Coronavirus eindämmen, keinen Polizeistaat errichten!

18.03.2020, Lesezeit 8 Min.
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International mehren sich die Ausgangssperren, in Bayern herrscht der Katastrophenfall. Nun droht auch der Einsatz der Bundeswehr. Wir dürfen uns autoritäre Maßnahmen nicht als Bekämpfung der Pandemie verkaufen lassen.

Europa hat sich in den vergangenen Tagen zum Fokus der weltweiten Corona-Pandemie entwickelt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt seit gestern das Risiko in Deutschland als hoch ein. Die europäischen Regierungen reagieren darauf mit weitreichenden Maßnahmen, die tief in die Bewegungsfreiheit der Menschen eingreifen. Seit gestern Mittag herrscht nach Italien, dem Spanischen Staat und Teilen Österreichs nun auch in Frankreich für zwei Wochen eine Ausgangssperre. In Bayern gilt seit vorgestern der Katastrophenfall – Tagesschau.de titelte dazu passend: „Kontrollieren, Abschotten, Schließen“.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder präsentieren sich als Krisenmanager*innen. So wird letzterer von der Süddeutschen Zeitung dafür bejubelt, „ohne Alarmismus, aber mit Nachdruck“ Bayern durch die Krise zu dirigieren.

Und tatsächlich nimmt Bayern mit der Ausrufung des Katastrophenfalls eine Vorreiter*innenrolle ein. Zum ersten Mal in der Geschichte des Freistaates gilt der Katastrophenfall nicht nur regional begrenzt, sondern für das gesamte Landesgebiet. Auch wenn die Süddeutsche Zeitung behauptet, dies sei„primär eine organisatorische Angelegenheit“ und damit „weniger spektakulär, als der Name vermuten lässt“, ist mit ihr der Ergreifung weiterer autoritärer Maßnahmen Tür und Tor geöffnet.

Im Kern bedeutet der Katastrophenfall, dass alle für den Katastrophenschutz zuständigen Organisationen und Behörden unter ein einheitliches Kommando gestellt werden. Dazu zählen nicht nur zivile, freiwillige Hilfsorganisationen wie die Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk (THW), sondern auch die Bundeswehr. In der Sprache der Behörden wird diese Zentralisierung „zivil-militärische Zusammenarbeit“ genannt. Dabei stellt sie eigentlich einen weiteren Schritt in Richtung innerer Militarisierung dar, indem der Einsatz der Bundeswehr auf den Straßen und zur Kontrolle der Bevölkerung dadurch legalisiert wird.

Natürlich müssen die medizinischen Kapazitäten der Bundeswehr der Versorgung von Betroffenen zur Verfügung stehen. Doch muss dies unter der Kontrolle von Arbeiter*innen und Spezialist*innen passieren und keinesfalls unter der Kontrolle des Militärs oder des Verteidigungsministeriums.

Das bayerische Katastrophenschutzgesetz ermöglicht der Katastrophenschutzbehörde, „von jeder Person die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen verlangen sowie die Inanspruchnahme von Sachen anordnen“ zu können. Im Grunde bedeutet das, Menschen zur Arbeit zwingen und Beschlagnahmungen durchführen zu können. Darüber hinaus können nach Artikel 19 des BayKSG elementare Grundrechte außer Kraft gesetzt werden: „Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit, die Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung können auf Grund dieses Gesetzes eingeschränkt werden.“

Wie weit die bayerische Regierung in den nächsten Wochen von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen wird, ist noch nicht abzusehen. In Mitterteich in der Oberpfalz gilt seit heute nachmittag schon die erste Ausgangssperre, weitere dürften folgen. Wie der Bayrische Rundfunk berichtet: „Die Ausgangssperre wird polizeilich überwacht. Es drohen bei Missachtung Geldstrafen und bis zu zwei Jahre Haft, hieß es in der Pressekonferenz weiter.“ Und auch darüber hinaus ist ein grundlegendes demokratisches Recht bereits ausgesetzt worden: Bayernweit sind sämtliche Veranstaltungen und Versammlungen untersagt, in anderen Bundesländern gibt es ähnliche Regelungen.

Ein Beispiel, wie ein solches Versammlungsverbot bereits unmittelbar Protest bändigt, ist die für den 17. April angekündigte Räumung der Kneipe Syndikat in Berlin-Neukölln. Während durch das auch in Berlin geltende Versammlungsverbot der Protest gegen die Räumung untersagt wird, soll die Räumung trotzdem durchgeführt werden. Das Betreiber*innenkollektiv hat indes angekündigt, die Mobilisierung zum 17. April bis zu einer Absage der Zwangsräumung aufrechtzuerhalten.

Auch in Hamburg wird der Virus als Vorwand genutzt, um Protest zu unterbinden: Das Protestzelt der selbstorganisierte Geflüchtetengruppe „Lampedusa Hamburg“ wurde am Montag von der Polizei geräumt. Wie wir bereits schrieben, erhöht dies sogar die gesundheitlichen Risiken: „Der Hamburger Senat treibt die Geflüchteten unter diesem augenscheinlichen Vorwand in die Obdachlosigkeit. Diese Isolation wird sie nicht vor einer Ansteckung schützen, sondern erhöht die Gefahr auf der Straße zu erkranken.“

Dass Versammlungen mit vielen  Menschen der Ausbreitung des Virus Vorschub leisten können, steht außer Frage. Aus epidemiologischer Sicht ist die Einschränkung zwischenmenschlicher Kontakte natürlich zweifelsohne dringend geboten. Gerade deshalb ist es auch tatsächlich sinnvoll, größere Menschenansammlungen zu vermeiden.

