Der neue Protektionismus: Von Wirtschaftsplänen und Kanonenbooten

20.03.2019, Lesezeit 15 Min.
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Was haben die Dieselkrise, der Putschversuch in Venezuela und der drohende Zusammenbruch der EU gemeinsam? Ein Kommentar über die Erfolgsgeschichte des chinesischen Wegs.

Es war ein Donnerschlag, den kaum einer hörte: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier verkündete im Februar eine protektionistische Wende im Merkelismus, als er sein Papier zur nationalen Industriestrategie veröffentlichte. Mehr schon hörten hin, als Merkel selbst – zusammen mit ihrer designierten Nachfolgerin AKK – einen europäischen Flugzeugträger ins Spiel brachte. Dabei geht es bei beiden Projekten um den gleichen strategischen Inhalt: die Rückkehr Deutschlands in eine Welt der imperialistischen Rivalitäten, in der es ständig wechselnde Fronten gibt, also in eine Welt der Kanonenbootpolitik.

Ein Protektionismus gegen den Protektionismus

Altmaier kritisiert, dass seine Vorgänger technologische und industriepolitische Entwicklungen verschlafen haben. Er möchte, dass Deutschland die Umbrüche in der Weltordnung „erfolgreich mit … (gestaltet), anstatt sie passiv zu erdulden, zu erleiden und geschehen zu lassen.“ Konkret leitet er in die Wege, dass Auslandsbeteiligungen in deutschen Konzernen schon ab zehn statt wie bisher 25 Prozent staatlich geprüft werden und ausländische Übernahmen mit einer zeitweisen Verstaatlichung und anschließenden Reprivatisierung verhindert werden können.

Die Unverzichtbarkeit des bürgerlichen Nationalstaats als ideellen Gesamtkapitalisten erklärt Altmaiers Papier in Bezug auf die Industriepolitik in seiner Präambel folgt:

In manchen Fällen stellen wir fest, dass die Summe der betriebswirtschaftlichen Einzelentscheidungen der Unternehmen eines Landes nicht ausreicht, um globale Kräfte- und Wohlstandsverschiebungen auszugleichen oder zu verhindern: Denn ein Unternehmen hat sein Fortkommen im Blick, nicht das des gesamten Landes. In diesen Fällen –und nur in diesen –findet aktivierende, fördernde und schützende Industriepolitik ihre Berechtigung.

All jenen Links- und Post-Liberalen, die ein Absterben des Nationalstaates, eine Transnationalisierung der Macht, ein allumfassendes überstaatliches Empire oder ähnliche Neukautskyanismen für die Zeit nach der Jalta-Ordnung (die Ordnung des Kalten Kriegs, beschlossen in Jalta auf der Krim 1945) behaupteten, erteilt Altmaier damit eine Schelle. Vater Nationalstaat ist zurück, unverzichtbar fürs Kapital. Gleichzeitig deutet Merkels alter Vertrauter und neuer Wirtschaftsmann die Bonapartisierungstendenz an, die Europa seit der 2008er Krise immer tiefer erfasst, wenn er bei den Änderungen in der Weltordnung von „(dramatischen) Folgen für unsere Art zu leben“ spricht, „für die Handlungsfähigkeit des Staates und für seine Fähigkeit zur Gestaltung in fast allen Bereichen der Politik. Und irgendwann auch für die demokratische Legitimität seiner Institutionen.“

Es geht ganz konkret um das Überleben der deutschen Großkapitalist*innen. Als Sektoren, in denen Deutschland weltweiten Führungsanspruch hat, nennt das Bundeswirtschaftsministerium die Stahl-, Kupfer- und Aluminium-Industrie, die Chemieindustrie, den Maschinen- und Anlagenbau, die Automobilindustrie, die optische Industrie, die Medizingeräteindustrie, den Green-Tech-Sektor, die Rüstungsindustrie, die Luft-und Raumfahrtindustrie sowie den 3D-Druck. Namentlich genannt werden Siemens, Thyssen-Krupp, die Deutsche Bank – die jetzt auch angesichts der pazifischen Konkurrenz eine Fusion mit der Commerzbank anstrebt –, sowie die Automobilhersteller. Sie müssten überleben, das liege „im nationalen politischen und wirtschaftlichen Interesse“. Die geplatzte Siemens-Alstom-Fusion dürfte dabei den Drang angeheizt haben, sich um sein eigenes nationales Kapital in Frontstellung gegen China zu kümmern, wenn die EU zu unfähig ist. Das Papier geht auch auf die von der EU-Kommission verhinderte Fusion von Siemens und Alstom auf dem Schienenverkehrsektor ein und fordert eine „Erleichterung von Unternehmenszusammenschlüssen in Bereichen, in denen Größe eine unabdingbare Voraussetzung für unternehmerischen Erfolg ist“.

