Fabriken ohne Chefs

24.06.2013, Lesezeit 6 Min.
1

// An diesem Mittwoch rufen ArbeiterInnen des griechischen Betriebs Vio.Me zu einem internationalen Aktionstag auf. Seit über vier Monaten produzieren sie unter eigener Regie //

In ganz Griechenland entstehen kleine Läden der solidarischen Ökonomie. Man kann dort ökologische Produkte aus dem In- und Ausland zu niedrigen Preisen kaufen. Seit einigen Monaten stehen in jedem solchen Geschäft neben dem Biooliven­öl und dem Fair-Trade-Kaffee auch Putzmittel: Die Flaschen voller Glas- bzw. Allzweckreiniger oder Waschmittel tragen keinen Markennamen. Aber auf den schwarz-weißen Etiketten kann man ein Zahnrad und eine Fabrik sehen.

Dieses Logo steht für Vio.Me, eine Baustoffabrik in Thessaloniki. Sie ist seit über vier Monaten von ihren 38 ArbeiterInnen besetzt. Am 12. Februar 2013 haben diese die zwei Jahre zuvor von ihren BesitzerInnen verlassene Produktionsstätte wieder in Betrieb genommen. Da Baumaterialien, die Vio.Me seit Jahrzehnten produzierte, zur Zeit auf dem krisengeschüttelten griechischen Markt wenig gefragt sind, entschieden sich die ArbeiterInnen für die Herstellung von Bioputzmitteln.

Am kommenden Mittwoch, dem 26. Juni, werden Gewerkschaft und Solidaritätsinitiative an die Öffentlichkeit gehen: Seit Monaten verkaufen sie die Produkte in ganz Griechenland über solidarische Netzwerke, aber nie ganz offiziell (mit Logo, jedoch immer ohne Namen). Auf einer öffentlichen Veranstaltung im sozialen Zentrum „Sxoleio“ im Zentrum von Thessaloniki (in einer ehemaligen religiösen Schule) werden sie die Vio.Me-Produkte nun erstmals der breiten Öffentlichkeit vorstellen. Am selben Tag sollen weltweit Solidaritätskundgebungen stattfinden, darunter auch in Berlin.

Direkte Demokratie

Makis Anagnostou ist ein großer Mann mit Händen wie Bärenpfoten. Er ist Präsident der Gewerkschaft – aber nur, weil das Gesetz einen solchen Posten verlangt. „Wenn ich meinen Kollegen ‚Vizepräsidenten‘ nennen würde, würden die Arbeiter uns beschimpfen“, so Anagnostou. Denn alle Entscheidungen werden gemeinsam in der Versammlung getroffen, der Präsident hat dort das gleiche Stimmrecht wie die anderen 37 ArbeiterInnen. Seit 2009 hatte die Betriebsgewerkschaft das Prinzip der direkten Demokratie etabliert, und als die Firma Insolvenz anmeldete, ohne die ausstehenden Löhne gezahlt zu haben, wurde in Versammlungen über alle Kampfmaßnahmen diskutiert. „Wir wussten, dass wir keine Chance hatten, irgendwo anders Arbeit zu finden“, erinnert sich Anagnostou. „Also blieb uns keine andere Wahl, als die Fabrik selbst zu betreiben.“

In Griechenland stehen heute bis zu 2.000 Werke still. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind arbeitslos, und die Diktate der Troika aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank treiben das Land immer tiefer in die Rezession. Wenn Vio.Me, wo vor der Krise 70 Menschen gearbeitet haben, zu einem Erfolg werden sollte, könnte das kleine Experiment eine große Ausstrahlungskraft haben.

Die Vio.Me-ArbeiterInnen fordern die Legalisierung der Produktion unter demokratischer Kontrolle der Belegschaft. Wie die Solidaritätsinitiative in einer Erklärung schrieb, handelt es sich um „die Geschichte einer Kampfgemeinschaft, die kollektive Lösungen auf alltägliche Probleme sucht.“ Sie solidarisieren sich außerdem mit dem Kampf der Beschäftigten des staatlichen Rundfunksenders ERT, der von der Regierung geschlossen wurde – und auch mit dem Aufstand der Massen in der Türkei.

