Eine neue rechte Bewegung?

12.01.2015, Lesezeit 8 Min.
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// RASSISMUS: Tausende ReaktionärInnen mobilisieren in Dresden und bundesweit gegen Muslime und Geflüchtete. Was steckt hinter den neuen Mobilisierungen? //

„Wir wollen die Ausländer nicht hier haben.“ So klingen die O-Töne in den Medienbeiträgen dieser Tage. Seit dem 20. Oktober hat sich in Dresden eine neue islamfeindliche, chauvinistische Bewegung aufgemacht, das deutsche Regime von rechts aufzumischen und sich einen permanenten Platz in der Öffentlichkeit zu erobern. Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) mobilisieren montags regelmäßig einige tausend Menschen gegen „den“ Islam, gegen Geflüchtete und MigrantInnen und gegen die expansive Außenpolitik Deutschlands – kurz vor Weihnachten nahmen sogar knapp 17.500 teil. Nur kurze Auftritte hatte dagegen der Vorbote: die Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) in Köln und Hannover.

In den bürgerlichen Medien herrscht dabei eine gewisse Ratlosigkeit. Woher kommt PEGIDA? Sind das alles Nazis – oder sollten ihre „Ängste und Sorgen“ ernst genommen werden? Auch die radikale Linke stellt sich Fragen: Gibt es eine neuen Faschismus in Deutschland oder verbinden sich hier „nur“ bereits existente Nationalkonservative mit faschistischen Gruppierungen und Strömungen?

KleinbürgerInnen ratlos

Freilich geht es an der Wurzel nicht um den Islam – gerade in Sachsen mit einer absolut marginalen muslimischen Bevölkerung. Tatsächlich gewinnt antiislamischer Chauvinismus über die Kreise strammer FaschistInnen hinaus angesichts existierender „Ängste und Sorgen“ an Attraktivität.

Die soziale Basis der PEGIDA-Proteste ist nicht einheitlich, jedoch vor allem von KleinbürgerInnen geprägt. Das KleinbürgerInnentum umfasst verschiedene Schichten zwischen den Klassen, die sich (z.B. durch den Besitz ihrer eigenen bescheidenen Produktionsmittel) als materiell Bessergestellte an der politischen Führung des Großbürgertums und seinem Lebensstil orientieren. Doch aufgrund derselben materiellen Stellung schwanken sie zwischen dem erhofften sozialen Aufstieg und dem befürchteten Abstieg – und legen deswegen ein oft irrationales Bewusstsein an den Tag.

Dabei ist die Angst vor dem sozialen Abstieg und den Verwerfungen des krisengeschüttelten Kapitalismus keineswegs unbegründet. Bereits heute sind bedeutende Teile der ArbeiterInnenklasse durch die Folgen der Hartz-Reformen und die voranschreitende Prekarisierung in die Misere gestürzt. Im beginnenden siebten Jahr der weltweiten Krise ist keine Erholung der Kaufkraft und des Binnenmarkts in Sicht. Via Rentensenkungen und Mieterhöhungen ist das deutsche KleinbürgerInnentum materiell von besonderen Härten betroffen. Die Antworten der Großbourgeoisie auf die Krise können es nicht glücklich machen, müssen sie doch für die Kosten der Währungsrettung und die Sanierung ganzer Nationalökonomien mit aufkommen, profitieren aber selbst nicht von der neu gewonnen Hegemonie des deutschen Kapitals.

Dazu gesellt sich eine Un- und Umordnung der politischen Repräsentation dieser Schichten. Die AfD hat sich als eine Verteidigerin ihrer neu erwachten protektionistischen Bedürfnisse angeboten. Nach einer relativen Stabilisierung der Eurozone und aufgrund der Tatsache, dass die verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie recht geschlossen hinter Merkel stehen, hat sich die Bedeutung der AfD vor allem in Richtung eines organisatorischen und elektoralen Ausdrucks der chauvinistischen Tendenzen der von Deklassierung bedrohten KleinbürgerInnen verschoben. Dabei ist hervorzuheben, dass PEGIDA und die AfD als deutsche Variante einer europaweiten Welle des erstarkenden Rechtspopulismus und Chauvinismus erst relativ spät die politische Bühne betreten haben.

Das bundesdeutsche Regime geht im Moment noch auf Distanz zu PEGIDA. Zwar gibt es zaghafte Rufe nach „Verständnis“ für die Ängste der TeilnehmerInnen vonseiten der CDU und Dialogangebote von CDU und Grünen. Doch der Großteil der IdeologieproduzentInnen verurteilt die Xenophobie und weist auf die Rolle von FaschistInnen in der Organisation hin.

Der sozialdemokratische Arm des deutschen Kapitalismus organisiert bereits alibimäßige Betroffenheitsveranstaltungen. Denn tatsächlich braucht das deutsche Kapital noch lange keine militante, faschistische Bewegung und möchte verhindern, dass sich aus PEGIDA und Konsorten unkontrolliert eine solche entwickelt. Außerdem ist ihm der isolationistische Charakter der Bewegung ein Dorn im Auge.

Antiislamischer Chauvinismus

Die Positionierung gegen Muslime, ob ganz offen oder unter dem verschleiernden Begriff des „Islamismus“, ist Grundlage der Politik von breiteren Sektoren in Deutschland – sichtbar an der medialen Stimmungsmache gegen die vermeintliche islamische Gefahr unter Stichworten wie „Parallelgesellschaften“ oder „Ehrenmorde“. Der Islamophobie als Werkzeug bedient sich auch der deutsche Imperialismus: Mit demagogischen Mitteln soll von den eigenen Verbrechen abgelenkt, sollen imperialistische Militäreinsätze legitimiert und zudem ein Spaltkeil zwischen die Unterdrückten getrieben werden, um den gemeinsamen Kampf zu erschweren.

