Der Gigant in Krise

13.05.2015, Lesezeit 6 Min.
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// BRASILIEN: Eine politische und wirtschaftliche Krise erschüttert das riesige lateinamerikanische Land. Die Kämpfe der ArbeiterInnen vermehren sich. //

Als Dilma Rousseff im vergangenen Jahr zu ihrer zweiten Amtszeit antrat, versprach sie vor allem Kontinuität. Sie wollte die „fortschrittliche“ und „arbeiterInnenfreundliche“ Politik der zwölf Regierungsjahre der „ArbeiterInnenpartei“ PT fortsetzen. Doch wegen der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation in Brasilien führt sie mit Sparprogrammen und Kürzungen eher den Rechtsruck ihrer vorherigen Amtszeit fort. Gegen diesen protestierten im Juni 2013 Millionen von Jugendlichen. Seitdem änderte sich das Land vollständig und 2014 fand die größte Streikwelle seit den 1980er-Jahren statt. Aktuell befinden sich die Regierung und die PT zudem in einer tiefen politischen Krise durch den Mega-Korruptionsskandal bei Petrobras.

Wirtschaftskrise und Sparkurs

Die PT-Regierung hat zwei große Probleme. Das eine sind die Auswirkungen der anhaltenden Rezession. In den vergangenen Jahren der Wirtschaftskrise investierten viele Unternehmen aus Europa und den USA in Brasilien, das mit hohen Zinssätzen zur Spekulation einlud. Viele Wirtschaftssektoren wuchsen durch den niedrigen Dollar-Preis auf Pump, doch mit dem rapiden Anstieg des Dollars kommt ihnen das nun teuer zu stehen. Der Kreditboom geht zu Ende und die Inflation nimmt zu (im Februar lag sie bei 8%). Betroffen sind weite Teile der Wirtschaft, insbesondere die Automobilindustrie schwächelt. Daher liegen die Wachstumsprognosen der brasilianischen Wirtschaft in diesem Jahr gerade einmal bei schwachen 0,5 bis -1 %.

Die Regierung hat dagegen einige neoliberale Maßnahmen beschlossen. Auf der einen Seite wird der Zinssatz weiter erhöht, um ausländisches Kapital anzuziehen. Auf der anderen Seite sollen Steuererhöhungen und Subventionskürzungen, unter anderem bei der Bildung, zu mehr Geld in den Staatskassen führen. Zugleich hat die Regierung ein Paket von flexibilisierenden Gesetzen erlassen, unter anderem zur umfassenden Legalisierung von Leiharbeit. Dies ist ein harter Angriff auf die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und Massen, die schon unter der grassierenden Inflation zu leiden haben. Hinzu kommen die alltäglichen Probleme des Gesundheits- und Bildungssystem und die enorme Wassernot der ärmsten Bevölkerung.

Petrobras-Skandal und politische Krise

Zur gleichen Zeit wird die Regierung vom größten Korruptionsskandal seit dem Ende der Militärdiktatur erschüttert. Jahrzehntelang haben die Bosse des halbstaatlichen Öl- und Gaskonzerns Petrobras Schmiergelder in Millionenhöhe eingesammelt und dabei gleichzeitig noch die Parteikassen der PT und der mitregierenden PMDB aufgefüllt. Zwei Dutzend Bauunternehmen sind offiziell in diese illegale Praxis verwickelt gewesen. Insgesamt beträgt die Summe an geflossenem Schwarzgeld zwischen KapitalistInnen und PolitikerInnen 3,8 Milliarden US-Dollar. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen 54 Personen aus der politischen Elite, darunter Abgeordnete, SenatorInnen, MinisterInnen, GoverneurInnen und den Ex-Präsidenten Collor de Mello, der schon in den 1990er-Jahren wegen eines Korruptionsskandals zurücktreten musste. 14 dieser Personen sitzen momentan in Untersuchungshaft Die Präsidentin Rousseff ist zwar noch nicht direkt beteiligt, war jedoch von 2003-2010 Vorstandsvorsitzende von Petrobras.

