Die Pille: Weibliche Selbstbestimmung oder kapitalistisches Schönheitsideal?

18.12.2015, Lesezeit 3 Min.
Gastbeitrag

Der Pharmakonzern Bayer vermarktete jahrelang Pillen als Lifestyle-Produkte, ohne vor dem erhöhten Thromboserisiko zu warnen. Gestern begann der erste Prozess in Deutschland gegen die Bayer AG wegen der Pille „Yasminelle" – eine Frau klagt auf Schadensersatz.

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Antikonzeptiva sind nicht nur ein wichtiges Mittel für die Selbstbestimmung der Frauen, sondern auch ein riesiger Absatzmarkt für Pharmakonzerne. Die Bayer AG nimmt mit den verschiedenen Pillen mehr ein als mit dem allseits verbreiteten Aspirin. Dabei sollen über Produktinnovationen neue Kundinnen gewonnen werden, die sich in der Verhütungsvielfalt bisher zum Beispiel für Kondome oder Pillen anderer Marken entschieden haben. Eine hohe empfängnisverhütende Wirkung haben die meisten mechanischen und hormonellen Methoden schon, da mussten für Bayers Werbung neue Argumente her.

Die Pillen der ersten Generationen haben zahlreiche Nebenwirkungen: Gewichtszunahme, Übelkeit, Stimmungsschwankungen. Die meisten Frauen, die die so genannte Antibabypille einnehmen, kennen diese Effekte. Für die Pillen der vierten Generation, zu denen Yasminelle gehört, warb Bayer explizit mit der Reduktion dieser Nebenwirkungen.

In der BRD sind Werbespots, wie Bayer sie in den USA ausstrahlte, für verschreibungspflichtige Medikamente verboten. Doch hier warb man im Beipackzettel für die Pille als Lifestyle-Produkt: mit dem „Smile-Effekt – du fühlst dich wohl in deiner Haut“, dem „Feel-Good-Effekt – verbessert dein körperliches und seelisches Befinden“ und dem „Figur-Bonus – hilft das Gewicht stabil zu halten“.

Das Versprechen, das auch in einem US-Werbefilm vermittelt wurde, lautet: Mit der Pille wirst Du schöner, hast reine Haut, andere Probleme verschwinden – und dazu wirst Du nicht mal schwanger! Dabei propagiert Bayer kapitalistische Schönheitsversprechen: Frauen sind schön, wenn sie dünn sind und reine Haut haben – und das ist sogar zu kaufen! In allen Lebenslagen sollte frau daran denken, diese Ideale zu erfüllen, auch in Verhütungsfragen.

Auf den Schönheitsimperativ werden Frauen schon mit der Probepackung verwiesen – diese kommt mit Schminkset und Spiegel. Einen kleinen Nebeneffekt verschwieg die Bayer AG bei alldem: dass die neuen Pillen mit dem Wirkstoff Drospirenon ein erhöhtes Venenthromboserisiko mit sich bringen. In den Packungsbeilagen wurde zwar auf das Thromboserisiko bei der Einnahme von Pillen hingewiesen, jedoch nicht, dass es bei dem neuen Produkt um ein vielfaches höher ist als bei der Vorgängerversion. Diese fatale Nebensache hat der Konzern erst ein paar Jahre später nachtragen lassen. In der Zeit erlitten viele Frauen Lungenembolien, Herzstillstand, mit tödlichen Folgen oder lebenslangen Konsequenzen für den Körper. Für den erhöhten Umsatz waren Bayer diese lebensbedrohlichen Risiken für Frauen nicht nennenswert.

In den USA hatte das bereits mehrere Sammelklagen zur Folge. Dort hat der Leverkusener Konzern bisher 1,9 Milliarden Dollar Schadensersatz gezahlt. Jedoch ging das nie mit einem Eingeständnis einher, die Nebenwirkungen unterschlagen zu haben. Der Konzern ginge weiterhin vom einem „positiven Risiko-Nutzen-Profil“ der Pille aus. Nutzen für den neoliberalen Schönheitsimperativ und die Konzernbilanz. Das Risiko tragen allein die Frauen.

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