Corona-Virus: Wir brauchen keine Sonderbehandlung für Konzerne, sondern ein Notfallprogramm für Kranke, Arme, Alte und Arbeiter*innen!

13.03.2020, Lesezeit 9 Min.
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Mit Covid-19 gerät das marode Gesundheitssystem an seine Grenzen. An den Börsen kommt es zu Kurseinbrüchen. Die Regierung reagiert mit Kurzarbeit, Finanzspritzen für Konzerne und fordert eine Absage von Streiks und Demonstrationen. Wir stellen uns gegen jede Einschränkung der demokratischen Rechte und fordern ein Notfallprogramm zum Schutze der Massen, finanziert durch Konzern- und Vermögenssteuern und Verstaatlichungen im Gesundheitssektor. Erklärung der Revolutionären Internationalistischen Organisation.

In den letzten Tagen ist die Zahl derer, die sich mit dem Corona-Virus angesteckt haben, sprunghaft gestiegen. Die Bundesregierung versucht Zeit zu gewinnen, damit die medizinische Versorgung nicht schlagartig zusammenbricht, indem sie Großveranstaltungen absagt und Verhaltenshinweise herausgibt. Dabei hat sie das Gesundheitssystem mit der Politik der Einsparungen und Privatisierungen in den letzten Jahren systematisch an seine Belastungsgrenzen gebracht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel rechnet damit, dass sich zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung mit dem Corona-Virus infizieren werden. In Deutschland kommen auf 1.000 Einwohner*innen im Schnitt 8,3 Krankenhausbetten. Damit ist die Lage zwar nicht ganz so dramatisch wie in Italien mit 3,4 Betten pro 1.000 Einwohner*innen. Dennoch könnten Hunderttausenden oder gar Millionen von Menschen keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Behandlung bekommen. Schon jetzt sind Notaufnahmen in vielen Krankenhäusern überlastet, es fehlt überall Pflegepersonal, in vielen Stationen fehlen Desinfektionsmittel, Mundschutzmasken und Ähnliches.

Im italienischen Bergamo erklärte ein Arzt: „Wenn jemand zwischen 80 und 95 Jahre alt ist und große Atemprobleme hat, führen wir in der Regel die Behandlung nicht fort.“ Die völlige Überlastung im italienischen Gesundheitssystem ist ein Grund für die hohe Sterblichkeitsrate von über 6 Prozent der Infizierten.

Währenddessen haben Quarantäne-Maßnahmen und Reiseeinschränkungen die Wirtschaft einbrechen lassen. Der Ölpreis brach nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen der OPEC und Russland ein und die Aktienkurse stürzten in den letzten Tagen in den Keller. In vielen Branchen wie dem Tourismus und dem produzierenden Gewerbe sind die Aufträge stark zurückgegangen. Die Lufthansa streicht die Hälfte ihrer Flüge. Autozulieferern geht der Nachschub aus, weil wichtige Bauteile aus China nicht geliefert werden. Das Stocken ganzer Lieferketten könnte eine größere Wirtschaftskrise auslösen inklusive Fabrikschließungen und Massenentlassungen. Die tiefere Ursache dahinter ist die Krise von 2008/09, die nie gelöst wurde, sondern mittels Spekulationsblasen in die Zukunft verschoben wurde.

Wie damals versucht die Regierung, die Kapitaleigner zu stützen: Mit Bezug auf Corona stoppte Angela Merkel ein Gesetzesvorhaben, das die Einhaltung von Mindeststandards bei Lieferketten im Ausland vorsieht. Dies könne den Konzernen in der wirtschaftlich schwierigen Lage nicht zugemutet werden. Stattdessen erhalten sie Fördermittel: Die EU hat bereits 25 Milliarden Euro an Subventionen für Unternehmen in Aussicht gestellt. Bundeswirtschaftsminister Altmaier kündigte sogar unbegrenzte Kredite für Unternehmen an.

