Interview: Vier Monate Streik bei Neupack

14.03.2013, Lesezeit 10 Min.
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Murat Günes (41) ist Betriebsratsvorsitzender bei Die Firma Neupack, die Standorte in Hamburg-Stellingen und Rotenburg hat. Etwa die Hälfte der 200 Beschäftigten befindet sich seit über vier Monaten im Streik. Im Interview beschreibt er nicht nur die Situation im Betrieb und den Wandel der Stimmung unter der Belegschaft, er kritisiert auch die "Flexi-Streik"-Taktik der Gewerkschaft IG BCE und spricht über die Solidarität mit anderen Arbeitskämpfen.

Was produziert Neupack, wann wurde das Unternehmen gegründet, wie viele Beschäftigte hat es zur Zeit?

Das Unternehmen produziert Lebensmittelverpackungen, Joghurtbecher, Margarinebecher sowie bedruckte Kunststofffolie. Die Becher werden nach den Wünschen des Kunden bedruckt oder beklebt und an Molkereien geliefert, nicht nur in Deutschland sondern auch europaweit, bspw. nach Belgien, Holland oder Frankreich.

Vor dem Streik waren wir ca. 195 bis 200 Beschäftigte. Mittlerweile sind wir nun 260 Beschäftigte geworden, denn es wurden StreikbrecherInnen eingestellt, viele davon aus Polen. Zunächst wurden diese als Leiharbeitskräfte eingestellt, aber da die Tarifverträge der Leiharbeitsfirmen mit den Gewerkschaften die Vermittlung von LeiharbeiterInnen an Firmen im Streik verbieten, wurden sie nach zwei Tagen gekündigt um sie direkt im Anschluss normal über die Arbeitsagentur einzustellen.

Wie sehen eure Arbeitsbedingungen aus?

Es gibt viele verschiedene Bereiche, die Arbeit ist jedoch sehr hart und die Arbeitsbedingungen lassen oft zu wünschen übrig. Es gibt Produktionsbereiche, die nicht klimatisiert sind. So müssen wir im Sommer und im Winter unter extremen Bedingungen arbeiten, manchmal sehr heiß und manchmal bitterkalt. Es ist außerdem auch sehr staubig. Die Entlohnung variiert stark. Am wenigsten verdienen die Packer und Packerinnen. Ich zum Beispiel bin Maschinenführer und habe etwas mehr Freiräume als die anderen KollegInnen. Im Rahmen meiner Betriebsrats-Tätigkeit und meiner Tätigkeit als Gewerkschafter habe ich auch mehr Freiräume, werde aber auch gleichzeitig dafür bestraft. Viele KollegInnen müssen harte körperliche Arbeit verrichten. Wahrscheinlich ist es sogar angenehmer, auf einer Baustelle zu arbeiten, denn diese KollegInnen werden sich vielleicht nicht so kaputt arbeiten wie bei uns hier.

Wir müssen außerdem sehr viele Vorschriften einhalten, zum Beispiel zur Hygiene, da wir für die Lebensmittelbranche arbeiten.

Was verdienen die Beschäftigten von Neupack und wie ist die Stimmung im Betrieb vor dem Streik gewesen?

Es gibt teilweise starke Unterschiede in der Bezahlung für die gleiche Tätigkeit. Manche PackerInnen bekommen 8,50 Euro pro Stunde. Vor dem Konflikt verdiente die unterste Entgeltstufe 7,80 Euro. Dies wurde aufgrund des laufenden Konfliktes erhöht. Insofern haben wir bereits einen kleinen Sieg errungen. Jedoch wird die Bezahlung vom Unternehmen nicht kollektiv sondern individuell bestimmt. So verdienen manche Packer und Packerinnen 10,70 Euro pro Stunde. BetriebshelferInnen verdienen zwischen 8,50 und 13 Euro in der Stunde. Bei den MaschinenführerInnen verdienen manche 8,50 Euro in der Stunde, manche 17 bis hin zu 19 Euro pro Stunde. Deshalb kämpfen wir für einen Haustarifvertrag.