Zanon zu Gast

Gewerkschaftsdelegationen aus aller Welt haben Vio.Me schon besucht, auch Intellektuelle haben ihre Solidarität bekundet. Naomi Klein, Regisseurin des Dokumentarfilmes „The Take“ über besetzte Betriebe in Argentinien nach der Krise von 2001, sprach Anfang des Monats vor rund tausend Menschen, die sich auf dem Hof des Fabrikgeländes versammelt hatten. Auch der Vorsitzende der linken Oppositionspartei Syriza, Alexis Tsipras, war kurz vor der Wiederaufnahme der Produktion zu Besuch und versprach im Fall eines Wahlsieges die Unterstützung einer von ihm geführten „linken Regierung“.

Ein besonders wichtiger Gast war jedoch Raúl Godoy, Arbeiter aus der besetzten Keramikfabrik Zanon in Neuquén in Argentinien. Dort produzieren die mittlerweile 450 Beschäftigten seit über zehn Jahren in Eigenregie. Bei Vio.Me hatte man schon Texte von der Neuquéner Gewerkschaft gelesen: „Es war so, als hätte jemand unsere eigenen Gedanken aufgeschrieben“, erinnert sich Anagnostou. „Daran haben wir gemerkt, dass das Kapital überall gleich ist und dass die Arbeiterklasse auch überall eine Klasse ist.“

„Habt ihr eine Legalität?“ hatte ein Vio.Me-Arbeiter Godoy bei der ersten Begegnung gefragt. Natürlich war die Besetzung von Zanon am Anfang auch illegal. Die argentinische Menschenrechtsorganisation „Mütter von der Plaza de Mayo“ („Madres de Plaza de Mayo“) unterstützte die Belegschaft auch juristisch, so dass sie offiziell kaufen und verkaufen konnte. Erst nach acht Jahren des Kampfes beschloss das Provinzparlament die Enteignung der Fabrik und die Übertragung auf die Kooperative der ArbeiterInnen. Weitere drei Jahre dauert es, bis der Gouverneur die Vorlage unterschrieb und das Gesetz in Kraft trat. Dazu waren über ein Jahrzehnt voller Kämpfe gemeinsam mit Arbeitslosen, Studierenden, indigenen Gemeinschaften und Arbeitern aus dem ganzen Land notwendig.

Eigene Kampfkraft

„Wir Arbeiter können uns nur auf unsere eigene Kampfkraft verlassen“, sagte Godoy und erinnerte daran, dass Argentinien schon eine „linke Regierung“ habe, die über die Jahre keinerlei Unterstützung für die „Fabrik ohne Chefs“ geleistet hatte. Sogar die großen Gewerkschaftsdachverbände mussten mittels einer Kampagne unter Druck gesetzt werden, bevor sie sich für die Zanon-ArbeiterInnen ausgesprochen haben. Die Vio.Me-Belegschaft erhält zur Zeit keinerlei Solidarität von den großen Beschäftigtenorganisationen. Lediglich zu kleineren, kämpferischen Basisgewerkschaften gibt es gute Kontakte, wie Anagnostou erklärte.

Erst wenn Vio.Me legalisiert wird, werden sie die Möglichkeit haben, die hergestellten Produkte zu exportieren. Aber man kann jetzt schon den Kampf mit Spenden unterstützen, und vor allem auch politischen Druck dafür erhöhen helfen, damit die Fabrik nicht nur de facto, sondern auch de jure den Produzenten gehört. Denn eine Flasche Glasreiniger kann ein Beispiel dafür sein, dass es eine Alternative zu Fabrikschließungen, Massenentlassungen und kapitalistischer Krise gibt.

dieses Interview in der jungen Welt
Website der Vio.Me-ArbeiterInnen

Mehr zum Thema