Das Modell Amazon

31.10.2014, Lesezeit 5 Min.
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// Der multinationale Konzern sichert sein Monopol durch Überausbeutung. //

Viele von uns kennen Amazon nur aus dem Internet. Der riesige multinationale Konzern verspricht uns Zugang zu fast allen Produkten auf Knopfdruck, die wie magisch vor unserer Haustür erscheinen. Noch mehr als sonst im kapitalistischen Produktionsprozess erscheint uns die Ware völlig abgetrennt von den Verhältnissen, in denen sie produziert wurde. Denn nicht nur die Produktion der Waren geschieht im Dunkeln, sondern auch die Distribution. Im Supermarkt oder im Kaufhaus können wir mindestens noch in den müden Gesichtern der KassiererInnen sehen, welcher Druck auf ihnen lastet. Der Onlineversand verbirgt selbst dies.

Amazons Geschäftsmodell ist die maximale Verringerung der Zeit zwischen dem Kauf und der Lieferung der Ware. Erreicht wird das durch ein militärisch durchgeplantes Regime der Automatisierung – allerdings nicht durch tatsächliche Maschinen, sondern durch die völlige Kontrolle und „Optimierung“ der ArbeiterInnen selbst. Amazons Logistikzentren, wo alle „Packer“ einen Produktionsrhythmus von drei Paketen pro Minute erreichen müssen, erinnern an den Fordismus: In den riesigen Paketfabriken stehen ArbeiterInnen in langen Reihen nebeneinander, um Pakete zu packen. Ergänzt wird dies durch ein Heer von sogenannten „Pickern“, die die Waren aus den Regalen holen.

Die Mehrwertproduktion bei Amazon entsteht also durch die Herstellung der Pakete selbst, wo mehr Pakete pro Minute einen höheren Mehrwert bedeuten. Amazon ist insofern ein Beispiel für eine Rückkehr zur klassischen Ausbeutung des absoluten Mehrwerts, durch die stärkere Auspressung der individuellen Arbeitskraft. Amazons stetiger Drang, die Lieferung zu optimieren, lässt freilich auch die Paketdienste nicht unberührt, die ihrerseits massiven Druck an ihre Beschäftigten weitergeben.

Wie Roboter

Bei Amazon existieren keine Stühle, außer in den Pausenräumen, weil stehende ArbeiterInnen produktiver seien. Die Werkzeuge wie Computer und Scanner haben hochentwickelte Programme, die die Prozesse effizienter machen sollen. Außerdem zeichnen sie detaillierte Informationen über die Aktivitäten der ArbeiterInnen auf: Produktivität, Zeiten, Pausen, Aufenthaltsort, Bewegungen, Toilettengänge, Fehler.

Die Quote zwischen fest und befristet angestellten Kräften ist sehr unterschiedlich, doch gerade in den neueren Zentren sind befristete Verträge die Regel. Erst letztes Jahr kam es zu einem Skandal, als Amazon im neuen Logistikzentrum Brieselang bei Berlin einen Tag vor Weihnachten die Verträge von hunderten ArbeiterInnen auslaufen ließ, nur um im neuen Jahr neue Beschäftigte wieder einzustellen. Noch schlimmer sieht es in den Zeiten der Hochsaison aus (vor Ostern und vor allem vor Weihnachten), wo die Belegschaft kurzfristig fast auf das Doppelte aufgebläht wird.

Das „Modell Amazon“ funktioniert nur, indem die Unsicherheit der Lebens- und Arbeitsverhältnisse, der internalisierte Leistungsdruck sowie die zur Überausbeutung tendierende Lohnstruktur zum Rückgrat der Paketproduktion werden. Amazon setzt seine Arbeitsbedingungen mittels militärischen Drills durch. Eine bedeutende Zahl der mittleren und hohen ManagerInnen auf weltweiter Ebene kommen von der Armee.

Gleichzeitig jedoch versucht Amazon, eine Atmosphäre des Vertrauens und der Nähe zu schaffen: So wird sich bei Amazon auch zwischen PaketpackerInnen und ManagerInnen geduzt. Das hat jedoch nichts mit „flachen Hierarchien“ zu tun, sondern mit der Manipulation der ArbeiterInnen durch das Schaffen einer „freundschaftlichen“ Beziehung.

Die ArbeiterInnen sollen die größten Opfer bringen, um einen Vorteil zu bekommen. Die hohe Rotation, die Dauer der Probezeit (sechs Monate) und im Allgemeinen die Befristung der Verträge (bis zu zwei Jahre) nutzt Amazon um die ArbeiterInnen unter permanentem Druck und Angst zu halten, die in jedem Moment ihren Wunsch nach dem Verbleib in der „Familie“ unter Beweis stellen müssen.

Beispielloser Druck

So ist es Amazon möglich, einen beispiellosen Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen im Logistikzentrum aufrecht zu erhalten. Zudem ist Amazon auch für seine gewerkschaftsfeindliche Haltung bekannt: Einen Tarifvertrag will Amazon schon aus Prinzip nicht unterschreiben.

Doch auch über die konkreten Arbeitsbedingungen hinaus reizt der Konzern seine Profitmargen bis auf das Maximum aus: Wie bekannt ist, hinterzieht Amazon Steuern, kassiert die Finanzierungsprogramme der Regierung für Arbeitslose, und nimmt Geschenke von jeder Lokalregierung dafür an, dass sie ein Logistikzentrum in ihrer Stadt aufmachen. Produktionsmodell Amazons wäre ohne die Subventionen und die neoliberale Arbeitsmarktpolitik des deutschen Staats kaum möglich.

Zusammengefasst ist das „Modell Amazon“ ein Parade­beispiel dafür, wie die herrschende Klasse das Kapital-Arbeit-Verhältnis in der Krise zu Ungunsten der ArbeiterInnen umformen will. Ob Amazon diesen Kampf gewinnt oder verliert, wird Signalwirkung für die Entwicklung der Lebensbedingungen der gesamten ArbeiterInnenklasse haben.

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