„Trinken mit Linken statt Fechten mit Rechten!“ – Schüler*innen protestieren gegen Burschenschaften

21.01.2016, Lesezeit 6 Min.
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In Dahlem wurden Schüler*innen zu einem "Reichsgründungskommers" einer Burschenschaft eingeladen. Sie kamen zum Haus der Veranstalter – um zu protestieren.

Auch viele Langzeitstudent*innen an Berlins Freier Universität (FU) können sich nicht daran erinnern, jemals einen Burschenschafter in seiner Uniform gesehen zu haben. Dabei ist der Campus in Dahlem von Häusern von Studentenverbindungen umgeben. Das „Haus Coburg“ beispielsweise steht direkt hinter dem Chemiegebäude.

Normalerweise werden Mitglieder von Burschenschaften nicht bemerkt. Doch am Montag Abend standen bis zu 70 Menschen gegenüber des „Haus Coburg“ und machten deutlich, dass sie die Umtriebe der Verbindungen nicht dulden wollen. „Trinken mit Linken statt Fechten mit Rechten!“ skandierten die Demonstrant*innen.

Wie kam das zustande?

Montag vor einer Woche: „Hey, hast du Lust auf eine Party?“ Zwei junge Männer verteilten Flyer vor dem Fichtenberg-Gymnasium in Steglitz.. Wie normale Oberschüler sahen sie aus. „Ich dachte sie seien von irgendeinem Club“, berichtet Anton (17), der den Zettel ablehnte. Erst später fand er heraus, dass zu einem „Reichgründungskommers“ in ein Burschenschaftshaus geladen wurde. „Ich war überrascht, dass nur wenige wussten, was eine Burschenschaft überhaupt ist“, so der Schüler.

Dienstag: Die Gruppe „KaGeRa“ hielt ihr wöchentliches Treffen ab. Unter dem Namen „Kampf gegen Rassismus“ haben sich rund 15 Schüler*innen zusammengeschlossen, um das Programm „Schule ohne Rassismus“ umzusetzen und zu Schulstreiks zu mobilisieren. Sie informierten sich über Studentenverbindungen und wollen irgendwie auf die Verteilaktion antworten.

Mittwoch: Auf einem Vernetzungstreffen mit Schüler*innen von verschiedenen Steglitzer Schulen wird die Antirassistische Jugend Südwest gegründet. Eine der ersten Handlungen ist die Erstellung einer Facebook-Veranstaltung: Vor dem Haus Coburg soll gegen die Feier der „Reichsgründung“ protestiert werden.

Freitag: Es dauert nicht lange, bis Freunde der Burschenschafter darauf aufmerksam werden. Auf Facebook greift Andreas Galau, Landtagsabgeordneter der AfD in Brandenburg, die Schüler*innen an. Doch auch studentische Gruppen der FU werden auf die Aktion aufmerksam und kündigen ihre Unterstützung an.

Am vergangenen Montagabend nahmen schließlich rund 70 junge Menschen an der Protestaktion gegen die Burschenschafter teil. Zwischen ihnen und dem Haus stehen mehrere Polizeiwagen. „Wir feiern nicht mit Nationalisten!“ heißt es auf einem Transparent. „Das deutsche Reich steht für Nationalismus, Kolonialismus, Imperialismus“, liest eine Schülerin aus dem Aufruf vor.

Besucher des Kommers sieht man kaum – scheinbar sind sie früher gekommen. (Besucher*innen nicht-männlichen Geschlechts waren gar nicht erst eingeladen.) Im Haus ist es größtenteils dunkel – gelegentlich zieht ein Mann im Anzug den Fenstervorhang zurück, um auf die Protestierenden zu schauen.