Doch wenn die aktuelle Krise dafür genutzt werden soll, Proteste zu verhindern oder unliebsame Maßnahmen autoritär und ohne Widerstand durchzusetzen, müssen wir uns trotzdem mobilisieren. Denn wenn wir gezwungen werden, auf die Straßen zu gehen, um uns und unsere Lebensbedingungen zu verteidigen, darf die Entscheidung, ob wir für unsere sozialen, demokratischen usw. Rechte kämpfen können oder nicht, nicht vom Staat und seinen Repressionsorganen getroffen werden. Deshalb müssen selbst bei Eingriffen in die Bewegungsfreiheit die Versammlungen von sozialen, gewerkschaftlichen usw. Organsationen weiterhin stattfinden dürfen, wenn diese Organisationen – beraten von Gesundheitsspezialist*innen – das für notwendig halten.

Wie die Trotzkistische Fraktion in ihrer Erklärung zur Coronakrise vom 14. März bereits formulierte:

Wir lehnen jede als Gesundheitspolitik getarnte Repressionsmaßnahme gegen die Massen und ihre (organisierten oder spontanen) Mobilisierungen ab. Nicht die Regierung sollte über die Durchführung einer Demonstration entscheiden, sondern die Organisationen im Kampf selbst, mit dem Rat von Gesundheitsexpert*innen und Forscher*innen.

Freilich ist es notwendig, drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Krise zu ergreifen. Jedoch wäre es ein großer Fehler, hierbei auf die staatlichen Repressivkräfte und Unternehmer*innen zu vertrauen. Die Auswege aus der Krise hängen maßgeblich davon ab, wer darüber entscheidet, wer sie durchsetzt und letztendlich überprüft. Wir sind dafür, dass dass zur Krisenbewältigung Beschlagnahmungen, Enteignungen etc. stattfinden. Wie wir an anderer Stelle gefordert haben:

Dazu braucht es eine Zentralisierung des gesamte Gesundheitssystems unter einen zentralisierten Gesamtplan – demokratisch kontrolliert von den Arbeiter*innen –, einschließlich der Labors, Privatkliniken der Produzent*innen von medizinischen Hilfsmitteln, Handschuhen, Desinfektionsmitteln etc., in der Perspektive ihrer vollständigen und entschädigungslosen Enteignung unter öffentlicher Verwaltung und demokratischer Kontrolle von Arbeiter*innen und Spezialist*innen. Dazu gehört auch die massenhafte Bereitstellung von Testkits, Intensivbetten mit Beatmungshilfen usw., um die gesamte Bevölkerung umfassend versorgen zu können, sowie die sofortige Organisation des gesamten notwendigen medizinischen und pflegerischen Personals (einschließlich Schulungen von Medizin- und Krankenpflegestudierenden).

Das gesamte Gesundheitssystem muss von Ausschüssen von Gesundheitspersonal und Patient*innen kontrolliert werden. Diejenigen Unternehmen, die weiterhin produzieren müssen müssen, um die Gesundheitskrise zu bewältigen und lebenswichtige Güter und Dienstleistungen – wie Transport, Energie, Supermärkte oder andere Dienstleistungen – bereitzustellen, müssen unter die Kontrolle von Gesundheits- und Sicherheitsausschüssen gestellt werden, die Schichten, Sicherheitsmaßnahmen und Neueinstellungen kontrollieren können. Volle Arbeits- und Gewerkschaftsrechte sind dabei zu gewährleisten.

Die Arbeiter*innen, die in Italien und im Spanischen Staat ihre Arbeit niedergelegt haben, um sich gegen die unzureichende Reaktion ihrer Bosse auf die Krise zu wehren, zeigen einen Weg auf, der eine tatsächliche Alternative sein kann. Es gilt, ihrem Beispiel zu folgen und uns auch gegen die drohende Militarisierung und jede autoritäre Krisenlösung zu wehren.

Wer könnte besser wissen, wie die Gesundheit der Beschäftigten nicht gefährdet wird, als sie selbst, die sich täglich in den Betrieben potenziell einer Infektion aussetzen? Wer wüsste besser, wie die Gesundheit der Patient*innen nicht gefährdet wird, als die, die sich täglich um sie kümmern müssen?

Um die Krise effektiv zu überwinden, wird es daher nötig sein, die Zweige der Wirtschaft, die für die Bewältigung der Gesundheitskrise und die Unterstützung des Lebens notwendig sind, unter die Kontrolle ihrer Arbeiter*innen zu stellen. Verkürzte Arbeitszeit unter vollem Lohnausgleich und gesunden und sicheren Bedingungen, sowie die notwendigen Dienstleistungen und Versorgung der Bevölkerung könnten somit garantiert werden.

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