Von der Bundesregierung werden voraussichtlich weitere Konjunkturmaßnahmen folgen, so wie mit der Lockerung der Regeln für Kurzarbeit. Von nun an können Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen freistellen oder kürzer arbeiten lassen, sofern mindestens 10 Prozent der Arbeiter*innen nicht genug zu tun haben. Das Gehalt wird bis zu 67 Prozent von der Bundesagentur für Arbeit übernommen. Auch die Sozialbeiträge für Arbeitgeber übernimmt der Staat. Eine Entlastung für Unternehmen, die voraussichtlich in zweistellige Milliardenhöhe geht – Gelder, die in den kommenden Haushalten in der öffentlichen Daseinsversorgung und dem Sozialsystem eingespart werden. Und Gesundheitsminister Spahn hat mit Blick auf Corona sogar die Mindestbesetzungsstandards für Krankenhausstationen ausgesetzt – die Krise des Gesundheitssystems soll also noch mehr auf den Rücken der Beschäftigten und der Patient*innen ausgetragen werden.

Während die Unternehmen so flexibel bleiben und mit Milliarden gerettet werden, bleiben Notfallmaßnahmen zur tatsächlichen Verbesserung der Versorgung des Gesundheitssystems oder soziale Programme aus. Insbesondere für Beschäftigte ohne feste Arbeitsverträge, Leiharbeiter*innen oder illegalisierte Arbeiter*innen gibt es kaum wirtschaftliche Absicherung. Die Unsicherheit betrifft auch Eltern: Durch die Schließung von Kindertagesstätten und Schulen ist keine Kinderbetreuung mehr gewährleistet, während die meisten Beschäftigten weiter zur Arbeit gehen müssen. Darunter werden besonders alleinerziehende Eltern leiden: Entweder sie müssen unbezahlten Urlaub nehmen, oder sie müssen privat jemand für die Kinderbetreuung organisieren.

Derweil greift die Regierung auch in Grundrechte ein: In Sachsen ist bereits auf unbestimmte Zeit ein Verbot von Veranstaltungen von über 1.000 Personen in Kraft, was Sport- und Kulturevents betrifft, aber auch Streiks und Demonstrationen. In Bayern sind mittlerweile Veranstaltungen ab 101 Personen verboten. Wenn es in den kommenden Wochen und Monaten zu Entlassungen und Angriffen auf die Lebensstandards der Arbeiter*innen kommt, will die Regierung sie daran hindern, sich mit Arbeitsniederlegungen zu wehren.

Die Bourgeoisie will die Armen und Arbeiter*innen für die Krise zahlen lassen, ohne dass sie in der Lage wäre, die Kranken und Alten vor Covid-19 zu schützen. Die Gewerkschaften dürfen keinen Burgfrieden mit den Arbeitgeberverbänden und der Regierung schließen, indem sie auf Streiks verzichten und ihre Forderungen hinten anstellen. Im Gegenteil müssen sie diejenigen sein, die die Interessen der Beschäftigten und der großen Mehrheit der Bevölkerung verteidigen: Wie absurd und gesundheitsgefährdend für die Beschäftigten ist es, dass Großunternehmen weiterhin produzieren lassen, obwohl ihre Produkte nicht lebensnotwendig sind, während Freizeitveranstaltungen aller Art abgesagt zur Gesundheitsvorsorge werden?

Die Regierung und die Bosse wollen die Verantwortung auf unser individuelles Verhalten abwälzen; doch auch wenn alle Menschen die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen und ihre Nachbar*innen und ihre Nächsten solidarisch unterstützen müssen, dürfen wir nicht zulassen, dass die Kosten dieser Krise – und all ihrer Folgen, denn das Coronavirus ist zwar ein Auslöser, aber die strukturelle Krise dahinter wird möglicherweise zu einer erneuten Krise wie 2008/9 führen – auf uns abgewälzt werden. Im Gegenteil: Die Kapitalist*innen müssen die Krise zahlen!

Die Arbeiter*innen in Italien zeigen mit spontanen Streiks, dass sie nicht willens sind, für die Profite der Bosse ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Wir wollen ihre Streiks als Inspiration nehmen, um für ein Notfallprogramm zu kämpfen, dass die Banken und Konzerne zahlen lässt:

  1. Für ein Programm gesundheitlicher Sofortmaßnahmen!

Um eine ausreichende und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für alle zu gewährleisten, müssen sofort zusätzliche Millionen Euro für das Gesundheitssystem bereit gestellt werden, um einen kostenlosen Zugang zu ausreichend Tests und sämtlicher medizinischer Versorgung für alle – egal ob sie gesetzlich, privat oder gar nicht versichert sind, egal ob sie gültige Papiere haben oder illegalisiert sind, egal ob sie ein Dach über dem Kopf haben oder obdachlos sind – sicherzustellen, inklusive Desinfektionsmittel, Mundschutzmasken etc, für alle, die dies brauchen. Für diejenigen, die in Quarantäne gehen müssen, muss diese in den bestmöglichen Bedingungen stattfinden. Weg mit dem 2-Klassen-Gesundheitssystem! Die in den vergangenen Jahren zurückgeschraubten Kapazitäten an Krankenhausbetten und Personal müssen sofort und bei guter Bezahlung wieder augestockt werden. Wir brauchen sofort hunderttausende neue Stellen im Gesundheitssystem! Das Fallpauschalensystem muss abgeschafft werden. Sofortige Umschulungen von Arbeitslosen/Gekündigten zu medizinischem Hilfspersonal! Sofortige Beschlagnahmung großer Hotelkomplexe mit entsprechenden Umbauten, um mehr Betten für den worst case vorzubereiten! Privatisierung, Outsourcing und Befristung im Gesundheitswesen müssen sofort beendet werden, und alle privaten Krankenhäuser, private medizinische Forschungseinrichtungen und Pharmakonzerne müssen unter Kontrolle der Beschäftigten enteignet und verstaatlicht werden. Unsere Leben sind mehr wert als ihre Profite!

  1. Keine Nachteile für Arbeiter*innen. Die Firmen müssen zahlen!

Durch Erkrankungen, Betriebspausen oder durch die Pflege von Kranken, Alten, Kindern und sonstigen Angehörigen dürfen keinerlei Nachteile für die Arbeiter*innen entstehen. Weiterzahlung des vollen Lohns ohne Arbeitspflicht für alle von Ansteckungsgefahr bedrohten Arbeiter*innen und alle, die sich um sie kümmern müssen. Zugleich sind wir gegen das Modell der Kurzarbeit, bei dem die Allgemeinheit mit Steuergeldern die Profite der Unternehmen subventioniert. Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, bezahlt durch die Kapitalist*innen selbst! Für ein Programm staatlicher Arbeitsverteilung, bei dem Personen aus Nicht-Risikogruppen für die gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten eingesetzt werden, und bis zum Ende der Pandemie Stopp der Arbeit in allen Branchen außer in notwendigen Bereichen wie Infrastruktur, Reinigung, Kinderbetreuung, Lebensmittelproduktion und öffentlicher Versorgung. Entlassungen während der Zeitdauer der Pandemie müssen verboten werden. Betriebe, die entlassen, müssen entschädigungslos enteignet werden.

  1. Verteidigen wir die grundlegenden demokratischen Rechte der Arbeiter*innenklasse und der Massen!

Unter dem Deckmantel der Pandemie haben kapitalistische Regierungen begonnen, elementare demokratische Freiheiten zu beschränken. Gegen jede Einschränkung des Streiks- und Versammlungsrechts! Gegen jede innere Militarisierung! Zugleich wird rassistische Hetze geschürt und es kommt vermehrt zu Angriffen auf nicht-weiße Menschen, während gleichzeitig Geflüchtete weiterhin in Massenunterkünften, wo sie besonders gefährdet sind, untergebracht werden. Schluss mit der Masseninhaftierung von Migrant*innen und Geflüchteten! Das Lagersystem muss sofort beendet werden!

  1. Gewerkschaften und Arbeiter*innenorganisationen müssen die Führung im Kampf gegen die Gesundheitskrise übernehmen!

Gegen jede “Burgfriedenspolitik”, bei der die Gewerkschaftsspitzeen aus vorauseilendem Gehorsam die Profite der Kapitalist*innen retten, auf Streikmaßnahmen verzichten und jetzt schon Zugeständnisse an zukünftige Forderungen machen, muss die Basis der Gewerkschaften dafür kämpfen, dass die Gewerkschaften und Arbeiter*innenorganisationen den Notfallplan organisieren und kontrollieren. Sie müssen die Verstaatlichung des Gesundheitssystems kontrollieren und sie in eine “Schule der Planwirtschaft”, bezahlt aus außerordentlichen Steuern auf die großen Reichtümer und die großen Unternehmen, verwandeln. Unsere Leben sind mehr wert als ihre Profite!

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