Referenz die Frauenorganisation Brot und Rosen (Pan y Rosas) ist, die aus Mitgliedern der PTS und unabhängigen Aktivistinnen besteht und von Andrea D’Atri, wichtige PTS-Kandidatin in den Vorwahlen der FIT, gegründet wurde.

Der Kampf und die internationale Kampagne für die Begnadigung der ÖlarbeiterInnen von Las Heras, welche die PTS gemeinsam mit den Organisationen innerhalb der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale, geführt hat, ist in den Listen der PTS für die Vorwahlen ebenfalls repräsentiert: Ramón Cortés – einer der ArbeiterInnen von Las Heras, der in einem Fall ohne jegliche Beweise und mit vielen Menschenrechtsverstößen zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde – steht als unabhängiger Kandidat auf der Liste der PTS.

Revolutionäre Parlamentsarbeit und Klassenkampf

Die strategischen Diskussionen sind weit entfernt davon, nur „theoretische“ Debatten zu sein; sie haben praktische Auswirkungen. Nichtsdestotrotz haben die ParlamentarierInnen der FIT – im Kontext der nicht-revolutionären Situation in Argentinien – in allen wichtigen Parlamentsabstimmungen geschlossen abgestimmt, was die innere Kohärenz der FIT aufzeigt.

In der Intervention in den Klassenkampf können wir die größten Unterschiede in unserer Praxis beobachten. Es reicht aus, die unterschiedliche Intervention der PO und der PTS im größten und längsten Konflikt der ArbeiterInnenklasse in der Periode des Kirchnerismus anzusehen: Es geht um den Konflikt mit dem multinationalen Konzern Lear, der Mitte 2014 begann. Die PTS hat dort eine Fraktion (innerhalb der SMATA-Metallgewerkschaft, die für ihren „Totalitarismus“ bekannt ist), die bis heute Widerstand gegen die Bosse und die Gewerkschaftsbürokratie leistet, die mit der Kirchner-Regierung verbunden sind. Der Konflikt beinhaltete 240 Entlassungen, 21 Straßenblockaden der größten Autobahn der Stadt von Buenos Aires, 16 landesweite Protesttage mit landesweiten Straßenblockaden, 5 Polizeirepressionen, 22 Verhaftungen, 80 Verletzte, 16 Gerichtsbeschlüsse, die sich für die ArbeiterInnen aussprachen, und zwei Wochen Aussperrung durch die Geschäftsführung. Der Konflikt führte auch zum „unrühmlichen Sturz“ des Sicherheitsministers Sergio Berni und zum juristischen Verbot der Intervention der Gendarmerie, der wichtigsten Repressivkraft gegen soziale Konflikte. Der Anführer des Konflikt, der Delegierte Rubén Matu (PTS), führt heute die Kongresskandidaturen in der Provinz von Buenos Aires für die Liste der PTS in den Vorwahlen an.

Mehr noch könnte gesagt werden über die Intervention der PTS in der Besetzung und Übernahme der multinationalen Druckerei R.R. Donnelley, die die ArbeiterInnen gegen Entlassungen und den Versuch der „Entleerung“ des Betriebs durch die Bosse durchsetzten. Donnelley produziert aktuell unter ArbeiterInnenkontrolle.

Diese beiden Konflikte im industriellen Herz von Buenos Aires hatten ein großes landesweites Echo und Auswirkungen auf das Bewusstsein von Tausenden von ArbeiterInnen. Sowohl Nicolás del Caño als Kongressabgeordneter als auch Christian Castillo als Abgeordneter des Provinzparlaments von Buenos Aires standen in diesem Kampf Seite an Seite mit den ArbeiterInnen. Sie erlitten die gleiche Repression wie die ArbeiterInnen und wurden von Sergio Berni systematisch in den landesweiten Medien attackiert. Ein Schlägertrupp der Gewerkschaftsbürokratie belästigte Nicolás del Caño sogar während einer Sitzung des Nationalen Kongresses.

Im Jahr 2013 hat sich Nicolás Del Caño, nachdem er 15 Prozent der Stimmen in der Provinz Mendoza erlangt hatte, in eine landesweit bekannte Figur der Linken entwickelt. Nicht nur wegen seiner Parlamentsarbeit, sondern gerade weil er in den härtesten Arbeitskämpfen der jüngeren Geschichte Argentiniens Seite an Seite mit den ArbeiterInnen kämpfte.

Was wird in den FIT-Vorwahlen debattiert?