Eine interessante historische Analogie zieht der Minister von Deutschlands Automobilkonzernen, deren Dieselkrise emblematisch für ihr Verpassen des Strukturwandels ist, zu Japan und der Unterhaltungsindustrie:

Der japanische Sony-Konzern feierte seinen größten Absatz an Musik-CDs zu einem Zeitpunkt, als der Höhepunkt dieses Tonträgers bereits erreicht und bald darauf überschritten war und man dann keine Chance mehr sah, den Walkman technologisch auf die Stufe des iPod zu hieven.

So hat auch Deutschland heute eine hochentwickelte Automobilindustrie, die aber gerade in ihrer Hochentwicklung neue Technologien ignorierte:

Sollte bei dem Automobil der Zukunft die digitale Plattform für autonomes Fahren mit Künstlicher Intelligenz aus den USA und die Batterie aus Asien kommen, hätten Deutschland und Europa mehr als 50 Prozent der Wertschöpfung in diesem Bereich verloren. Die damit verbundenen Auswirkungen gingen weit über den Bereich der Automobilwirtschaft hinaus.

Das Papier wendet sich vordergründig gegen China, tatsächlich kann es allerdings genauso als gegen die USA gewandt gelesen werden, genannt wird Trumps „America First“ als Bedrohung deutscher Interessen. Das Vorbild für Deutschland schließlich ist China selbst, ja aus den Zeilen über China spricht tiefe deutsche Bewunderung:

Ein industriepolitisch besonders erfolgreiches Land ist die Volksrepublik China, das 2015 die Agenda „Made in China 2025“ beschlossen hat. Durch aktive Industriepolitik sollen dort Schlüsseltechnologien in zehn Sektoren gestärkt werden.

Und weiter:

Mit dem Projekt der neuen Seidenstraße versucht China, vorausschauend Absatzmärkte und Logistik zu sichern. Diese Strategie, Prinzipien der Marktwirtschaft mit vorausschauender und flankierender Politik verbindet, hat bislang große Früchte getragen. In China sind Unternehmen mit Weltgeltung entstanden, ganze Industriebereiche könnten in den nächsten Jahren zum technologischen Monopol dieser Unternehmen werden.

Zwar wolle Deutschland, so die Phrase, „den Multilateralismus stärken und ausbauen, weil er die beste Garantie gegen Protektionismus jeder Art ist.“ Das sagten fast alle Nationen bei der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar, nur ist die Frage, wessen „Multilaterismus“, unter wessen Führung, während gerade alle multilateralen Abkommen von Freihandel bis Abrüstung wackelig werden. Es ist so: Der liberale multilaterale Traum konnte bloß eine kurze Phase der Weltgeschichte sein, in der Zeit zwischen dem Untergang der bipolaren Jalta-Ordnung und dem erstehen einer neuen, brutaleren, kapitalistischen Ordnung (oder der weltweiten Revolution, wenn unsere Klasse gewinnt). Anders gefragt: Wessen „geschlossenen Wertschöpfungsketten“ bleiben erhalten, wessen werden gesprengt?

Folgen des Kuka-Schocks

Die viel bejammerten Wettbewerbsnachteile schrecken die Großkonzerne nicht ab: BMW und die Allianz halten schon Mehrheitsgesellschaften in China. VW gründet gemeinsam mit Partnerfirmen ein Unternehmen für digitale Dienste für alle Fahrzeugmodelle. Und das deutsche Kapital investiert nicht nur in China, es lernt auch von China. Das Land macht vor, dass man im großen Stil exportieren und investieren und gleichzeitig eine protektionistische Politik gegen die imperialistische Konkurrenz machen kann: Der chinesische Elektrogeräte-Hersteller Midea lässt in Vietnam, Weißrussland, Ägypten, Brasilien, Argentinien und Indien produzieren.

