Die deutsche Linke und das „Nein“

16.07.2015, Lesezeit 5 Min.
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// GRIECHENLAND: Nach dem Referendum verhandelt Syriza weiter mit der Troika. Trotzdem feiern große Teile der Linken die Tsipras-Regierung. //

Am 5. Juli stimmten 61 Prozent der griechischen Bevölkerung beim Referendum gegen die neuen Sparauflagen. Die Regierungspartei Syriza selbst hatte dazu aufgerufen und bekam von großen Teilen der deutschen Linken vorbehaltlose Unterstützung. „Tsipras verteidigt den Sozialstaat und die Demokratie, indem er das griechische Volk […] entscheiden lässt“, behauptet Sahra Wagenknecht. Auch das Blockupy-Bündnis bezeichnet das Referendum als „historischen und bewegenden Moment für die Demokratie.“

Dabei bedeutet der Ausgang des Referendums – auch wenn das Nein eine klare Ablehnung der Troika-Politik beinhaltete – vorerst eine Stärkung des klassenversöhnlerischen Kurses der griechischen Regierung. Diese definiert das „Nein“ nämlich als Unterstützung ihrer Verhandlungslinie. Der Rücktritt von Yannis Varoufakis als Finanzminister zugunsten eines rechteren Ministers ist nur ein Ausdruck davon.

Dabei wurde Syriza im Januar eigentlich für ihre Ablehnung der Spardiktate gewählt, d.h. das Referendum gab es überhaupt erst, weil Syriza mit dem Bruch ihrer Wahlversprechen die griechische ArbeiterInnenklasse bereits verraten hatte.

Kurs der deutschen Linken

Die Linkspartei hat schon im Februar durch die Zustimmung von einer Mehrheit ihrer Bundestagsabgeordneten für neue Spardiktate der Troika gezeigt, dass sie die Lösung der Griechenland-Krise im Einvernehmen mit der deutschen herrschenden Klasse sucht. Die Zustimmung der Linkspartei zu diesen Sparmaßnahmen bedeutete die Interessen der ArbeiterInnenklasse der bedingungslosen Solidarität mit Syriza zu opfern. Der Kurs hat sich trotz Kampagne für das „Nein“ bei dem Referendum keineswegs verändert. Denn wenn Syriza einem neuen Abkommen zustimmt, wird die Linkspartei im Bundestag wieder dafür stimmen – anstatt jede Einmischung des deutschen Imperialismus zu bekämpfen.

Auch Teile der „Bewegungslinken“ reihen sich unkritisch in die Phalanx der Syriza-Fans ein. „Schon der Wahlerfolg von SYRIZA im Januar hat ein Fenster der Hoffnung und der Möglichkeite aufgestoßen, eine Alternative zum Bestehenden wieder realistisch denken zu können“, schrieb die Interventionistische Linke unmittelbar vor dem Referendum. Nach dem „Oxi“ gingen sie sogar noch weiter: Syriza „verkörpert das Versprechen der Kämpfe und ist zugleich ihre institutionelle Repräsentation.“

Unter dem Deckmantel einer angeblich radikalen Ablehnung der Troika-Politik verbirgt sich bei IL und Co. die Unterstützung für eine reformistische Regierung, die seit Januar fast alle Wahlversprechen gebrochen hat. Blockupy schreibt: „Das OXI hatte einen Klassencharakter.“ Das stimmt, aber nicht wegen, sondern trotz der Interpretation des Referendums durch Syriza.

Mit der unverblümten Unterstützung von Syriza untergräbt die deutsche Linke auch den Widerstand gegen die erpresserische Politik des deutschen Imperialismus. Anstatt ganz klar alle weiteren „Abkommen“ abzulehnen, schürt sie Illusionen in ihre Auswirkungen: „Selbst ein Abkommen in Brüssel wäre vor diesem Hintergrund etwas anderes als der schlechte Kompromiss, den viele die letzten Monate zu recht befürchteten: Eine demokratische Massenerhebung schafft es mit einer Regierung, die in Teilen wie ein[e] institutionelle Insurrektion operiert und einen Putschversuch hinter sich hat, dem europäischen Imperium, dass es ganz offen loswerden will, etwas abzutrotzen – und das innerhalb ihres eigenen Herrschaftsraumes.“ Ja, der Ausgang des Referendums ist ein Rückschlag für die Troika. Aber wenn das „Nein“ in ein erneutes Memorandum übersetzt wird, ist es nichts weiter als eine große Täuschung der Massen. Die Regierungsübernahme durch eine reformistische Partei als „Insurrektion“ zu feiern, bedeutet nur, dass man kein Interesse an einem tatsächlichen Aufstand gegen den kapitalistischen Staat hat.

Der Hauptfeind

Das Ergebnis des Referendums hat in erster Linie die berechtigte Wut der griechischen ArbeiterInnenklasse auf die Troika und die deutsche Bundesregierung offenbart. Es hat auch gezeigt, dass Syriza keinen Kampfplan für die Durchsetzung der Forderungen der ArbeiterInnen hat, sondern nur weiter auf Verhandlungen mit den imperialistischen ErpresserInnen setzt.

Die deutsche Bourgeoisie hat auch hier in den letzten Jahren mit der Agenda 2010 und dem Tarifeinheitsgesetz zahlreiche Angriffe auf die Interessen der ArbeiterInnen gefahren. Eine Schwächung des deutschen Regimes würde mithin sowohl den griechischen ArbeiterInnen helfen, als auch die Kampfkraft der deutschen ArbeiterInnenklasse stärken. Die jüngste Streikwelle hat die steigende Kampfbereitschaft der hiesigen ArbeiterInnenklasse unter Beweis gestellt.

Ein solidarischer Streik der deutschen ArbeiterInnen gegen die Spardiktate könnte ausreichend Druck erzeugen, um die Angriffe auf die griechische ArbeiterInnenklasse zurückzuschlagen und einen eigenen Kampfplan gegen die imperialistische Politik des deutschen Staates aufzustellen. Doch eine solche Perspektive erfordert die politische Unabhängigkeit von der Bourgeoisie und ihren reformistischen Verbündeten.

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