Die starken Unterschiede sind von der Unternehmensführung gewollt, um eine miese Atmosphäre im Betrieb zu erzeugen. Dazu trägt auch die Personalpolitik der Geschäftsleitung bei, denn es gibt eine krasse Trennung zwischen leitenden Funktionen und Produktion. Abteilungs-, Schicht- und BetriebsleiterInnen haben eine andere Stellung. Alle anderen KollegInnen werden nicht als Menschen behandelt. Wir im Betrieb pflegen zu sagen, dass die Demokratie vor den Werkstoren aufhört. Deshalb haben auch KollegInnen mit hohen Löhnen beim Streik mitgemacht. Sie leiden ebenfalls unter dieser unerträglichen Situation und suchen einen Ausweg daraus. Denn der Betrieb ist auch unserer Betrieb, wir wollen dauerhafte Lösungen. Einfach in einen anderen Betrieb zu wechseln, ist keine Lösung, denn auch andernorts gibt es Probleme.

Wovon hängt die Bezahlung also ab? Wie werden die unterschiedlichen Entgelte festgesetzt?

Das hängt davon ab, ob dem Chefs deine Nase gefällt. Die beliebtesten MitarbeiterInnen, die sich fügen, bekommen mehr, egal was für eine Tätigkeit sie verrichten. So sind manche KollegInnen, die in 10 oder 15 Jahren nicht mal einen Tag krank waren, ganz unten in der Entgeltstufe, andere die ständig fehlen aber in der Gunst der Leitung sind, bekommen immer wieder Lohnerhöhungen. Allerdings muss auch gesagt werden, dass dies nicht von der Nationalität abhängig ist, egal ob deutsch, türkisch, italienisch, polnisch oder russisch… Es handelt sich aber um, wie die Gewerkschaft es nennt, sittenwidrige Löhne, wenn man es mit anderen Sektoren vergleicht.

Die Gewerkschaft fordert dagegen 82 Prozent des Flächentarifvertrags in der chemischen Industrie für alle Beschäftigten. Das ist realistisch, denn es würde dem Unternehmen nicht schaden und die KollegInnen hätten mehr Geld in der Tasche und eine einheitliche Urlaubsregelung.

Wie war die Stimmung im Betrieb vor dem Streik?

Vor dem Streik war die Stimmung gekennzeichnet von Individualismus, jeder machte sein Zeug, zum Beispiel nach Nationalitäten: italienische, türkische, russische KollegInnen usw. blieben fast immer unter sich. Im Streik aber entstand eine Art neues Bewusstsein, man gehört gemeinsam zu den Streikenden. Die KollegInnen sind sich näher gekommen, sie haben angefangen sich richtig kennenzulernen. Man muss aber auch sehen, dass gleichzeitig etwas ähnliches im Betrieb geschah, unter den StreikbrecherInnen. Sie sind auch näher zusammengerückt.

Bist du stolz darauf, den laut Medien längsten Streik in der Geschichte Hamburgs nach dem 2. Weltkrieg organisiert zu haben?

Ich bin nicht stolz darauf, kämpfen zu müssen. Ein Streik ist eigentlich nur das letzte Mittel, das die Beschäftigte haben, um etwas zu erreichen. Wenn der Diskurs der Sozialpartnerschaft stimmen würde, dann bräuchte man nicht in den Kampf zu ziehen. Es wäre besser, wenn man sich ohne Kampf einigen könnte. Allerdings ist das Gefühl, beim Streik mitzuwirken, ein sehr tolles Gefühl. Ich bin stolz darauf, daran mitgewirkt zu haben, dass wir uns gegen die Willkür eines Kapitalisten wehren. Wir in Deutschland müssten es wie die KollegInnen in Spanien, in Frankreich, in Italien machen, uns kollektiv gegen die Angriffe zur Wehr setzen, allerdings ist dies schwerer als dort, aufgrund der deutschen Gesetze.

Was fühlen die KollegInnen, die beim Streik mitmachen?

Diese KollegInnen haben das Gefühl, sich ihre Würde zurückzuerobern. Viele merken jetzt erst richtig, wie mies sie auf ihrem Arbeitsplatz behandelt wurden.

Wann ging der Streik los?

Am ersten November ging es los. Allerdings führten wir bereits am 20. Oktober einen Warnstreik durch. Schon Ende 2011 hatte ich mit der vorbereitenden Arbeit in der Tarifkommission begonnen. Damals habe ich schon gesagt, dass wir nicht ohne Streik auskommen werden, da ich wusste für wen wir da arbeiten, allerdings wollte mir keiner glauben. Jedoch konnte ich einige KollegInnen davon überzeugen, vorbereitende Maßnahmen zu treffen. In kurzer Zeit war ich nicht mehr allein, und wir waren 20 KollegInnen.In wenigen Monaten ist der innerbetriebliche Organisationsgrad von 20-30 Prozent auf 70 Prozent gesprungen. Den ersten Anlauf zur Organisierung hatte ich bereits 2003 unternommen. Damals schafften wir es, 40 Prozent der Beschäftigten für den Betriebsrat zu gewinnen. Leider ging trotzdem einiges schief. Wir verloren viele Mitglieder und befristeten KollegInnen wurde der Vertrag nicht verlängert. Aber dennoch blieb etwas, worauf wir später aufbauen konnten.