Zum chinesischen Modell gehört also fest der Protektionismus. Und in einer Phase, in der die USA selbst mit Trump an die Grenzen des neoliberalen Akkumulationsmodells gestoßen sind und protektionistischere Töne anschlagen, wird auch Deutschland Feuer mit Feuer bekämpfen: Schließlich ist das größte Klagen der zahlreichen deutschen Wirtschaftsdelegationen nach China, dass man dorthin einfach nicht frei Kapital exportieren darf, wie man möchte. Eine besonders viel erzählte Geschichte aus dem großen Paulanergarten der Bourgeoisie, die eine aggressivere Industriepolitik begründen soll, ist die von Kuka.

Als 2016 der Augsburger Roboterhersteller Kuka spektakulär vom chinesischen Konzern Midea übernommen wurde, löste das einen regelrechten Schock in Deutschland aus. Man sah schon seine Felle in den hochentwickelten Industrienischen wegschwimmen, die der deutsche Mittelstand so „weltmeisterlich“ hält. Kuka steht dabei als Roboterhersteller auch symbolisch für den Versuch des chinesischen Kapitalismus, seine Abhängigkeit von den klassischen Imperialismen in der weiterverarbeitenden Industrie zu lösen. Ähnliches geschah mit dem Münchner Traditionsmaschinenbauer Krauss-Maffei (nicht zu verwechseln mit dem schon seit Ende der 90er von Krauss-Maffei getrennten Leopard-II-Hersteller Krauss-Maffei Wegmann), das von einem britischen Investor an den staatsgeführten Konzern ChemChina verkauft wurde, das damit seine Produktionskette ausweitet.

Das Klischee, China zocke lediglich deutsches „Know-How“ und baue alles billig nach, ist dabei irreführend. Denn selbstverständlich findet Industriespionage in großem Stil statt – besonders, aber nicht nur, von China. Doch Wissen allein stellt noch keine Maschinen her, sondern das kann nur Arbeit auf dem höchsten Niveau der Produktionskette, in die bereits die sedimentierte Arbeit der am weitesten entwickelten internationalen Produktion unter Kontrolle der Konzern-Konglomerate mit der höchsten Kapitalkonzentration eingeflossen ist. Industrieroboter wie die von Kuka werden eben zur Herstellung anderer industrieller Güter benötigt und sind deshalb so unersetzlich, dass sie für die wirtschaftliche „nationale Sicherheit“ von Belang sein können.

Deshalb kann zum Beispiel Russland mit allem Gas der Welt nicht einfach so gegen Deutschland oder gar die USA konkurrieren, sondern muss zu verzweifelten militärischen Mitteln in seinem Hinterhof greifen. Denn Russlands Wirtschaftsstruktur ist einfach nicht ausreichend entwickelt und da sich die Investition darin nicht lohnt, bleibt sie es auch. Russisches Kapital fault auf Offshore-Konten vor sich hin und trägt wenig zur Entwicklung der nationalen russischen Industrie bei – tatsächlich ist nicht nur der Lebensstandard, sondern auch der industrielle Anspruch Russlands seit der chaotischen kapitalistischen Restauration der 1990er beträchtlich gesunken.

China hingegen versucht einen wirtschaftlichen Sprung zu einer Nation zu machen, die selbst die höchstentwickeltsten Güter herstellt, und hat diesen Sprung zum Teil schon umgesetzt. Es ist längst keine verlängerte Werkbank der Welt mehr; zuletzt bezeichnete Altmaier gegenüber der ARD sogar Deutschland als „verlängerte Werkbank“ Chinas in der Batterieproduktion. Dieser Sprung Chinas geht nicht ohne eine Konfrontation hegemonialer Interessen anderer Mächte, besonders der USA.

Bye bye, altes Europa!

Was bedeutet die chinesische Konfrontation der Weltordnung für eine EU in Zeiten des Brexit? Der ideelle Gesamteuropäer, Ratspräsident Donald Tusk, wünscht sich einen „besonderen Kreis der Hölle“ für die Vertreter*innen eines harten Brexit – eine Option, die den schon lang nicht mehr scheinenden deutsch-französischen „Schatz“ Airbus gefährden könnte. Symbolischerweise ist Tusk selbst ein Gefallener, vor zehn Jahren in seiner polnischen Heimat verfemt und verteufelt. Und sein heiliger Kampf ums „alte Europa“, wie Donald Rumsfeld den von Deutschland und Frankreich angeführten Block zu Anfang des inzwischen auch gescheiterten Irakkriegs nannte, der scheitert nicht nur im Vereinigten Königreich.

