Die Linkspartei und die Geflüchtetenfrage

08.09.2015, Lesezeit 10 Min.
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// DEBATTE: Der massive Anstieg der Anzahl von Geflüchteten und die sich häufenden Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte haben die Debatte angeheizt, welche Politik nötig ist, um die „Asylkrise“ zu beenden. Die Linkspartei macht einmal mehr ihr reformistisches und sozialchauvinistisches Profil deutlich. //
In der Asyldebatte der letzten Wochen konnte sich die Linkspartei von den anderen Parteien abgrenzen. Von den Grünen über die regierenden SPD-CDU/CSU bis hin zur AfD herrscht ein breiter bürgerlicher Konsens, die Asylgesetzgebung weiter zu verschärfen. Damit soll verhindert werden, dass weiterhin immer mehr Menschen auf der Suche nach einem sicheren Leben und Schutz vor dem Leid und Elend ihrer Ursprungsländer nach Deutschland fliehen.

Die vollkommene Verweigerung demokratischer Grundrechte, die unmenschlichen Bedingungen in den Geflüchtetenunterkünften, die geringe Wahrscheinlichkeit, dass der Asylantrag positiv beantwortet wird und die Ungewissheit, ob dies im Rahmen der ansteigenden rechten Gewalt letztendlich zu einem besseren Leben führt, die Repression gegen diejenigen, die sich gegen diese Zustände wehren – all das sind Instrumente im Repertoire der fremdenfeindlichen Asylpolitik der deutschen Regierung. Auch die Militarisierung an den Außengrenzen der EU (die im Falle des Mittelmeers schon beschlossene Sache ist und sich sogar auf die nordafrikanischen Länder ausweitet) und die wiedereingeführten Grenzkontrollen in Deutschland nehmen zu. In verschiedenen Bundesländern werden unterschiedliche Wege ausgetestet, um die Abschiebungen schneller und kostengünstiger durchzuführen: In Bayern werden in Grenznähe Lager für „Balkangeflüchtete“ eröffnet und in Sachsen-Anhalt schlägt der sozialdemokratische Innenminister vor, die Abschiebungen ohne Ankündigung stattfinden zu lassen.

In diesem Rahmen der reaktionären Offensive positioniert sich die Linkspartei momentan auf Seiten der Geflüchteten und verurteilt die Mitschuld der Bundesregierung an den Fluchtursachen. Zwar enthält die Kritik der Linkspartei an der Bundesregierung nicht konkret die Entlarvung des deutschen Imperialismus, dennoch ist es offensichtlich, dass die Geflüchtetenströme aus Waffenexporten, Bundeswehr-Einsätzen und imperialistischer Ausbeutung der halbkolonialen Länder hervorgehen. Doch ist die Linkspartei wirklich eine konsequente Alternative zu den rassistischen Plänen der Regierung und ist sie in der Lage, dem gewalttätigen rechten Mob Einhalt zu gebieten?

Machtorientierter Opportunismus

Um diese Fragen zu beantworten, ist es hilfreich, einen Blick auf das Abstimmungsverhalten im Bundestag zu werfen. Dort hat die Linkspartei nämlich nach und nach ihre prinzipielle Ablehnung von Bundeswehr-Einsätzen und Waffenexporten fallen gelassen und immer mehr Linkspartei-PolitikerInnen enthielten sich oder stimmten mit den Regierungsparteien. Das lässt sich nicht losgelöst von dem allgemeinen Rechtsruck erklären, den die Partei mit Blick auf die Bundestagswahlen 2017 und die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition durchmacht. Dabei ist sich der rechte Flügel sehr klar über den richtungsweisenden Charakter dieser Entscheidungen: Um sich vor der Bourgeoisie als vertrauensvolle Regierungsoption darzustellen, werden alle „roten Linien“ über Bord geworfen.

