Für einen klassenkämpferischen Feminismus!

07.03.2014, Lesezeit 10 Min.
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Brot und Rosen Nr. 2 // Flugblatt von unabhängigen Frauen und der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO)

Im Zuge der Krise ist überall auf der Welt ein gesellschaftliches Rollback gegen erkämpfte Rechte von Frauen und anderen Unterdrückten zu beobachten: Im Spanischen Staat wird das Recht auf Abtreibung abgeschafft, in Frankreich nehmen viele Tausende an homophoben Demonstrationen teil, in Deutschland feiert eine homophobe Online-Petition Erfolge und Frauen wird die Pille-Danach von katholischen Krankenhäusern verweigert. Die Rechte, die heute angegriffen werden, müssen wir unbedingt verteidigen! Und wir müssen auch dafür kämpfen, dass sie ausgeweitet werden.

Aber das tun wir nicht, indem wir uns auf die bürgerlichen Parteien wie die SPD, die Grünen oder die Linke verlassen. Sie mögen sich zwar, wie am 8. März auf der Demo, öffentlichkeitswirksam für Frauenrechte aussprechen, aber sie haben immer wieder Rechte nicht verteidigt, geschweige denn durchgesetzt: Weder wurde unter Rot-Grün der Abtreibungsparagraph §218 abgeschafft, noch die Angleichung der Löhne von Männern und Frauen erreicht. Mit den Hartz-Reformen und imperialistischen Kriegseinsätzen führten sie sogar Angriffe auf die Lebensbedingungen von Millionen von Frauen an. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Parteien das Problem des Sexismus und der Unterdrückung von Frauen an der Wurzel packen. Was wir stattdessen brauchen, ist eine starke Bewegung von arbeitenden Frauen.

Frauen, die ausbeuten, und Frauen, die ausgebeutet werden

Rechte, die für alle Frauen gelten, sind wichtig. Frauen haben aber auch ganz unterschiedliche Interessen, je nachdem, in welcher Klassenposition sie sich befinden: Es gibt Unterdrückte, die ausbeuten und Unterdrückte, die ausgebeutet werden. Die Situationen einer Haushaltsangestellten und ihrer Chefin sind beispielsweise fundamental verschieden. Es wäre gefährlich, diesen Unterschied zwischen Frauen zu verschleiern, dadurch wären wir nicht in der Lage zu erkennen, wie untrennbar kapitalistische Ausbeutung und die Unterdrückung von Frauen miteinander verbunden sind. Denn deswegen ist echte Befreiung im Kapitalismus nicht möglich.

Dies ist nicht nur eine theoretische Überlegung, sondern gelebte Erfahrung von Milliarden von Frauen. Auf der ganzen Welt sind wir besonders stark von Ausbeutung betroffen, denn wir werden schlechter entlohnt, arbeiten besonders oft unter prekären Bedingungen, verrichten den größten Teil der unbezahlten Hausarbeit, leiden unter Hunger, Arbeitslosigkeit und Elend, verursacht vom kapitalistischen System. Der in Deutschland von den Hartz-Reformen vorangetriebene Prozess der Prekarisierung – befristete Verträge, Minijobs, Niedriglohnjobs, Flexibilisierung – ist ein vorwiegend weibliches Phänomen, gerade Frauen in „typisch weiblichen“ Berufen sind von ihm betroffen.

Unser Feminismus ist deshalb ein klassenkämpferischer: Wir wollen dabei helfen, eine revolutionäre Bewegung gegen den Kapitalismus aufzubauen. Im Zentrum dieser Bewegung muss die Arbeiter*innenklasse stehen, denn nur sie ist aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess in der Lage, den Kapitalismus zu stürzen. Und da Frauen einen großen Teil der Arbeiter*innenklasse ausmachen, wollen wir gerade ihre Kämpfe und ihre Versuche der Selbstorganisation unterstützen. Wir tun dies, indem wir Streiks begleiten und uns dafür einsetzen, dass die Arbeiter*innenorganisationen und die Frauenbewegung die Forderungen und Kämpfe der ausgebeuteten Frauen aufgreifen. Streiks sind ein zentrales Mittel des Kampfes, denn in ihnen üben wir uns in der Praxis der Selbstorganisation und können unsere eigene Macht und Stärke erkennen. So streikten beispielsweise letztes Jahr tausende junge Frauen im Einzelhandel – hier sind über 70 Prozent der Beschäftigten weiblich – und kämpften gegen weitere Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen. Andererseits ist es für uns auch zentral, uns gegen Angriffe auf Frauenrechte zu wehren und innerhalb der aktiven Arbeiter*innenbewegung Unterstützung dabei einzufordern.