Auf diesem Boden wächst PEGIDA und sucht sich also, wie sein kleinerer und gewalttätigerer Bruder HoGeSa, mit dem Islam ein Thema aus, das für die Argumentation der Großbourgeoisie und Sozialdemokratie einen Schwachpunkt darstellt. Für ihre Außenpolitik (Afghanistan, Syrien) und für ihre Innenpolitik (Abschiebungen, gesetzliche Diskriminierung) kann das Regime eine gewisse islamophobe Komponente brauchen. Für das Kapital selbst ist die Lage noch nicht problematisch genug, damit eine große Offensive nötig wäre. Aber das – von den Herrschenden geschürte – Verlangen genau danach erfüllt PEGIDA. Dem kann das Regime nur wenig entgegensetzten, ohne seine eigenen Anliegen zu gefährden.

Auch die Mobilisierungen gegen Neueröffnungen von Lagern für Geflüchtete sind nicht etwa allein Produkt marginaler faschistischer Agitation. Die „Heime“ werden nicht zufällig in Gebieten errichtet, in denen besondere Misere und Perspektivlosigkeit herrschen. Hierbei ist festzuhalten, dass die Refugeebewegung, obwohl sie die kämpferischste soziale Bewegung der letzten Jahre darstellte, eine systematische Niederlage erfahren hat. Die Medienhetze, die dazu nötig war, hat rassistische Ressentiments gestärkt. Dennoch formiert sich aus ihr heraus gerade jetzt der entschlossenste Widerstand gegen die rassistischen Mobilisierungen.

Was wird kommen?

Es bleibt zu erwarten, in welche Richtung sich PEGIDA und die rassistischen Mobilisierungen im gesamten Bundesgebiet entwickeln werden. Schon jetzt nutzen FaschistInnen die allgemeine Stimmung, um physische Angriffe auf Geflüchtete zu starten. Umso wichtiger sind eine klare Politik gegen jede Form des kleinbürgerlichen Chauvinismus und der Aufbau einer starken ArbeiterInnenbewegung.

Wie besiegen wir die FaschistInnen?

Tausende hetzen zurzeit auf Deutschlands Straßen gegen MigrantInnen. Im Kielwasser dieser Bewegungen nimmt auch Gewalt gegen Geflüchtete wieder zu. Schon länger stellt sich die Frage, wie antirassistische und antifaschistische Politik aussehen müssen, wenn es sich bei den Protestierenden nicht (nur) um offene Neonazis handelt, sondern um eine breite Bewegung, die bis in die häufig beschworene „Mitte der Gesellschaft“ reicht. Wie können PEGIDA und Co. gestoppt werden, damit sie sich nicht in eine neue militante faschistische Bewegung auf den Straßen verwandeln?

Der russische Revolutionär Leo Trotzki beschrieb in den dreißiger Jahren den Faschismus als das Produkt enormer Reibungen im Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Das KleinbürgerInnentum fürchtet in dieser Auseinandersetzung den sozialen Abstieg, verbündet sich mit den Ausgestoßenen und Deklassierten. Sie bilden paramilitärische Banden, die Jagd auf die Unterdrückten, die ArbeiterInnen und deren Organisation machen. Letztlich wird der Faschismus genutzt, um den Kapitalismus zu retten und zu sanieren, wenn nichts anderes mehr nützt.

Die rassistischen Mobilisierungen der letzten Wochen und Monate sind freilich noch lange nicht so weit, dem Kapital als eine Option zur Niederhaltung der Unterdrückten zu erscheinen. Im Gegenteil stehen die isolationistischen Forderungen von PEGIDA im Gegensatz zum wichtigsten Projekt des deutschen Großkapitals, der Dominanz in Europa. Nichtsdestotrotz ist PEGIDA ein Ausdruck des absteigenden KleinbürgerInnentums.

Es ist deshalb notwendig, schon jetzt ein kohärentes Programm zu entwickeln, das die Stärkung dieser chauvinistischen Bewegung verhindert. Dazu ist es zentral, der sozialen Krise zu begegnen, die die Grundlage dieser Mobilisierungen darstellt, indem die Angriffe der Herrschenden in Deutschland und ganz Europa abgewehrt werden.

Die ArbeiterInnenbewegung muss also dafür gewonnen werden, eine Antwort auf die Krise und PEGIDA als ihr Produkt zu finden. In den Betrieben und in den Gewerkschaften muss die rassistische und chauvinistische Ideologie bekämpft werden, die die vereinte Kampfkraft der ArbeiterInnen schwächt: Statt Protesten gegen Geflüchtete, die angeblich „die Sozialsysteme ausnutzen“, sind gemeinsame Kämpfe von KollegInnen unabhängig von Pass und Aufenthaltsstatus nötig.

Die kämpfenden KollegInnen von Amazon im hessischen Bad Hersfeld haben sich bereits an Blockaden gegen den Kasseler Ableger von PEGIDA beteiligt: Welche Möglichkeiten würden sich dem antifaschistischen Kampf eröffnen, wenn klassenbewusste ArbeiterInnen ihre ökonomische Macht beisteuerten?

Es ist also wichtig, eine starke ArbeiterInnenbewegung aufzubauen. Sie allein kann ein Programm aufstellen, das den FaschistInnen die Kraft nimmt und auch seiner kleinbürgerlichen Basis einen Weg jenseits der faschistischen Demagogie aufzeigt: Das Programm der sozialistischen Revolution, die den Kapitalismus endgültig besiegt.

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