Dieser auch in den Abstimmungen zum Memorandum in Griechenland bewiesene Sozialchauvinismus entfernt die Linkspartei weit davon, eine klare Oppositionshaltung zu den Asylgesetzverschärfungen einzunehmen. Dies tut sie, um mit der SPD an die Regierungsmacht zu kommen, die gerade einen Vorschlag unterbreitet hat, in der sie unter anderem dem Einsatz der Bundespolizei und der Erweiterung der Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ zustimmt.

Auch in der allgemeinen Asyldebatte hat sich die Linkspartei gemeinsam mit den Grünen, der SPD, den Gewerkschaften und den „Arbeitgeber“verbänden für ein „Einwanderungsgesetz“ ausgesprochen, das den Geflüchteten bestimmte Rechte, wie das Arbeitsrecht und das Verbot von Abschiebungen arbeitender Geflüchteten, zugesprochen werden. Doch dieses Lager bietet nicht die Perspektive der Lösung der Geflüchtetenfrage, da sich die deutsche Bourgeoisie nur die neu gewonnene und billige Arbeitskraft zunutze machen will. Dass auch die Linkspartei diesen Wunsch in typischer Standortnationalismus-Logik unterschreibt, sieht man darin, dass sie nicht bis zum Schluss für das Ende der Prekarisierung besonders migrantischer ArbeiterInnen kämpfen.

Sachsen: Auf der Höhe der Aufgaben?

Konkreter zeigt sich die Rolle der Linkspartei jedoch in den Bundesländern, die direkt von der Welle rassistischer Gewalt betroffen sind und wo es dringend darum geht, sich ernsthaft dieser entgegen zu stellen. Die Aufgabe besteht darin, Selbstverteidigungskomittees aufzubauen, die die Betroffenen schützen und darüber hinaus demokratische Rechte wie das Versammlungsrecht verteidigen, wie es die Situation in Heidenau auf die Tagesordnung stellte. Schauen wir uns also genauer an, was die Linkspartei in Sachsen fordert: Im Landesparlament brachte sie Anträge ein, die „beispielsweise einen Winterabschiebestopp, eine Krankenversicherungskarte für Flüchtlinge und eine höhere Asylpauschale für die Kommunen [forderten]. In Arbeit ist eine Initiative zur Novellierung des Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes, konkret dessen Ergänzung um qualitative Standards für Aufnahme, Unterbringung, Versorgung sowie Teilhabe.“

In einer Situation der ständigen rassistischen Gewalt, von der Freital und Heidenau nur die extremsten Beispiele darstellen, ist es die Antwort der Linkspartei, kleine Verbesserungen der Gesetzgebung auf parlamentarischem Wege einzuführen. In Wirklichkeit ist dies der deutliche Beweis dafür, dass sie sich nicht bis zum Schluss für die Geflüchteten einsetzt. Sie benutzt ihre Sitze im Landesparlament nicht, um die fremdenfeindliche Gesetzgebung zu verurteilen und für ein Ende der Lager und für Bewegungsfreiheit, das Recht auf würdige Arbeit, gute Bildung, und alle demokratischen Rechte einzutreten. Sie treiben nicht die von der Regierung unabhängige Mobilisierung gegen rassistische Gewalt voran oder bauen Komitees zur Selbstverteidigung der Geflüchteten vor rassistischen Angriffen und der Polizeirepression auf. Mit der Distanzierung von diesen politischen Maßnahmen und dem Aufruf nach symbolischer „humanitärer Hilfe“ an die Bundesregierung verharmlost sie die rassistischen Angriffe gegenüber den Geflüchteten.

