Frankreich im Aufruhr

12.12.2014, Lesezeit 4 Min.
1

// Präsident Hollande versucht der Krise des Regimes mit Gewalt zu begegnen. //

Nach dem Tod eines Demonstranten vor einigen Wochen gibt es militante Proteste gegen Polizeigewalt in Frankreich. Das französische Regime steckt in einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise. Tendenzen des Widerstandes beantwortet die Regierung mit nackter Gewalt.

Am 25. Oktober hatten 2.000 Menschen nahe dem südwestfranzösischen Sivens gegen den Bau eines Staudamms protestiert, der eine intensive landwirtschaftliche Nutzung ermöglichen soll, wodurch die Wälder und Feuchtgebiete in der Gegend zerstört würden. Um die Demonstrierenden von der nahegelegenen Baustelle zu vertreiben, setzten martialisch ausgerüstete Einheiten der Gendarmerie Gummigeschosse, Tränengas- und Schockgranaten ein. Dabei wurde der Biologiestudent Rémi Fraisse durch die Explosion einer solchen Granate getötet.

Seitdem gab es in mehr als 20 französischen Städten Proteste gegen Polizeigewalt und die Militarisierung des öffentlichen Raums, an denen jeweils mehrere Hundert Menschen teilnahmen. Als die Behörden viele der Demonstrationen untersagten, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Dabei wurden ganze Stadtbezirke abgeriegelt und mit Tränengas eingenebelt, Demonstrierende wurden willkürlich verhaftet.

Die Protestierenden antworteten mit Steinen, Feuerwerkskörpern und Barrikaden. Beteiligt waren insbesondere Studierende und SchülerInnen. In Toulouse wurde in der Nacht vom 24. auf den 25. November die Universität, an der auch Rémi Fraisse studierte, besetzt. Auf den Versammlungen der Besetzung nahmen ca. 1.500 Studierende teil. Sie versuchten von dort aus die Dynamik auf andere Sektoren auszuweiten und weitere Demonstrationen zu planen.

Die Krise des französischen Regimes

Für die französische Regierung tut sich damit ein neuer Krisenherd auf. Präsident François Hollande steht unter starkem Druck, seine Beliebtheitswerte sind im Keller. Seinen Haushalt muss er sich in Berlin absegnen lassen. Die Grundlage hierfür stellt die schlechte Entwicklung der französischen Wirtschaft dar. Mit dem leistungs- und exportstarken Deutschland kann Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone kaum mithalten. Die französische Außenhandelsbilanz ist seit Jahren negativ, die Industrie schwach aufgestellt und die Arbeitslosigkeit mit über 10% auf einem Rekordhoch.

Diese wirtschaftliche Misere drückt sich auch auf der politischen Bühne aus. Nach den Kommunalwahlen im März, die zu einer bedeutenden Stärkung des rechtsradikalen Front National (FN) beitrugen und den regierenden SozialistInnen eine katastrophale Niederlage einbrachten, war Premierminister Jean-Marc Ayrault zurückgetreten. Folglich ernannte der Präsident Manuel Valls zum neuen Regierungschef. Er führt damit das dritte und nach einer zwischenzeitlichen Regierungsumbildung gar das vierte Kabinett in der gerade mal zweieinhalbjährigen Amtszeit von Präsident Hollande.

Manuel Valls Aufgabe ist es mit Einsparungen und Flexibilisierungen am Arbeitsmarkt, die an die Schröder’sche Hartz-Gesetzgebung erinnern, die französische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Die Kürzungen betreffen dabei alle zentralen Bereiche, von der Bildung, dem Gesundheitssystem, den Sozialleistungen bis zu den Gehältern im öffentlichen Dienst. Dagegen formiert sich jedoch immer stärkerer Widerstand. Am 15. November gab es landesweite Demonstrationen an denen sich insgesamt etwa 50.000 Menschen beteiligten, getragen von einem breiten Bündnis linker Organisationen und Gewerkschaften.

Die Verschmelzung von Jugendbewegung und sozialem Protest

Auch die Jugendbewegung, die nach dem Tod von Rémi Fraisse einsetzte, beschränkt sich nicht darauf, die Polizeigewalt anzuprangern, sondern stellt diese in einen sozialen Kontext. So protestiert sie auch gegen die Einsparungen im Bildungssektor, wie eine beliebte Parole zeigt: „Geld für Universitäten und Schulen! Nicht für Polizei und Armee!“

Hier zeigt sich in Ansätzen, wovor sich die französische Bourgeoisie fürchtet: Die Verbindung einer kämpferischen Jugend mit sozialem Protest und perspektivisch auch der ArbeiterInnenbewegung. Die brutale Repression der letzten Wochen ist der Versuch der französischen Regierung diese Jugendbewegung mit Gewalt zu ersticken. In einer Erklärung haben auch zahlreiche Intellektuelle die Gewalt des Regimes angeprangert und sich mit den Protestierenden solidarisiert. Die zahlreichen Mobilisierungen und der öffentliche Druck zeigen bereits in Ansätzen ihre Wirkung. Einigen AktivistInnen, die zu mehreren Monaten Haft verurteilt wurden, wegen der Teilnahme an illegalen Demonstrationen wurden die Haftstrafen erlassen.

Mehr zum Thema