Welche Position vertritt zur Zeit der Betriebsrat?

Die Mehrheit des Betriebsrates steht hinter dem Streik und hinter den Forderungen, ein kleiner Teil ist dagegen. Dieser handelt im Interesse und auf Anordnung des Arbeitgebers. Drei von sieben Mitgliedern werden vom Arbeitgeber gesteuert. Sie gehören nicht zu unserer Liste. Die anderen gehören der IG BCE an.

Nach mehreren Monaten unbefristeten Streiks hat die IG BCE Ende Januar mit einem sogenannten „Flexistreik“ begonnen. Kannst du uns sagen, was das bedeutet, und inwiefern diese Art von Streik dem unbefristeten Streik vorzuziehen ist?

Ein Flexistreik kann eine gute Sache sein, vorausgesetzt, die streikenden KollegInnen vor Ort entscheiden über den genauen Ablauf und nicht die entfernte Gewerkschaftszentrale. Der Flexistreik soll für den Arbeitgeber möglichst unberechenbar sein. Statt durchgängig zu streiken, geht ein Teil oder alle Streikenden für eine gewisse Zeit wieder in den Betrieb, so dass auch wieder Löhne gezahlt werden müssen. Allerdings ist es entscheidend, zu betonen, dass durch einen zentral von außen gesteuerten Flexistreik die Streikenden nur verlieren können. In der Praxis hat die IGBCE mehrfach entschieden, uns für mehrere Tage am Stück in den Betrieb zu schicken. Das war überhaupt nicht ‚unberechenbar‘ für die Geschäftsführung und hat außerdem die Lager von Neupack wieder erheblich gefüllt. Viele KollegInnen halten das eher für eine Flexi-Verarschung. Stattdessen wäre es sinnvoller, wenn wir täglich selbst entscheiden, ob und wie lange wir reingehen. Denn wir können vor Ort am besten entscheiden, wie wir unsere Ziele schnell und wirkungsvoll durchsetzen können.

Was würdet ihr den Beschäftigten anderer Unternehmen und Sektoren raten, die auch von der Unternehmensführung angegriffen werden, wie etwa die KollegInnen von Opel Bochum?

Die Situation der KollegInnen von Opel ist ein ganz schöner Hammer. Deren Situation ist wirklich schlecht aber sie sollten dennoch dagegen kämpfen. Wir haben auch erfahren, dass hier in Hamburg das Coca-Cola-Werk geschlossen werden soll. Auch am Flughafen sollen Stellen wegfallen, da arbeiten Freunde und Verwandte von mir. Wir wollten hin um unsere Solidarität zu bekunden, es hat aber vorerst leider nicht geklappt, da wir zu einer Verhandlung gehen mussten. Ich denke, wir die Beschäftigte sollten für jede Verbesserung eintreten, die wir erreichen können, seien es Tarifverträge, kleine Lohnerhöhungen, usw.

Welche Sektoren unterstützen euch? Wie konkret?

Es gab Unterstützung aus vielen Betrieben aus Hamburg und der Umgebung, von Metallbetrieben, aus der Holzindustrie, aber ich werde lieber die Firmennamen nicht nennen. Nur so viel, wir heizen mit der Kohle und dem Holz, die uns solidarische KollegInnen vorbei bringen. Auch LehrerInnen und Erzieher unterstützen uns. Als sie demonstrierten, haben wir sie bei ihrer Demo besucht, was sehr gut ankam. Sie luden uns sogar ein, auf der Bühne zu sprechen. Sie unterstützen uns bis heute. Solidarität zu zeigen ist keine Einbahnstraße. Solidarität heißt nicht nur Unterstützung zu erfahren, sondern selbst andere zu unterstützen. Das sollte auch international geschehen. Wie Marx sagte, die ArbeiterInnen aller Länder sollten sich vereinigen.

Wie geht es nun weiter mit eurem Streik?

Wir wollen diesen Streik gewinnen, und wir werden weiterhin kämpfen.

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