Tatsächlich ist das kapitalistische Paradies der europäischen Integration nur noch ein Flimmern vergangener Tage, denn der Stern der Europäischen Integration war eigentlich mit der Staatsschuldenkrise verglüht: Die „Spitzenleute“ der EU konnten einige Zeit lang behaupten, es sei nur Populismus und damit ein nur irrationaler Subjektivismus gegen die Eliten, der sie ganz zu Unrecht in schlechtem Licht erscheinen ließe. Doch die Realität holt Brüssel spätestens dann ein, wenn ihr größter Profiteur – der in Berlin – die ihm auferlegten supranationalen Schranken in Bezug auf Siemens-Alstom öffentlich in Frage stellt. Gleich nach seinem eigenen Papier zur deutschen Industriepolitik und dem Scheitern der Siemens-Alstom-Fusion in Brüssel legte Peter Altmaier mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire nach und forderte in einem auf dem „Tagesspiegel“ veröffentlichten Aufsatz unter dem Titel „Europa braucht Industrie-Champions“ mehr „wirtschaftliche Souveränität“. Le Maire kommentierte zur Verhinderung der Fusion:

Industrielle Entscheidungen im 21. Jahrhundert können nicht auf der Grundlage von Wettbewerbsregeln getroffen werden, die im 20. Jahrhundert festgelegt wurden.

Dieses Statement ist in der aktuellen politischen Lage widersprüchlich, intervenierte doch Frankreich auf US-Seite fast gleichzeitig gegen Deutschlands Nord-Stream-2-Projekt – und erreichte ein zumindest symbolisches Einlenken Deutschlands gegenüber den USA in Sachen Flüssiggas. Die staatstragende „Tagesschau“ wusste sich angesichts dieser Irritation französisch-deutscher Beziehungen nur mit dem Hinweis zu helfen, die Beziehung sei immer noch stabiler als die Frankreichs zu Italien, wo gerade der Botschafter zurückgerufen wurde. Auch hier ging es nur oberflächlich um die Diskreditierung der französischen Regierung, tatsächlich aber mehr um das Ausscheren Italiens aus der EU-Achse gegen Venezuela auf Seiten Russlands und Chinas.

China investierte in den letzten 20 Jahren viele Milliarden US-Dollar in Venezuela, eine direkt gegen die USA gerichtete Investition. Der Deal mit dem linksbonapartistischen Regime um Hugo Chavéz‘, später Nicolás Maduros, war stets: Kredite für Öl. Dieser Deal ist aber auch Teil einer Strategie, sich in Lateinamerika insgesamt breitzumachen, zum Beispiel auch in Argentinien oder Brasilien. Angesichts der US-Doktrin, dass dem imperialistischen Hegemon der halbkoloniale Anspruch auf die Amerikas quasi von Natur aus zusteht und Washington dort räubern und plündern, Regimes nach Belieben putschen und neu einsetzen darf, ist das eine Provokation. Selbstverständlich handelt es sich dabei keineswegs um eine „antiimperialistische“ Motivation Chinas, auch wenn sich Xi Jinping gern mit einer solchen Aura umgibt, sondern im Gegenteil um den eigenen Sprung zum Club der Imperialismen.

Es wird nun viel davon abhängen, ob Deutschland mit einer neuen Strategie die Hegemonie über Europa mit dem äußeren Druck der Blöcke USA-China aufrechterhalten und wiederherstellen kann, wenn die EU kein Garant mehr für diese Stellung ist. Ein europäischer Flugzeugträger – so umstritten das Projekt in einer Zeit ist, in der Deutschland nicht einmal seine als Fregatten getarnten Zerstörer flott bekommt und bereits kleinere Auslandsmissionen Kapazitätsgrenzen für die Kriegsmarine bedeuten –, kann in so einer Zeit Spielraum verschaffen, zumal auch China mehrere eigene Flugzeugträger baut. Denn die wirtschaftliche Konkurrenz wird im Pazifik oder auf dem umkämpften Afrikanischen Kontinent, nicht ewig „friedlich“ bleiben.

Allerdings gibt es Schranken für Deutschland, die allein mit industriepolitischen und militärischen Anstrengungen nicht so leicht verschwinden. Was sind also die Triebkräfte des bisherigen passiven Scheiterns des „alten Europas“?

