Care-Debatte: Wer kümmert sich um die Revolution?

19.03.2015, Lesezeit 5 Min.
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// von Johanna Lang // aus dem Flugblatt Brot und Rosen Nr. 4 // PDF //

Wir stecken mitten in einer Care-Krise und in jeder Krise liegt das Potential für eine Revolution. Also Care-Revolution, und zwar möglichst schnell. Alles klar? Oder irgendwie nicht so ganz?

„Care“ ist Englisch und lässt sich mit „kümmern“ oder „sorgen“ übersetzen. Mit Care-Arbeit sind Tätigkeiten gemeint, bei denen sich jemand um sich selbst oder um andere kümmert: um Kinder, Schwangere und alte Menschen, um Menschen, die in unserer Gesellschaft behindert werden, um das Essen, die Wäsche und emotionale Bedürfnisse. Auch selbst ein Kind kriegen und versorgen gehört dazu.

Es erscheint vielen falsch, diese Tätigkeiten als Arbeit zu bezeichnen, besonders wenn sie unbezahlt in der eigenen Familie passieren. Aber Fakt ist: Sie müssen von irgendjemandem übernommen werden. Deswegen ist es egal, ob es erfüllend ist, sich um das Kind und die Wäsche zu kümmern – es ist Arbeit. Auf diese Tatsache will der Begriff „Care“ hinweisen und dabei bezahlte und unbezahlte Care-Arbeiter*innen unter einem Begriff vereinen. In der Realität ist Care immer noch größtenteils eine Frauenangelegenheit. Im bezahlten Care-Sektor arbeiten überwiegend Frauen und darüber hinaus machen sie zusätzlich zur Lohnarbeit weiterhin unbezahlt die Hauptarbeit im Haushalt, bei der Kinder­erziehung und der Altenpflege.

Hinter dem Begriff „Care“ verbirgt sich nicht nur eine Geschlechter­frage, sondern auch eine soziale Frage. Es gibt Frauen, die es sich leisten können, andere Frauen für das Putzen oder die Kinderbetreuung zu bezahlen. Oft kommen die arbeitenden Frauen aus anderen Ländern und es sind noch ärmere Frauen oder weibliche Verwandte, die im Herkunftsland die Care-Arbeit dieser Frauen übernehmen, das nennt sich dann Care-Chain („Kümmer-Kette“).

Die Veränderungen in Gesellschaft und Arbeitsleben führen dazu, dass es immer schwieriger wird, Care-Arbeit für alle sicher zu stellen. Im Arbeits­leben wird mehr Flexibilität gefordert und Beziehungen sowie Formen des Zusammenlebens verändern sich. Gleichzeitig kürzt der Staat die Mittel für Institutionen, die sich mitkümmern, wie Kindergärten, Pflege­heime und Krankenhäuser. Das trifft sowohl die Menschen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten als auch die Menschen, die bezahlte Care-Arbeit leisten. Die einen werden nicht mehr durch das staatliche Angebot entlastet, die anderen verlieren ihren Arbeitsplatz oder müssen zu schlechteren Bedingungen arbeiten, wenn es zu einer Privatisierung und damit Profit­orientierung kommt.

Dieser Care-Krise soll eine Care-Revolution entgegen gesetzt werden. So fordert es ein Netzwerk, bestehend aus Wissenschaftler*innen, Organisationen und Einzelpersonen. Die Care-Revolution soll eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung erreichen. Ins Positive gewendet heißt das: eine Gesellschaft, in der Care-Arbeit gerecht verteilt ist und nicht auf Grundlage ökonomischer Machtverhältnisse und sexistischer oder rassistischer Ideologien. Statt Profitmaximierung sollen die Interessen aller Menschen im Mittelpunkt stehen und die Befriedigung von Bedürfnissen demokratisch organisiert werden.

Das Gute ist, dass Care eigentlich alle Menschen betrifft – natürlich eine gute Voraussetzung für eine Revolution. Das ist aber auch ein Nachteil des Begriffs. Wenn man sagt, dass Care alle betrifft, dann bleibt unsichtbar, dass es sich nach wie vor um eine Geschlechterfrage und eine soziale Frage handelt. Es wird auch nicht deutlich, dass es eine grundlegend andere Ausgangssituation für den Kampf ist, ob ein*e Care-Arbeiter*in die Arbeit unbezahlt in der Familie oder bezahlt als Lohnarbeit leistet und dass es z.B. zwischen Mutter und Babysitterin Interessens­konflikte gibt.

Zwar hat das Netzwerk konkrete Forderungen auf dem Weg zur Revolution formuliert, zum Beispiel Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, aber es wird (noch) nicht deutlich, wie diese erkämpft werden sollen. Alleine um diese Forderung durchzusetzen, braucht es konkrete Kämpfe, die irgendwie organisiert werden müssen und vor allem: die irgendjemand führen muss. Bisher ist das Care-Bündnis hauptsächlich bei den letzten Blockupy-Protesten während der Blockade­aktionen auf der Einkaufsmeile in Erscheinung getreten.

Wenn es bei symbolischer „Störung des kapitalistischen Normalbetriebs“ bleibt, wird es aber kaum für die Vorbereitung einer Revolution reichen. Da schadet ein Blick in die Geschichte nicht: Die sozialistische Arbeiter*innen- und Frauenbewegung hat schon verdammt viele Erfahrungen zum Thema Care gesammelt, auch wenn sie sich nicht als Care-Revolutionär*innen verstanden haben, sondern eher als klassenkämpferische, internationalistische Feminist*innen. Das ist zwar deutlich länger, aber es macht klar, wer (lohnabhängige Feminist*innen im Bündnis mit dem Proletariat) wo und wie (überall auf der Welt, mit Mitteln des Klassenkampfs in einer Organisation) und gegen wen (Kapitalist*innen, Rassist*innen, Sexist*innen) kämpft. Um den Kapitalismus zu stürzen und gutes „Kümmern“ für alle sicherzustellen, braucht es eine klare Klassenperspektive.

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