Brauchen Gewerkschaften Statist*innen?

06.11.2015, Lesezeit 4 Min.
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// Die GEW ist nicht der erste Verband, der Kompars*innen für ihre Protestaktionen anstellt. Aber ist das sinnvoll? Ein Kommentar. //

„Furchtbar“ sei der Ganzkörperanzug, „man kann nicht atmen und es drückt gegen die Nase.“ Marine Kervizic steckt in einem roten Kostüm, das auch ihr Gesicht bedeckt. „Befristet“ steht darauf. 45 Menschen tragen das gleiche Outfit auf einer Demonstration von der Humboldt-Universität zum Brandenburger Tor. Fünf unter ihnen haben den gleichen Anzug in grün, bei ihnen steht „Unbefristet“. Mit der Aktion wollen sie die Arbeitsverhältnisse unter den Beschäftigten an der Universität veranschaulichen: Nur einer von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen hat einen unbefristeten Vertrag.

Mit diesem bunten PR-Event begann die Aktionswoche der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gegen prekäre Beschäftigung an den Universitäten.

Als Reporter*in will man wissen: Wie ist es für eine*n Gewerkschaftsaktivist*in, sich so komisch verkleiden? Aber Kervizic antwortet, dass sie nicht an der Uni arbeitet und auch nicht in der Gewerkschaft ist. Sie arbeitet bei einer Kompars*innen-Agentur und tritt normalerweise im Hintergrund von Filmen auf.

„Eher ungewöhnlich“ ist ein politischer Auftritt, ergänzt ein Kollege. 70 Euro bekommen sie für einen vierstündigen Auftritt mit Trommeln, Protestschildern und Flyern. „Kein richtiger Job“ sei das – selbstverständlich ohne Jobsicherheit. Man bekommt einen solchen Auftritt alle paar Wochen.

Prekarisierung betrifft also doch alle.

Unter den roten und grünen Menschen sind nicht nur Statist*innen, sondern auch Betroffene. Das genaue Verhältnis zwischen bezahlten und unbezahlten Protestierer*innen lässt sich wegen der Kostüme wiederum nicht einschätzen. Aber der GEW-Vorstand bestätigt, dass die Gruppe „gemischt“ war.

Eins steht leider fest: Mit einem gewerkschaftlichen Kampf hat diese Aktionswoche wenig zu tun. Die GEW greift nicht auf die Kampfmittel der Arbeiter*innenbewegung – nämlich Streiks – zurück, sondern auf die Aktionsformen von NGOs: Professionell inszenierte Events für die Presse und aufwendig recherchierte Lobbyarbeit für die Politiker*innen.

„Ein Arbeitskampf wäre rechtswidrig“ erklärt Andreas Keller vom GEW-Vorstand auf einer Pressekonferenz. Im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) gibt es eine „Tarifsperre“, die Tarifverhandlungen und damit auch Streiks in Bezug auf Befristung an den Hochschulen verbieten. Deswegen sei man zu den Aktionsformen gezwungen.

Doch ein Streikrecht haben Lohnabhängige nur, wenn sie es sich nehmen. Warum sollten die Herrschenden freiwillig das Streikrecht ausweiten, wenn sie nicht unter Druck gesetzt werden? Und wie will man Druck aufbauen, ohne zu streiken? Der Legalismus der Gewerkschaftsführung führt in einen Teufelskreis – obwohl es immer Möglichkeiten gibt, einen Arbeitskampf trotz des restriktiven Streikrechts der BRD juristisch zu begründen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte Ende 2006 Aufsehen erregt, als sie für eine Protestaktion vor dem Reichstag 170 Statist*innen mit weissen Kitteln aufmarschieren ließ. Seit damals schienen Gewerkschaften von dieser Protestform Abstand genommen zu haben.

Und zu Recht!

Denn in den deutschen Gewerkschaften lässt sich Outsourcing überall beobachten: Die Kantine in der ver.di-Zentrale wird vom Billiganbieter Sodexho betrieben, Bildungsstätten werden ausgelagert, Kampagnen werden von PR-Firmen entwickelt. Aber mit Hilfe von Statist*innen werden auch noch die Mitglieder outgesourct!

Damit erreicht die Gewerkschaft einen Gipfel der „NGOisierung“: Man versteht sich nicht als lebendige Organisation von aktiven Arbeiter*innen, sondern als einen Apparat, der von den Mitgliedern Beiträge kassiert und stellvertretend für diese Lobbyarbeit betreibt.

Greenpeace lässt grüßen!

Statt Statist*innen brauchen wir eine aktive Organisation der Arbeiter*innen. Die Gewerkschaftsmitglieder müssen selbst entscheiden, welche Forderungen sie erheben und mit welchen Mitteln sie dafür kämpfen. Da können schon Zweifel aufkommen, ob sie sich für Ganzkörperanzüge entscheiden würden.

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