Majakowski und der Futurismus

19.07.2015, Lesezeit 4 Min.
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// KULTUR: Am 19. Juli jährt sich zum 123. Mal der Geburtstag von Wladimir Majakowski. Er war ein führender Vertreter des russischen Futurismus und der Dichtkunst in der jungen Sowjetunion. //

Schon mit 15 Jahren landete Wladimir Majakowski 1908 wegen seiner revolutionären „Aufsässigkeit“ und der Tätigkeit für die Bolschewiki im Gefängnis. In dieser Zeit begann er mit dem Schreiben, geboren aus der tiefen Verachtung gegen das zaristische Russland. Inspiriert durch den italienischen Futurismus begründete er in den folgenden Jahren mit weiteren Intellektuellen die Richtung des russischen Futurismus. Mit Manifesten zur Kunst wandten sie sich gegen den Mief der zaristischen Kultur. Sie beanspruchten, in Gegensatz zur engen Moral des russischen Realismus eines Fjodor Dostojewski oder Leo Tolstois zu treten und eine völlig neue Kunst zu entwerfen. Diese sollte sich nicht nur auf die Literatur beschränken: So provozierten die futuristischen KünstlerInnen bei Auftritten und Lesungen immer wieder mit unkonventioneller Kleidung, etwa bunten Blusen und bemalten Gesichtern. Damit sorgten sie für manche Skandale, was ihnen auch die Aufmerksamkeit der zaristischen Polizei brachte.

Majakowskis Schaffen

Die stürmisch-oppositionelle Haltung behielt Majakowski auch während dem ersten Weltkrieg. In dieser Zeit schrieb er eines der bekanntesten und für seinen weiteren Stil ausschlaggebendsten Gedichte. In „Wolke in Hosen“ ließ er mit gerade einmal 22 Jahren einen poetisch-hasserfüllten Wutschrei heraus, der in einem Rundumschlag gegen Konventionen und Religion die Revolution vorhersagt – verpackt in verzweifelte Verse über unerfüllte Liebe:

„Ich, das Gespött der Menschheit von heut,
lang und scharf wie ein schlüpfriges Lied,
ich sehe jenseits des Gebirges der Zeit,
einen Schreitenden, den niemand sieht.
Wo die stumpfen Blicke der Generationen
an den Häuptlingen hungriger Horden verlechzen,
geht, geschmückt mit dem Dornenkranz der Revolutionen,
das Jahr neunzehnhundertsechzehn.“

Auch wenn sie in einer deutschen Übersetzung (hier von Alfred Edgar Thoß) freilich nur schwer eingefangen werden können, deuten sich in diesem Teil des Gedichts bereits Majakowskis gewaltige semantische Komplexität, die versierten Rhythmen sowie die intensive Metaphorik an. Mit diesem energiegeladenen Schreibstil stieß er jedoch nicht nur auf Begeisterung. In bürgerlichen Kreisen war er durch seine provokanten Töne und seine kommunistische Propagandapoesie ohnehin verpönt. Doch auch die ArbeiterInnenschaft wollte mit Majakowski nicht so wirklich warm werden. Zu überdreht und aufgeblasen wirkten seine Werke, ironischerweise vor allem diejenigen die nach 1917 als Gesänge auf die Oktoberrevolution konzipiert waren. Dies bemängelte auch Leo Trotzki in „Literatur und Revolution“: „Bei Majakowski möchte jeder Satz, jede Redewendung und jede Metapher ein Maximum, ein Extrem, ein Gipfelpunkt sein. Deshalb hat die ‚Sache‘ als Ganzes kein Maximum mehr. Der Leser hat das Gefühl, als zwänge man ihn ununterbrochen, sich selbst Stück um Stück zu verausgaben – das Ganze entgleitet ihm.“

Der russische Futurismus

Nichtsdestotrotz kann Majakowski als eine der prägenden Figuren der Kunst in der jungen Sowjetunion betrachtet werden. Wie er, stellte sich der Großteil der russischen FuturistInnen auf die Seite der Oktoberrevolution. Die radikale Opposition zum Zarismus machte sie zu fast natürlichen Verbündeten. Daher verwundert es auch nicht, dass Majakowski sein ganzes künstlerisches Können während des russischen BürgerInnenkrieges von 1918 bis 1921 in den Dienst der Revolution stellte. Seine Plakate zu agitatorischen Zwecken der Roten Armee waren damals populär und sehr wichtig, bedenkt mensch doch, dass große Teile der Bevölkerung erst mit der Oktoberrevolution Lesen und Schreiben lernten.

Mit dem Anspruch, Kunst und Leben zu verbinden sowie mit ihrem Sinn für technischen Fortschritt, Urbanität und Dynamik verkörperten die russischen FuturistInnen auf intellektueller Ebene sozialistische Ideale. Freilich gelang es ihnen nie, aus ihren künstlerischen Zirkeln heraus in der ArbeiterInnenschaft aufzugehen. Zu katastrophal waren die materiellen Bedingungen während und nach dem BürgerInnenkrieg, um die Kunst den breiten Massen zugänglich zu machen. Der politische Wandel tat sein Übriges: Gegen Ende der 1920er Jahre erhöhte der zu Macht gekommene bürokratische Apparat von Josef Stalin den Druck auf frei denkende KünstlerInnen. Diese Entwicklungen kritisierte auch Majakowski, doch schließlich hielt er privaten und politischen Enttäuschungen nicht mehr stand und nahm sich 1930 das Leben. Zwei Jahre später wurde der „Sozialistische Realismus“ vom Zentralkomitee der KPdSU als Doktrin beschlossen, der das künstlerische Leben weiter abwürgen sollte.

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