Um die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden, müssen die Ausgebeuteten gemeinsam kämpfen. Deshalb ist es wichtig, gegen Sexismus in der Linken und in den Arbeiter*innenorganisationen zu kämpfen – ebenso wie gegen andere Arten der Spaltung wie Rassismus oder Homophobie. Wir müssen uns immer wieder für einen solidarischen Umgang innerhalb der eigenen Reihen einsetzen.

Aber auch darüber hinaus ist der Kampf gegen alltäglichen Sexismus und Unterdrückung für uns zentral. Denn unser Feminismus ist für uns auch eine Art der Selbstverteidigung. Er macht uns lebensfähig in einer Welt, in der wir immer wieder abgewertet, angegriffen und zur Seite gedrängt werden.

Antiimperialismus

Gerade deshalb, weil der Feminismus uns kampf- und lebensfähig macht, wollen wir uns auch gegen seine Instrumentalisierung wehren. Denn im Namen der Frauenrechte werden rassistische Angriffe, Gesetze und Vorstellungen legitimiert oder imperialistische Kriege geführt. Der Krieg in Afghanistan wurde zum Beispiel mit der Befreiung von Frauen von der Unterdrückung durch die Taliban begründet. Die Bilanz nach 13 Jahren ist ernüchternd – Flucht und Armut, ausgelöst durch imperialistische Kriegseinsätze, führen nicht zur Befreiung. Gewalt und Unterdrückung von Frauen ist traurige Realität auf der ganzen Welt, der Imperialismus kann aber nicht Teil der Lösung sein, sondern ist Teil des Problems. Die Legitimierung von Dominanz mit dem Kampf für Frauenrechte fördert zudem zutiefst rassistische Vorstellungen. Dass sich diejenigen, die sich für die Legitimierung der eigenen Interessen auf Frauenrechte berufen, kaum wirklich um das Schicksal von Frauen kümmern, lässt sich daran ablesen, wie viel Elend Imperialismus und rassistische Gesetzgebung im Leben von denen, die angeblich gerettet werden müssen, erzeugen: Frauen machen global die Mehrheit derjenigen aus, die trotz Arbeit arm sind, und sie werden immer stärker in eine globale Arbeitsteilung eingebunden, deren Verliererinnen sie sind.

Es sind vor allem die Kapitalist*innen in den imperialistischen Ländern, die von der Ausbeutung und dem Elend der Menschen in der Peripherie profitieren und die ein Interesse daran haben, diese Ausbeutung auszuweiten. Deutschland ist eines der stärksten imperialistischen Länder und gerade dabei, seine Hegemonie in Europa und darüber hinaus auszubauen. Sichtbar ist das an den Spardiktaten in Südeuropa. Auch diese betreffen in der Regel Frauen besonders stark: Lohnkürzungen treffen sie besonders hart, weil sie oft sowieso schon wenig verdienen; sinkende Löhne und Streichungen in der Alten-, Kinder- und Krankenpflege zwingen sie dazu, noch mehr Sorgearbeit privat und unentlohnt zu verrichten.

Geschlecht als gelebte soziale Realität

Die Frauenunterdrückung existierte schon lange vor Beginn des Kapitalismus. Sie entstand mit der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen und der Einführung des Privateigentums. Auf dieser materiellen Basis entwickelten sich dann hierarchische Geschlechterrollen und sexistische Vorstellungen. Diese Art der Unterdrückung integrierte der Kapitalismus in seine Funktionsweise und passt sie immer wieder seinen Bedürfnissen an, je nachdem, welche Probleme der Kapitalverwertung sich gerade stellen und welche Widerstände sich ihm entgegensetzen. So lässt sich beispielsweise der Übergang vom Modell des männlichen Alleinverdieners zu einem Modell, in dem Frauen in die Arbeitswelt integriert sind, einerseits mit Kämpfen von Frauen für ihre Unabhängigkeit, andererseits aber auch mit den sich wandelnden Bedingungen der Kapitalverwertung erklären.

