Berlin: 5.000 LehrerInnen beim Warnstreik

20.02.2013, Lesezeit 5 Min.
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Montag, 7.30 Uhr. Vor dem John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte. Während ermüdete SchülerInnen zur ersten Stunde stolpern, verteilen AktivistInnen von der SchülerInnenzeitung „Red Brain“ ein Flugblatt: „Solidarität mit den Streiks der LehrerInnen!“ Von den 62 LehrerInnen an der Schule sind die 15, die angestellt und nicht verbeamtet sind, zum ganztägigen Warnstreik aufgerufen. Ein Schüler hängt Plakate mit der Aufforderung auf, den Unterricht zu boykottieren, wenn ein/e streikende/r angestellte/r Lehrer/in durch eine/n Beamtin/en vertreten wird. „Wir wollen keinen Unterricht von StreikbrecherInnen!“ Später erzählt er: „Ich habe noch nie erlebt, dass Plakate so schnell entfernt worden sind.“ In der Pause um 9.30 Uhr versammeln sich schließlich sieben der 15 angestellten LehrerInnen und brechen zur Demonstration auf.

Die gleiche Szene wiederholt sich an diesem Morgen über 100 Mal in ganz Berlin. Denn mehr als 5.000 angestellte LehrerInnen und ErzieherInnen haben die Arbeit niedergelegt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte zum Warnstreik aufgerufen, als Auftakt einer bundesweiten Streikwelle im Rahmen der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). 8000 angestellte LehrerInnen sowie 4.000 ErzieherInnen und SozialpädagogInnen gibt es in der Hauptstadt, und unter ihnen war die Streikbereitschaft hoch. Ihre Demonstration durch Mitte führte zum Bahnhof Friedrichstraße, wo das Büro der Tarifgemeinschaft der Länder steht. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ war auf zahlreichen selbst gemachten Transparenten zu lesen.

„Ab nach NRW!“ und „Ab nach Hamburg!“ steht auf Schildern, die junge Lehrerinnen aus Neukölln am Rücken tragen. Bekannte, mit denen sie studiert hat, verdienen in fast jedem anderen Bundesland mehr Geld für weniger Arbeit, sagt Ina Schenk (29), Deutsch- und Geschichtslehrerin am Albrecht-Dürer-Gymnasium. Sie will keine Verbeamtung, aber sie will schon die gleiche Bezahlung wie ihre KollegInnen: „Wir haben bei uns eine Dreiklassengesellschaft“, sagt sie zu den großen Gehaltsunterschieden zwischen jungen und alten, zwischen angestellten und verbeamteten LehrerInnen im Kollegium. Bereits 2009 während des Studiums hatte sie an Bildungsstreiks teilgenommen. Statt der weißen Streiktüte der GEW trägt sie einen blauen Müllsack: „Weil wir wie Müll behandelt werden.“

Doreen Hansen ist auf der linken Gesichtshälfte als Zombie geschminkt. „Wir sind halbtot gearbeitet“, muss sie ihr Kostüm kurz erklären. Sie macht eine Ausbildung zur Erzieherin am Jane-Addams-Oberstufenzentrum in Friedrichshain. „Die eine Hälfte der Lehrer streikt heute, die andere Hälfte ist krank.“  Wegen des Unterrichtsausfalls sind einige Auszubildende zum Warnstreik mitgekommen.

Von der Kurt-Tucholsky-Oberschule in Pankow sind über 50 SchülerInnen gekommen. „Das könnte ein neuer Anfang für die Bildungsstreikbewegung sein“, sagt Fabian Wolf, der einen Bundesfreiwilligendienst an der Schule macht und den „Klassenausflug“ organisierte. „Es ist gut, dass die GEW etwas kämpferischer auftritt.“ Davor hatte die GesamtschülerInnenvertretung ihre Unterstützung für die Warnstreiks erklärt. Katarina (12) musste die Erlaubnis ihrer Eltern einholen. Die „finden es gut, wenn Schüler sich für die Lehrer einsetzen“, sagt sie. Leider haben andere Eltern ihre Kinder gezwungen, am Unterricht teilzunehmen – teilweise auch bei StreikbrecherInnen. Um 9.30 Uhr organisierten die SchülerInnen in der Hofpause eine Kundgebung, bevor sie mit ihren Lehrern ins Stadtzentrum fuhren. „Als wir Schulstreiks gemacht haben, haben die Lehrer das auch immer entschuldigt“, sagt Fred (16).

Auf der Abschlusskundgebung kündigt ein Reder an: „Jetzt kommt eine Gruppe von Leuten mit noch schlimmeren Bedingungen, als ihr sie habt.“ Auf die Bühne kommt ein Vertreter der prekarisierten Lehrer im sogenannten „Personalkostenbudgetierungs“-System (PKB). „PKB bedeutet die systematische Unterversorgung der Schulen mit Lehrkräften“, ruft der junge ausländische Lehrer ins Mikrofon. „Wir brauchen reguläre Stellen!“ Die derzeit rund 700 PKB-LehrerInnen in Berlin bekommen nur befristete Verträge und werden in den Ferien nicht bezahlt. Die GEW organisiert am 5. März ein erstes Vernetzungstreffen für diese prekär beschäftigte Gruppe. Diese Initiative wird es nicht einfach haben, denn aufgrund der unsicheren Arbeitsverhältnisse sind sehr wenige PKB-LehrerInnen zum Warnstreik gekommen. „Viele Kollegen mit unbefristeten Stellen können sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, einen Job nur für die nächsten zwei Monate zu haben“, sagt Christoph Wälz, ein Pankower Lehrer von der Jungen GEW, der sich für die Prekarisierten einsetzt. Eine Streikende nimmt einen Stapel seiner Infoflyer mit: „Wir haben auch ein paar PKBler bei uns“, erklärt sie.

In der Tarifrunde fordern die Gewerkschaften 6,5% mehr Lohn und eine einheitliche Regelung der Gehaltsgruppen für die 200.000 angestellten LehrerInnen bundesweit. Weitere Streiks sind im Rahmen der Tarifrunde möglich. Dabei gibt es verschiedene Versuche, die Forderungen der GEW zu erweitern – neben der Initiative zur Organisierung der PKB-LehrerInnen gab es auch ein Flugblatt gegen Prekarisierung, das von LehrerInnen eines Gymnasiums verteilt wurde. Für den 8. März lädt die Initiative „Bildet Berlin!“ zu einem „Protest-Festival“ am Brandenburger Tor, um gerechtere Löhne, geringere Arbeitszeiten und eine höhere Personalausstattung zu fordern.

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