Prozess gegen Prekarisierung

29.05.2015, Lesezeit 3 Min.
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// Betriebsratsmitglieder bei Amazon in Brieselang klagen gegen die Nichtverlängerung ihrer Arbeitsverträge //

Können Mitglieder eines Betriebsrats aus dem Unternehmen fliegen? Eigentlich nicht, denkt der juristische Laie. Doch diese Frage wurde am Donnerstag vor dem Arbeitsgericht in Brandenburg an der Havel verhandelt. In dem Fall geht es um den Onlinehändler Amazon, der neun Versandzentren in Deutschland betreibt. Im Juni 2014 wurde im neuesten Zentrum, in Brieselang bei Berlin, ein Betriebsrat gewählt. Überraschend gewann die Liste der Gewerkschaft ver.di die meisten Stimmen und bekam vier von 13 Sitzen. Die Betriebsratsmitglieder sollen vier Jahre lang die Interessen ihrer KollegInnen vertreten.

In Brieselang sind mehr als 50 Prozent der Belegschaft befristet eingestellt. Ende Dezember 2014 standen 900 Beschäftigte ohne Job da, Ende Januar 2015 weitere 45 – kurzfristig erfuhren sie, dass ihre Anstellung nicht verlängert wurde. Die Verträge von drei Betriebsratsmitgliedern und zwei weiteren Ersatzmitgliedern liefen ebenfalls Anfang des Jahres aus – rechtlich gesehen handelt es sich nicht um Entlassungen. Die Betriebsratsmitglieder ziehen nun vor Gericht, um an ihre Arbeitsplätze zurückkehren und „das Mandat unserer Kolleginnen und Kollegen fortführen“ zu können.

Vor Gericht muss nun geklärt werden, ob die Betriebsratsmitglieder wegen ihres Engagements bei der Gewerkschaft diskriminiert wurden. Das Unternehmen wollte auf Anfrage „einzelne Beschäftigungsverhältnisse schon im Interesse unserer Angestellten nicht kommentieren“. Es ist auch den Beschäftigten völlig unklar, wie sich entscheidet, wer eine Verlängerung bekommt, und wer nicht. „Keine Ahnung“, kommentierte einer der wenigen KollegInnen aus Brieselang, der einen unbefristeten Vertrag hat.

Es geht aber auch nicht nur um die fünf vom Betriebsrat. Weitere 200 Amazon-ArbeiterInnen an dem Standort haben Verträge bis zum 30. Juni. Ein Berliner Solidaritätskreis für die Beschäftigten bei Amazon nennt die „massenhafte Befristung eine gängige Praxis“ des Konzerns. Aus Kreisen der Belegschaft heißt es, mit der Möglichkeit einer Verlängerung wird permanent Druck auf die Mitarbeiter ausgeübt.

Zum ersten Prozesstermin vor einem Monat waren rund 20 UnterstützerInnen erschienen. Damals wie heute geht es um die „Sicherheit für die Kollegen und ihre Familien“, wie es in einem Flugblatt heißt, das diese Woche vor dem Werk verteilt wurde. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, das Befristungsgesetz zu missbrauchen, obwohl der Onlinehändler und der Standort Brieselang sehr erfolgreich sind. „Unsere Arbeit ist wertvoll und wir haben einen gerechten Vertrag verdient“, schreiben die Beschäftigten.

Am Donnerstag wurde der Prozess vertagt, wie Andreas Fritsche im Neuen Deutschland berichtet, da beide Seiten einen Ausgleich ablehnten. Vor dem Gericht demonstrierten rund 20 UnterstützerInnen, darunter Mitglieder der brandenburgischen Linkspartei und des Berliner Solikreises.

Unterdessen gehen die Streiks bei Amazon, mit denen Tausende ArbeiterInnen einen Tarifvertrag fordern, in diesen Tagen weiter. Am Dienstag und Mittwoch wurde die Arbeit in den Versandzentren in Bad Hersfeld und Leipzig niedergelegt. In diesen Städten kam es zu gemeinsamen Streikversammlungen mit Erzieherinnen und Postarbeitern, die ebenfalls im Ausstand sind.

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