Junge Mitglieder einer Verbindung stehen vor dem Haus und es kommt zu merkwürdigen Diskussionen zwischen beiden Seiten. Die jungen Männer seien von einer unpolitischen Verbindung und finden das Haus Coburg auch zu rechts. Gleichzeitig mögen sie die strengen Hierarchien als „Füchse“. Viele geben an, wegen der billigen Mieten zu solchen Häusern gekommen zu sein. Erst danach passen sie sich der anachronistisch-rechten Kultur an.

Doch die Aktion war ein Erfolg. „Wir legen den Grundstein für eine antirassistische Jugendbewegung in Steglitz“, sagt Resa (16) von der Antirassistischen Jugend Südwest. „In den letzten zehn Jahren gab es im Bezirk nichts“, berichtet die Aktivistin. Weniger als eine Woche nach Gründung des neuen Schüler*innenbündnisses war schon diese erste Aktion.

„Oft hat man das Gefühl, nichts bewegen zu können“, sagt Zoe, die als 18-Jährige die Kundgebung anmelden konnte. „Deswegen bin ich glücklich, dass wir als Schüler*innen etwas bewegen konnten.“ Die Veranstaltung endete mit einem Bierkasten, der mit leeren Flaschen überfüllt war, und einer Schneeballschlacht zwischen Antifaschist*innen.

Berichte aus der Burschenschaft

Schüler*innen, die sich in die Veranstaltung eingeschlichen haben, berichteten von rund 40 Teilnehmern. Es klingt alles so grausam, wie man es sich vorstellt.

Am Eingang begrüßte ein älterer Herr von der Landsmannschaft Borussia, der sich als Nationalkonservativer vorstellte. An den Wänden hing eine Liste mit den Gefallenen der Landsmannschaft in den beiden Weltkriegen – bei sich zu Hause habe der ältere Herr auch Fotos der protofaschistischen Freikorps hängen. „Auch vermittelte er uns zögerlich, dass die Borussia unter starkem Mitgliederschwund leide, da ‚die Jugend heutzutage eher links eingestellt ist‘.“ Das berichtet Richard (Name geändert), der über eine Stunde im Haus verbrachte.

Aber die politische Diskussion mit einem Landtagsabgeordneten der AfD war scheinbar noch schlimmer. „Die Mitglieder gaben offen zu, sich politisch in der AfD beheimatet zu fühlen,“ berichtet der Schüler weiter. „CDU, SPD, Linke und Gründe seien ein ‚linker Einheitsbrei‘!“ In einem Vortrag wurde das deutsche Kaiserreich und die „friedliche“ Außenpolitik Bismarcks gelobt. Im Anschluss ging es um die „Invasion der Flüchtlinge“ und die „Verletzung der deutschen Leitkultur“.

Wie selbstverständlich gab man Großbritannien die Hauptschuld am Zweiten Weltkrieg, um den deutschen Staat als Opfer zu stellen. Deswegen solle „Deutschland wieder zu militärischer Stärke“ kommen.

Von draußen, berichtet Richard, hörte man leise die Demonstrant*innen. Erst als die spitzelnden Schüler*innen gehen wollten, wurden sie wieder vom alten Herren angesprochen, der sie begrüßt hatte. Er distanzierte sich mehr oder weniger vom Vortrag. „Sogar SPD-Mitglieder sind in der Borussia.“ Das stimmt – es ist ein rechtsradikaler Verein, in dem auch manche prominente Sozialdemokraten organisiert sind.

Das bestärkt den Eindruck, dass die Burschenschaften in Berlin stark angeschlagen sind. Sie trauen sich nicht, an den Berliner Universitäten zu werben, und müssen deswegen auf Oberschulen ausweichen – von diesen bekommen sie auch eine Abfuhr. Ohne die billigen Zimmer, die sie im Angebot haben, würden sie wohl gleich verschwinden.

In anderen Städten ist die Situation jedoch oft anders. Und in ganz Deutschland wird die rechtsextreme Ideologie, die die Burschenschaften vertreten, immer stärker. Vor dem Hintergrund ist die mutige und selbstorganisierte Aktion der Schüler*innen beispielhaft.

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