Neben dem oben Ausgeführten geht es in den FIT-Vorwahlen um eine Debatte über zwei verschiedene politische Herangehensweisen. Eine dieser Politiken drücken PO und IS aus, die ihre Kampagne auf den Angriff auf die wichtigsten PTS-KandidatInnen ausrichten. Das zeigte sich auch in der Ablehnung der Formierung einer FIT-Liste in der Provinz Salta, weshalb sich dort in den Vorwahlen eine Konkurrenz zwischen PTS und PO entwickelt, wo die Stimmen für beide Listen nicht für die 1,5 Prozent-Hürde zusammengezählt werden. So werden die Stimmen der FIT gegenüber den KandidatInnen der Bosse gespalten. Diese Strategie drückt einen Widerstand dagegen aus, das alte „Leben der kleinen Zirkel“ innerhalb der Linken zu überwinden, deren Schlüssel in dem Zank zwischen Apparaten außerhalb der Massenbewegung besteht.

Wir glauben, dass der Vorschlag der PTS für die Ausrichtung der FIT gut in unserem Wahlslogan zusammengefasst ist: „Erneuerung und Stärkung der FIT mit der Kraft der ArbeiterInnen, der Frauen und der Jugend“. Die zahlreichen Stimmen für Noelia Barbeito bei der Gouverneurswahl in Mendoza sind ein Ausdruck dieser Herangehensweise. Gemeinsam mit Pan y Rosas und der PTS hatte Barbeito die historischen Mobilisierungen gegen Gewalt gegen Frauen am 3. Juli in Mendoza angestoßen. Sie kämpfte als Senatorin Arm in Arm mit den Kommunalangestellten in Lavalle. Sie war in der ersten Reihe in den wichtigsten Arbeitskämpfen der Provinz. Sie konfrontierte im Senat die PolitikerInnen, die sich weigerten, die Gehälter der LehrerInnen anzuheben und sich aber noch mehr dagegen stemmen, ihre Gehälter denen der LehrerInnen anzupassen. Sie wurde von allen Medien und PolitikerInnen dafür angegriffen, dass sie sich weigerte, an einer geheimen Abstimmung für die Richterkammer teilzunehmen und stattdessen argumentierte, dass RichterInnen in allgemeiner Wahl mit universellem Stimmrecht bestimmt werden sollten. In jeder Debatte über „Austerität“ erörterte sie die Notwendigkeit, die GroßkapitalistInnen der Provinz zu enteignen.

All diese Faktoren haben dazu geführt, dass mehr als 110.000 ArbeiterInnen, Jugendliche und Frauen sich mit der Kampagne der PTS in der FIT identifizierten und für Barbeito stimmten. Mit der Unterstützung dieser Sektoren auf landesweiter Ebene kann das Programm der FIT eine starke Kraft im ganzen Land werden. So kann diese Verbindung zwischen dem „Sozialen“ und dem „Politischen“ geschaffen werden, die wir vorher beschrieben haben und die die FIT noch bis zum Ende ausbauen muss.

Die Entscheidung zwischen diesen beiden Herangehensweisen erschöpft sich nicht in den Wahlen. Wie immer werden es die großen Ereignisse des Klassenkampfes sein, die aufzeigen werden, welche korrekt ist und welche nicht.

Bei diesen Wahlen werden wir die Politik verteidigen, die FIT mit der Kraft der ArbeiterInnen, der Frauen und der Jugend zu erneuern und zu stärken. Unsere KandidatInnen sind junge KämpferInnen wie Nicolás del Caño, mit dem sich Tausende junger ArbeiterInnen, Prekarisierte und Studierende identifizieren; 70 Prozent unsere KandidatInnen sind Frauen, was bei argentinischen Wahlen noch nie geschehen ist; Hunderte unserer KandidatInnen sind ArbeiterInnen, die eine führende Rolle in den wichtigsten Prozessen des Kampfes und der Organisierung der ArbeiterInnenklasse in Argentinien gespielt haben.

Doch wir verteidigen diese Politik auch dadurch, dass die PTS-KandidatInnen in den FIT-Vorwahlen auf diese Perspektive hinarbeiten, denn in den ArbeiterInnen, den Frauen und der Jugend liegt die einzige Kraft, die die FIT stark machen kann. Nur sie können eine revolutionäre Partei mit Leben füllen, die fähig wäre, die Bourgeoisie und ihren Staat zu zerschlagen und den Kapitalismus in seinen Grundfesten zu erschüttern, um Ausbeutung und Unterdrückung zu beenden. Wir kämpfen Tag für Tag für diese Ziele und wir werden das auch bei den Vorwahlen der Linken tun.

Übersetzung aus dem Englischen und Spanischen (Original vom 24. Juni): Stefan Schneider

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