Radikalisierung und Repression

12.04.2013, Lesezeit 5 Min.
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Die politische Lage in Griechenland steht unter dem Zeichen stetigen Drucks aus der EU. Die fortgesetzte Verarmungspolitik wird mittels Repression durchgesetzt. Eine wirtschaftliche Erholung ist nicht in Sicht: Die Athener Notenbank rechnet mit einem Schrumpfen der Wirtschaft um etwa 4,5% im laufenden Jahr. Die Troika aus EU, EZB und IWF drängt zu Massenentlassungen im öffentlichen Sektor, von weiteren 25.000 Stellenstreichungen ist die Rede. In der Privatwirtschaft werden Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit getrieben – die Jugendarbeitslosigkeit liegt inzwischen bei etwa 62%. Für das Jahr 2013 rechnet der Dachverband der FreiberuflerInnen, Gewerbetreibenden und Kaufleute in Griechenland mit 55.000 Unternehmensschließungen.

Die Kämpfe in den Betrieben und auf den Straßen, die 2011 eine Regierung zu Fall brachten und 2012 die linksreformistische Partei SYRIZA stark machten, haben sich im Vergleich zu den Protesten der Vorjahre beruhigt. Die anhaltende Wirtschaftskrise und Verarmung in Griechenland steht im Widerspruch zum Abflauen der proletarischen Massenbewegungen seit den Parlamentswahlen im Sommer 2012. Mit reformistischen Versprechungen und der Behauptung, durch „Demokratie, Unabhängigkeit und gerechtes Wirtschaftswachstum“ einen Ausweg aus der Krise zu erreichen zu erreichen, holte SYRIZA die Protestierenden von den Straßen. Sie sorgt sich mehr um die „Stabilität“ der kapitalistischen WIrtschaft als die Interessen der Lohnabhängigen.

Der Kampf der ArbeiterInnen scheitert also bisher an einer Führung, die Lösungen innerhalb des Kapitalismus propagiert und sich einer Ausweitung des Kampfes auf den Straßen verwehrt. Stattdessen präsentiert sich SYRIZA seit November letzten Jahres als „Regierung im Wartestand“. Ihr Vorsitzender Alexis Tsipras trifft sich mit den Größen aus IWF und imperialistischen Regierungen, während er seine SympathisantInnen zur Ruhe auf ruft, um eine „fruchtbare, substanzielle und realistische Opposition“ möglich zu machen.

Mit diesen Taktiken wird verhindert, dass die Massenproteste der Jahre 2011 und 2012 weiter gehen, einen stärkeren politischen Ausdruck finden und die Grundlagen des Kapitalismus angreifen. In betrieblichen Kämpfen ist nichtsdestotrotz eine stellenweise Radikalisierung der ArbeiterInnen zu beobachten, die mit Repression seitens des Staates und Beschwichtigung seitens der Führungen der Gewerkschaften und reformistischen Parteien beantwortet wird.

Eine besonders kämpferische Haltung nehmen aktuell die IndustriearbeiterInnen der Baustofffirma Vio.Me ein. Das Unternehmen sollte im Mai 2011 geschlossen werden. Die ArbeiterInnen besetzten daraufhin die Fabrik und verhinderten so deren Verscherbelung. Zu Beginn versuchten die Beschäftigten noch, ihre Löhne zurück zu erhalten, doch sehr schnell schlugen sie einen radikaleren Weg ein und bereiteten eine selbstverwaltete Wiederaufnahme der Produktion vor. Alle wichtigen Entscheidungen werden jetzt demokratisch von der unabhängigen Gewerkschaft der ArbeiterInnen getroffen.

Dies sind erste wichtige Erfahrungen mit Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle und gleichzeitig eine Gefahr für die Regierung. Sie stehen auch im Widerspruch zur Haltung der linken Führungen. Bezeichnenderweise erhielten die ArbeiterInnen keine Unterstützung von den großen Gewerkschaftsverbänden. Praktische Solidarität können sie seitens der BürokratInnen nicht erwarten.

Als Antwort auf die anfängliche Radikalisierung der ArbeiterInnen in Streiks, vor allem im griechischen Verkehrs- und Transportsektor, setzt die bürgerliche Regierung auf verschärfte Repression. Damit sie ihre Sparprogramme durchsetzen kann, greift sie inzwischen sogar zum Kriegsrecht: Bei einem Streik der ArbeiterInnen der Athener U-Bahn Ende Januar sollten die Beschäftigten gezwungen werden, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Streikenden drohten bis zu fünf Jahre Haft. Als die U-Bahn FahrerInnen trotzdem weiter protestierten, wurde ihre Besetzung eines zentralen Metro-Depots von etwa 300 PolizistInnen gebrochen. Aus Solidarität legten spontan auch die Eisenbahn-, Bus- und TramfahrerInnen ihre Arbeit nieder. Anfang Februar streikten FährenarbeiterInnen gegen Lohnkürzungen und für die Auszahlung fälliger Löhne. Auch ihr Streik wurde von der griechischen Regierung mit Polizeigewalt zerschlagen.

Sowohl die Gewerkschaft des öffentlichen Nahverkehrs (SELMA), als auch die Gewerkschaft der Seeleute (PNO) rief ihre Mitglieder dazu auf, die jeweiligen Streiks zu beenden und wieder an die Arbeit zu gehen. Die Gewerkschaftsführungen benutzen routinisierte Aktionen und Aufrufe wie einen Deckel, um Dampf vom Topf des Klassenkampfes abzulassen. Wenn es hart auf hart kommt, verweigern sie in der Praxis eine kämpferische Haltung. Sie halten die Illusion einer Lösung der Krise durch Klassenkollaboration aufrecht. Autoritäre Tendenzen und ungelöste Konflikte bleiben bestehen und werden aktualisiert: Mit der Wiedereinführung des Aussperrungsrechts und der Beschneidung der Freistellungsregelungen kündigt die griechische Regierung über den Status Quo hinausgehende Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse an.

Seit der Re-Konstituierung der konservativ-sozialdemokratischen Regierung scheint die vor-bonapartistische Tendenz, die durch die Übergangsregierung Papademos‘ Einzug gehalten hatte, in Griechenland vorerst unterbrochen zu sein. Die herrschende Klasse wendet die Methode des Bonapartismus also flexibel an.[1] Sie schafft es im Moment, innerhalb des parlamentarisch-demokratischen Systems hinreichende Repression gegen die Ausgebeuteten und Unterdrückten durchzusetzen. Das System stützt sich seit der Wahl wieder auf klassische Kräfte und hat außerdem in der „Goldenen Morgenröte“ eine faschistische Bewegung gefunden, die bereit steht, gegen sich radikalisierende ArbeiterInnen vorzugehen. Auch das ist möglich durch die Schwäche der linken Führungen in SYRIZA und der großen Gewerkschaften. Dem Linksreformismus muss ein klassenkämpferisches Programm der ArbeiterInnenkontrolle und -verteidigung entgegengesetzt werden, um Reaktion und Kapitalismus zu besiegen.

Fußnoten

[1]. Juan Chingo: Ein neuer bonapartistischer Kurs in Europa. In: Klasse Gegen Klasse Nr. 2.

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