Thüringen und die Machtprobe

Doch am deutlichsten ist die Politik in Thüringen, wo sie mit dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow seit vergangenem Jahr die erste Rot-Rot-Grüne-Regierungskoalition anführen. Als eine der ersten Maßnahmen dieser Regierung wurde ein Abschiebeverbot für die Wintermonate erlassen, was nur ein Trostpflaster für die tausenden Geflüchtete darstellt. Zur gleichen Zeit wurde jedoch die Einschränkung der demokratischen Rechte wie das Arbeitsverbot aufrecht erhalten, die Abschiebeknäste blieben geöffnet und die Geflüchtetenunterkünfte wurden wie in jedem anderen Bundesland weiterverwaltet. Als extremes Beispiel des reaktionären Charakters der Koalitionspartner kann der Vorstoß des Erfurter Oberbürgermeisters von der SPD dienen, der die Abschaffung der Schulpflicht für minderjährige Geflüchtete forderte.

Das Lager in Suhl sorgte Mitte August für Aufsehen, als es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Geflüchteten und der Polizei kam, die massiv eingesetzt wurde. Die offensichtliche Ursache für diesen Zwischenfall sind die katastrophalen Verhältnisse in der Unterkunft, die zwar für 1.200 Menschen ausgelegt ist, jedoch etwa 1.800 Geflüchtete beherbergt, von denen deshalb viele auf den Treppen und im Gang schlafen müssen. Schimmel und andere Missstände hätten beinahe dazu geführt, das Lager schließen zu müssen. Nach diesen Auseinandersetzungen wurde sogar die Einzäunung des Gebäudes beschlossen. Diese brutale Realität aus Suhl ist unter dem „roten“ Ministerpräsidenten nicht anders, als sie von Geflüchteten im Berliner LaGeSo, im Bayerischen Passau oder auf dem griechischen Kos erlebt wird.

In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 25. August zeichnet Ramelow ein klares Bild davon, was die „Thüringer Antwort“ auf die rechte Gewalt ist. Nach den Ausschreitungen von Rechtsextremen in Freital und Heidenau befragt, sagt er stolz: „Sie sprechen von Orten in Sachsen, in Thüringen läuft das anders: Sobald sich hier so etwas abzeichnet, fährt ein Mitglied meiner Landesregierung hin.“ Und weiter: „Aber wir ermutigen diejenigen, die Zivilcourage haben, die sich den Nazis verweigern und sich vor die Flüchtlinge stellen und sagen: keinen Schritt weiter. Wir beziehen Feuerwehrvereine und Kirchen ein. In einigen Orten funktioniert das, in anderen wird geschwiegen.“ Die absolute Grenze des Möglichen für den linken PolitikerInnen ist es, die „Zivilgesellschaft“ und solidarische AktivistInnen dazu zu „ermuntern“, etwas gegen die rechte Gewalt zu unternehmen. Und wenn dies nicht gelingt, ist nicht die Landesregierung Schuld, sondern die „schweigende“ Bevölkerung. Auch hier fehlt eine Antwort, die sich auf der Höhe der Angriffe befindet. Selbst in Regierungsverantwortung ist die Linkspartei nicht in der Lage, einen Weg einzuschlagen, der Geflüchteten volle demokratische Rechte, eine eigene Wohnung, Arbeit und Studienplatz ermöglicht. All diese grundlegenden Schritte und die damit verbundenen Projekte (sozialer Wohnungsbau, Schließung aller Lager) würden die Ressentiments in der Bevölkerung direkt abbauen. Doch dazu wäre es nötig, die Interessen und Privilegien der UnternehmerInnen anzugreifen, wozu sich der Regierungschef schon an anderer Stelle nicht entschied.

Gefragt nach einer politischen Lösung der aktuellen Krise fordert er „ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht und gleichzeitig ein Zuwanderungsrecht. Dann könnten wir endlich sauber unterscheiden: Menschen, die aus politischen Gründen flüchten, erhalten Asyl. Und Menschen, die hier arbeiten wollen, hätten die Chance, nach Deutschland zu kommen und einen Job zu finden.“ Eine klare Absage an eine der historischen Forderungen der Geflüchtetenbewegung nach „Bleiberecht für alle“. Während der Bund voraussichtlich 5 Milliarden Euro mehr Steuern als erhofft einnimmt und die deutschen multinationalen Unternehmen Milliardengewinne einfahren, sind die Öffnung der deutschen Grenzen und das Ende der Profite mit den Kriegen durch Waffenexporte und ein Stopp aller Bundeswehr-Einsätze grundlegende demokratische Maßnahmen. Doch für den Imperialismus ist dies zu radikal.

