„Manche kennen nichts außer Sozialpartnerschaft“

18.06.2015, Lesezeit 4 Min.
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Bei der Post AG wird seit über einer Woche gestreikt. Manche KollegInnen fordern einen kämpferischeren Kurs. Ein Interview mit Martina Laubach (Name geändert), Briefzustellerin bei der Deutschen Post AG und Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Sie ist außerdem Unterstützerin des Flugblatts „Gegenwehr“.

Der unbefristete Streik bei der Deutschen Post AG läuft seit einer Woche – doch diese behauptet, die Auswirkungen seien nur marginal. Wie sieht das für die Streikenden aus?

Die KollegInnen im Briefzentrum waren die ersten, die in den Streik getreten sind. Ein Teil der Sendungen wird nicht oder „ungenügend“ bearbeitet. Wie uns berichtet wurde, hat die Post ein Raumproblem, muss Hallen für die Lagerung anmieten. Es gibt Bilder aus Briefzentren von wachsenden Paketbergen. Dramatisch, was sich da abspielt. Unsere Streikposten haben LKW beobachtet, die unbearbeitete Sendungen abtransportiert haben sollen.

Der Ausstand ist in der Öffentlichkeit wenig sichtbar. Was für Reaktionen bekommen Sie von KundInnen oder auf der Straße?

Es gab Demonstrationen etwa in Bad Hersfeld zusammen mit den Streikenden von Amazon, in Frankfurt am Main oder in Kassel. Die KundInnen reagierten bisher sehr solidarisch. Als ich noch zustellen musste, nannte mich einer „Streikbrecherin“ – das sagt doch alles. Die Bevölkerung ermutigt uns, sie weiß, wie hart die Arbeitsbedingungen für uns geworden sind. Diese Solidarität müssen wir ausbauen.

Ver.di scheint eher widerwillig in diesen Kampf gezogen zu sein – so wartete die Gewerkschaft sechs ergebnislose Verhandlungsrunden ab, bevor sie zum Ausstand aufrief. Warum ist das so?

Es gab Warnstreiks, die den Druck auf die Post AG erhöhen sollten. Die Taktik von ver.di zielte dabei immer auf Verhandlungen statt auf die volle Mobilisierung der Mitglieder und einen Erzwingungsstreik. Das Kampfpotential der Tarifkräfte erst dann in Stellung zu bringen, als die Post mit Gründung der Subunternehmen die Verträge brach, ist kritikwürdig.

Der Verzicht auf eine Urabstimmung ist auch kein gutes Zeichen, weil die KollegInnen bei einem etwaigen „Kompromiss“ und Ende des Streiks gar nicht gefragt werden müssen. In vielen Positionen in der Gewerkschaft sitzen Personen, die außer Sozialpartnerschaft offensichtlich nichts kennen.

Das hat Auswirkungen. Wenn man so lange nicht streikt, führt das zu fragilen Strukturen. Die Gewerkschaft wird zum Versicherungsverein. Es war außerdem schlecht, dass ver.di vor der sechsten Verhandlungsrunde umfangreiche Zugeständnisse gemacht hat, mit denen viele KollegInnen nicht einverstanden sind.

Trotzdem ist die Beteiligung super – in manchen Stützpunkten bei 100 Prozent. Es geht nicht nur um die „Delivery“-Subunternehmen, es geht um Arbeitszeitverkürzung und mehr Geld. Das muss klar sein. Viele sind zu Zugeständnissen finanziell nicht in der Lage. Die „Traumlöhne“ bei der Deutschen Post gibt es nur noch bei alteingesessenen KollegInnen. Neue fangen mit Gruppenstufe „0“ an, da liegt der Stundenlohn zwischen zehn und elf Euro.

Konntest du Verbindungen zu anderen aktuellen Arbeitskämpfen aufbauen?

Mit den Amazon-KollegInnen hatten wir schon gemeinsame Demonstrationen. Doch der Erzieherinnenstreik wurde für die Schlichtung „abgewürgt“. Mehrere bundesweite Streiks gleichzeitig machen den Herrschenden wohl Angst.

Wie geht es bei euch weiter?

Wir haben gerade mal 19.000 Personen im Arbeitskampf. Die Ausweitung läuft noch zu schleppend. Wir brauchen bessere Basisstrukturen. Das ist wichtig, falls die VerhandlungsführerInnen auf die Idee kommen sollten, dem Druck der Post AG unter Preisgabe unserer Interessen nachzugeben.

Wie kann der Streik gewonnen werden?

Wir brauchen keine faulen Kompromisse, sondern die volle Durchsetzung der Forderungen. Die sind: 36 Stunden pro Woche, 5,5 Prozent mehr Lohn und die Rückführung aller Zustellungssubunternehmen in die Konzernstruktur.

Alle KollegInnen müssen dafür raus. Das erhöht den Druck und schützt Befristete und Auszubildende. Die „Delivery“-Subunternehmen sind nicht streikfähig. Die KollegInnen von Hermes, GLS und DPD sollen Streikbruch verweigern. Das müssen wir mit ihnen diskutieren.

Wir brauchen einen aktiven Streik, denn Arbeitskampf ist kein bezahlter Sonderurlaub, sondern bedeutet die Selbstorganisation des eigenen Kampfes. Abschlüsse ohne vorherige Diskussion und Abstimmung müssen verhindert werden. Die Niederlage von uns PostlerInnen wäre eine Niederlage weit über unseren Sektor hinaus – umgekehrt wäre ein Sieg auch ein Erfolg für alle.

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