Und auch die Art und Weise auf die Haus- und Sorgearbeit organisiert sind, zeigt, wie der Kapitalismus es geschafft hat, vorkapitalistische Produktionsweisen zu integrieren und profitabel zu machen. Denn wenn Frauen Arbeit unbezahlt verrichten, können Kapitalist*innen niedrigere Löhne zahlen.

Geschlecht ist für uns eine Kategorie, die zwar keinen biologisch-essentialistischen Kern hat, aber gelebte soziale Realität ist. Wir sehen, dass Menschen den Prozess der Zuordnung zu einem Geschlecht teilweise als gewaltvoll erfahren und Abweichungen von den binären Geschlechternormen gesellschaftlich bestraft werden. Die reine Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht berührt aber nicht die gesellschaftlichen Strukturen, die dazu führen, dass Geschlecht als soziale Realität erfahren, aufgezwungen und gelebt wird. Wir können nicht voraussehen, wie Geschlechterverhältnisse und -normen in einer befreiten, klassenlosen, Gesellschaft genau aussehen, aber wir sind davon überzeugt, dass sie weder gewaltvoll durchgesetzt werden müssen, noch starr und hierarchisch sein werden. Dies macht es umso wichtiger, entschlossen für ein Ende der Frauenunterdrückung zu kämpfen, indem wir ihre Grundlage beseitigen.

Klassenkämpferischer Feminismus

Feministischer und antikapitalistischer Kampf gehen also Hand in Hand, denn Frauen werden als Frauen unterdrückt und als Lohnarbeiterinnen ausgebeutet. Vollständige Befreiung ist nur möglich in einer Gesellschaft, in der die Produktionsmittel kollektiv verwaltet werden, also die materielle Basis der Frauenunterdrückung beseitigt ist. Beispielsweise wird Hausarbeit in dieser Gesellschaft kollektiv organisiert werden und die Hierarchie zwischen verschiedenen Tätigkeiten aufgehoben sein.

Eindrückliches Beispiel dafür ist die Russische Revolution, in der Frauen erstmalig rechtlich gleichgestellt wurden, das Recht auf Abtreibung und auf Scheidung ebenso wie das Wahlrecht erhielten und begonnen wurde, Hausarbeiten in gemeinschaftlichen Wäschereien, Kindertagesstätten und Restaurants zu kollektivieren. Dies wurde im Zuge der Stalinisierung wieder zunichte gemacht, aber trotzdem sind diese vorübergehenden Errungenschaften wichtige Meilensteine im Kampf für die Befreiung.

Unser klassenkämpferischer Feminismus möchte einen Teil dazu beitragen, eine revolutionäre Bewegung aufzubauen, die für die vollkommene Befreiung aller kämpft. Das heißt in der heutigen Situation konkret, dass wir Streiks und alle möglichen Formen der Selbstorganisierung von Unterdrückten und Ausgebeuteten unterstützen, gemeinsam gegen Prekarisierung und für die Verteidigung und Ausweitung der Rechte von Frauen kämpfen. Frauen gehören in die erste Reihe des Kampfes der Arbeiter*innen gegen ihre Ausbeuter*innen und gegen ihre Unterdrücker*innen (auch in den eigenen Reihen). Wenn du Interesse an dieser Perspektive hast, dann sprich uns an und diskutiere mit uns!

Warum Brot und Rosen?

Brot und Rosen? Warum sollte frau ein Flugblatt so nennen? Die Losung geht zurück auf einen großen Streik von 20.000 Textilarbeiter*innen in Massachusetts in den USA im Jahr 1912. Die kämpfenden Frauen forderten genug für ein Leben (Brot) aber auch für ein schönes Leben (Rosen). Seit damals steht diese Losung für die Kämpfe der Arbeiterinnen um ihre Befreiung. Pan y Rosas ist auch der Name von revolutionär-sozialistischen Frauengruppen in Argentinien, Brasilien, Mexiko, Chile, Bolivien und im Spanischen Staat. Mehr Infos dazu:

www.panyrosas.org

Wir empfehlen euch auch den Artikel „Emanzipation der Frauen in Zeiten der weltweiten Krise”, erschienen in „Klasse Gegen Klasse Nr. 9“, der Zeitschrift der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO).

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