Keine Alternative für die Ausgebeuteten und Unterdrückten

Da es das offene Ziel der Linkspartei ist, die Geschicke des Imperialismus mitzulenken, müssen solche Forderungen, die eine direkte positive Auswirkung auf die Situation der Geflüchteten hätten, fallen gelassen werden. Deshalb ist die Linkspartei keine konsequente Alternative für die Geflüchteten, sondern höchstens eine zurückhaltende Opposition zu den rassistischen Plänen der herrschenden Klasse, ohne jedoch die grundlegende fremdenfeindliche Asylgesetzgebung infrage zu stellen. Sie nimmt es in Kauf, dass ihre Strategie, minimale Veränderungen auf parlamentarischem Wege durchzusetzen, angesichts der Tiefe der humanitären Katastrophe zum Scheitern verurteilt ist und setzt nicht auf die unabhängige Mobilisierung auf der Straße, wie es die Geflüchteten in den vergangenen Jahren in ihrem heroischen Kampf gemacht haben, von dem sie zu Tausenden von Jugendlichen und ArbeiterInnen unterstützt wurden.

Wie wir an anderer Stelle schrieben gilt es „antirassistische und antifaschistische Einheitsfronten aufzubauen, die den Kampf gegen rechte Banden mit einem Kampf gegen den bürgerlichen Staat verbinden. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Verteilung der Arbeit auf alle vorhandenen Schultern und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sind Losungen, die die Interessen der Geflüchteten mit den Interessen der ArbeiterInnen hierzulande vereinigen können. “ Der Linkspartei mit ihren Positionen im Bundestag, den Landtagsparlamenten und den Gewerkschaften kommt eine privilegierte Rolle beim Vorantreiben des Kampfes gegen die humanitäre Katastrophe und für den Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen zu. Doch nur eine kräftige soziale Allianz zwischen den Unterdrückten und den SchülerInnen und Studierenden, und der organisierten ArbeiterInnenklasse kann die Forderungen der Geflüchteten gegen die Regierung der KapitalistInnen durchsetzen. Es ist nicht nur die rassistische Gewalt, von der die Geflüchteten betroffen sind. Das Arbeitsverbot drängt sie, unter miserablen Bedingungen illegalisiert zu arbeiten. Daher müssen die Gewerkschaften sich für die Forderungen der Geflüchteten einsetzen und sie als Mitglieder aufnehmen. Das war auch die zentrale Forderung der Geflüchteten, als sie in München und Berlin das Gewerkschaftshaus besetzt haben.

Da die sozialpartnerschaftliche Gewerkschaftsbürokratie aber kein Interesse an der Konfrontation mit der deutschen Bourgeoisie hat, ignoriert sie ihre Aufgaben. Dafür brauchen wir eine revolutionäre Einheitsfront, die zum Einen diese klassenkämpferische Perspektive gegenüber reformistischen Strategien verteidigt, die in der aktuell zugespitzten Situation für immer größere Frustrationen und Niederlagen führen wird. Zum Anderen muss diese Front eine klassenkämpferische Strömung innerhalb der Gewerkschaften aufbauen, die sozialen Hilfestrukturen etablieren und schließlich an den Universitäten, Schulen, Gewerkschaften und Betrieben aktive Mobilisierung für die Rechte der Geflüchteten verbunden mit dem Kampf gegen die Prekarisierung organisieren. Der Rassismus in Deutschland und die Fluchtursachen weltweit lassen sich nicht im Rahmen des Kapitalismus bekämpfen, sondern nur verbunden mit einer anti-imperialistischen Perspektive für die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und der reaktionären Nationalstaaten.

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