Die Triebkräfte des passiven Scheiterns

Eine zentrale kapitalistische Schwierigkeit ist, dass Nationalstaaten bürgerlich nicht zu vereinigen sind: Die EU hemmt die Ausbreitung der Produktivkräfte, die sie einst förderte, wie Siemens-Alstom beispielhaft hervorhebt – in krassem Widerspruch zum Anspruch der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), welche die national stärksten Kapitale Europas konzentrieren und zueinander friedfertig halten sollte. Aber vielmehr noch erleben wir, wie sich mit der Blockkonfrontation zwischen dem China Xis und den USA Trumps insgesamt in einer Tendenz des scheiternden neoliberalen Multilateralismus zeigt, die Deutschland mit seinem konservativen Export- und Industriekonzept zu lange ignoriert hatte, was der materiell wichtigste Ursprung seiner politischen Krisen ist.

Mit dem hauptsächlich passiven Scheitern gegenüber China und den USA ist die EU historisch zum Untergang verdammt. Ihre Vorgänger-Organisationen waren hervorgegangen aus einer kapitalistischen Lösung des Zweiten Weltkriegs, dessen verheerenden Ergebnisse den bürgerlichen Nationalstaat selbst fragwürdig erscheinen ließen. Doch das „europäische Projekt“ konnte von Katalonien über Jugoslawien bis Irland keine der großen nationalen Fragen Europas zufriedenstellend lösen. Die Triebkräfte hinter dem Brexit und den neuen Souveränismen, die nach der Eurokrise als letztem Höhepunkt deutscher EU-Hegemonie in der „Flüchtlingskrise“ (eigentlich: imperialistische Krise) die EU untergruben, verweisen auf die Unmöglichkeit, in kapitalistischem Rahmen nationale Interessen zu vereinen.

Die Frage ist angesichts der weltweiten Ordnungskrise weniger, ob die EU zusammenbricht, sondern wie: Es gibt von Italien über Ungarn bis zum Vereinigten Königreich mit seiner letzter großen Kolonie Nordirland zu viele Fronten, an denen der liberale Multilateralismus scheitert, um noch eine Chance im Zeitalter der chinesischen Lösungen zu haben. Das hat in der allgemeinen bonapartistischen Tendenz mit ihrer in Europa stärksten Ausprägung im Macron-Frankreich – spät – auch das selbst sterbende Merkel-Regime verstanden.

Eine Nation wie die deutsche, die ihre regionale Hegemonie und ihre Weltmarktstellung seit Jahrzehnten auf der EU aufbaut, setzt mit dem protektionistischen, vordergründig gegen China, aber mittelfristig ebenso gegen die USA gerichteten Industriestrategie-Papier Altmaiers einen ersten Meilenstein zum schmerzhaften Umdenken in der Durchsetzung deutscher Kapitalinteressen. Es ist deshalb schmerzhaft, weil es keinen einfachen Weg raus für Deutschland gibt, das die EU weiterhin für den Binnenmarkt und die militärische Durchsetzungsfähigkeit braucht, während es gleichzeitig von dieser EU mehr und mehr allein gelassen wird. Die Neuorientierung, die Altmaier als letzten Streich Merkels verkündet, findet dabei in einer noch passiven Krisenphase statt, nicht in einer Phase der Kriege und Klassenkämpfe, die die Form deutscher Aggression vertiefen wird, deren Inhalt bereits angekündigt wurde.

Für uns internationalistische Sozialist*innen ist der kommende Untergang des alten Europas kein Grund zum Weinen. Anstatt ihrer Souveränismen bekennen wir uns zur Souveränität der internationalen Arbeiter*innenklasse als Anführerin der Unterdrückten. Nicht nur das alte Europa und die USA, auch das aufstrebende China selbst ist voller Widersprüche – der Klassen, nationaler und demokratischer Fragen, der Ökologie. Weder die alten Mächte noch China werden innerlich stabil bleiben. Während die verschiedenen Formen der Sozialdemokratie und ihre Apologet*innen also entweder mit dem sinkenden Schiff des Multilaterismus untergehen oder sich chauvinistisch dem neuen Protektionismus anbiedern wollen, vertreten wir einen proletarischen Internationalismus: Für die Anführung der Arbeiter*innenklasse in den Kämpfen, die Kapitalismus und Imperialismus uns in ihren Rivalitäten aufzwingen werden!

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