Diese Krise erschüttert und lähmt nicht nur die Regierung, sondern auch die PT selbst. Denn vor den Augen von Millionen Menschen wird durch diesen Skandal deutlich, dass sie integraler Bestandteil der politischen Kaste ist, die für die KapitalistInnen Politik macht und dafür ihr Stück vom Kuchen der Milliardengewinne abbekommt. Dafür werden sie und ihr Koalitionspartner in den Umfragen hart abgestraft. Die rechte Opposition der PSDB will sich dies zunutze machen und rief am 15. März zu massenhaften Demonstrationen „gegen die Korruption“ im ganzen Land auf. Doch auch wenn bis zu eine Million Menschen auf den Straßen waren, fallen sie selbst in den Umfragewerten.

Genau einen Monat später rief die PT-geführte Gewerkschaftszentrale CUT zu einem Nationalen Streiktag gegen die Leiharbeitsgesetze auf – also gegen die Gesetze ihrer eigenen Partei. Dass sie dazu gezwungen war, ist ein starkes Zeichen für die Krise der PT. Trotz der bürokratischen Gewerkschaftsführung brachten die ArbeiterInnen mit massiver Beteiligung ihren Unmut gegen die Regierung und ihre arbeiterInnenfeindlichen Gesetze zum Ausdruck.

2013 und 2015

Noch immer hallen die Massenproteste der Jugend vom Juni 2013 in der politischen und gesellschaftlichen Landschaft nach. Dort trafen zum ersten Mal die im vergangenen Jahrzehnt gestiegenen Erwartungen der Massen mit dem immer geringeren Verteilungsspielraum der Regierung aufeinander. Im darauf folgenden Jahr kam es zu der größten Streikwelle seit den 1980er-Jahren. Zuerst war es die Stadtreinigung von Rio de Janeiro, die während des Karnevals auf ihren Kampf aufmerksam machte und aufgrund von basisdemokratischen und kämpferischen Methoden ihren Streik gewann. Kurz vor der Weltmeisterschaft streikten die MetrofahrerInnen von Sao Paulo für bessere Arbeitsbedingungen. Der viermonatige Streik der nicht-akademischen Beschäftigten an der Universität von Sao Paulo (USP) konnte durch die Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen gewonnen werden. Erst kürzlich gab es Streiks bei Volkswagen im Industriegürtel von Sao Paulo, genauso wie bei General Motors. Und auch die LehrerInnen von Paraná haben vor kurzem eine wichtige Kampf- und Organisierungserfahrung hinter sich gebracht. All diese Streiks, die zum großen Teil siegreich ausgingen, bringen neue Erfahrungen und eine andere Moral in die millionenschwere ArbeiterInnenbewegung.

In all diese Kämpfe hat die Liga Revolutionäre Strategie (LER-QI) interveniert und sich aufgebaut. Auf ihrem kürzlich beendeten fünften Kongress fassten sie deshalb den Beschluss, sich in Bewegung revolutionärer ArbeiterInnen (MRT) umzubenennen. Damit bringen sie die Verschmelzung mit Teilen der ArbeiterInnenklasse zum Ausdruck, darunter ArbeiterInnen der USP, Metro-ArbeiterInnen, LehrerInnen, Post- und Bankangestellte und aus der Industrie. Gleichzeitig ist vor einigen Wochen das ambitionierte Projekt Esquerda Diário gestartet. Dies ist die erste Tageszeitung der brasilianischen Linken und steht im Rahmen des internationalistischen Tageszeitungsprojektes „La Izquierda Diario“ aus Argentinien, Chile und seit Kurzem auch Mexiko. Damit wollen sie als eine revolutionäre und klassenkämpferische Alternative vor der neuen Avantgarde der ArbeiterInnen und Jugend zur traditionellen Linken angesehen werden. Diese hat es trotz großen Einflusses unter der Jugend, im Parlament und den Gewerkschaften nicht geschafft, eine revolutionäre Alternative zur reformistischen PT aufzubauen.

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