Befristungen zurückschlagen!

02.05.2015, Lesezeit 5 Min.
1

// AMAZON: Während der Kampf um den Tarifvertrag weitergeht, wehren sich fünf mutige Betriebsratsmitglieder gerichtlich gegen Befristungen. //

Für multinationale Konzerne wie Amazon ist Deutschland in vielerlei Hinsicht ein El Dorado: ein riesiger Binnenmarkt, Subventionen en masse, und durch Hartz-IV-Schikane und Jobcenter-Erpressung gefügig gemachte – und noch dazu billige – Arbeitskräfte. Die Regierung Schröder/Fischer hat mit der Agenda 2010 ein neues deutsches Akkumulationsmodell geschaffen: beruhend auf Befristung, Leiharbeit, drakonischen Sanktionen für Jobcenter-„KundInnen“, und das alles im Herzen der hochtechnisierten deutschen Wirtschaft.

Für die lohnabhängige Klasse hingegen bedeutete die Agenda 2010 einen in der Nachkriegszeit beispiellosen Zerfall ihrer Lebensbedingungen. Verbunden mit der Kapitulation der Gewerkschaftsführungen vor der Agenda 2010 erwuchs daraus ein Einbruch des gewerkschaftlichen Organisationsgrads. Eine neue Generation prekär Beschäftigter entstand, die nicht nur nichts anderes kannte als Befristung, Leiharbeit und Hungerlöhne, sondern die auch noch nie einen Arbeitskampf, geschweige denn einen Sieg, miterlebt hatte.

Eine neue Generation

Also wirklich alles goldig für Amazon und Co.? Nicht ganz. Denn in den letzten Jahren rütteln immer mehr prekär beschäftigte KollegInnen an den Grundfesten dieses Akkumulations- und Ausbeutungsmodells. Oft ohne vorherige Kampferfahrung, mit niedrigen Organisationsgraden und ohne den Rückhalt fester Arbeitsverhältnisse sind sie dabei häufig mit UnternehmerInnen konfrontiert, die auf die maximale Abpressung des Mehrwerts bauen und dabei jegliches Hindernis – wie gewerkschaftliche Organisierung im Betrieb – aus dem Weg räumen wollen. Doch nichtsdestotrotz sagen immer mehr prekär Beschäftigte: „Es reicht!“. Diesen Mut, diese Klassenmoral kann man gar nicht überschätzen.

Besonders die radikale Linke in Deutschland, die lange schon die Vorstellung der ArbeiterInnenklasse als Subjekt des Kampfes aufgegeben hat, muss es nun begreifen: Vor unseren Augen entsteht eine neue Generation von KämpferInnen – anfänglich, mit vielen Grenzen und ohne viel Erfahrung, doch mit Mut und Entschlossenheit. Die Gewerkschaftsapparate sind dabei häufig eher Hindernis als Hilfe im Kampf. Umso notwendiger, dass RevolutionärInnen Perspektiven von Koordinierung und Selbstorganisation in diese Auseinandersetzungen hineintragen.

Eine neue Stufe

Besonders ausdauernd kämpfen die Beschäftigten von Amazon. Seit nunmehr zwei Jahren kämpfen sie für einen Tarifvertrag, der bessere Löhne, mehr Urlaub, mehr Weihnachtsgeld und ein Ende von Befristung und grenzenloser Überwachung bedeuten würde. Zu Ostern schlugen die Amazon-KollegInnen ein neues Kapitel in ihrer Streikgeschichte auf: Nicht nur streikten sie erstmals in Leipzig und Bad Hersfeld aus dem laufenden Betrieb heraus (also ohne vorherige Ankündigung), sondern sie streikten auch gemeinsam mit ihren KollegInnen der Deutschen Post/DHL.

Der Kampf der Amazon-KollegInnen braucht diese neue Stufe der Koordination und Verbindung mit anderen ArbeiterInnen. Das Signal wäre klar: Gemeinsam lassen sich Befristung, Leiharbeit und Hungerlöhne zurückschlagen. Die Forderung nach einem Tarifvertrag bei Amazon ist deshalb nicht einfach so eine ökonomische Forderung, sondern ein Grundstein zur Veränderung der Kräfteverhältnisse der Klassen im imperialistischen Zentrum.

Für Entfristung kämpfen!

Während die Amazon-Beschäftigten an sechs Standorten für einen Tarifvertrag kämpfen, ist der Organisationsgrad am Standort Brieselang bei Berlin noch zu niedrig für einen Streik. Das heißt aber nicht, dass die dortigen KollegInnen sich kampflos dem Willen der Geschäftsführung beugen. Im Gegenteil: Sie versuchen auf ihre Weise, an den Kräfteverhältnissen zu drehen. Gemeinsam mit dem Berliner Solidaritätskreis für die Beschäftigten bei Amazon organisieren sie seit Monaten eine Kampagne gegen Befristung, dem gravierendsten Problem und Hindernis für gewerkschaftliche Organisierung in Brieselang.

Schon im Dezember, kurz vor Neujahr, hatte die Geschäftsführung mehr als 900 befristete Verträge nicht verlängert. Im Januar folgte dann das Ende des Arbeitsvertrags für weitere 45 KollegInnen. Unter ihnen sind auch fünf Betriebsratsmitglieder, die sich dagegen vor dem Arbeitsgericht wehren. Die nächsten Gerichtstermine stehen am 28. Mai und 24. Juni an. Dort wollen die Beschäftigten gemeinsam mit dem Solidaritätskreis wie schon zuvor lautstark sagen: Es reicht! Entfristung jetzt! Dabei wollen sie auch für die mehr als 200 KollegInnen kämpfen, deren Verträge bis zum 30. Juni befristet sind.

Eine massive Kampagne gegen Befristung bei Amazon, unterstützt von der hauptstädtischen Linken und von gewerkschaftlichen Basisorganisationen, wäre ein großer Schritt zur Verbreiterung der Streikfront. Denn ein Sieg vor dem Arbeitsgericht, verbunden mit einer Bewegung im Betrieb, die sich gegen die skandalöse Befristungspraxis stellt, könnte den Boden dafür bereiten, dass auch Brieselang bald in den Streik tritt. Gemeinsam müssen wir dem Modell Amazon den Kampf ansagen!

Mehr zum Thema