Aufstand der MetallarbeiterInnen

21.05.2015, Lesezeit 7 Min.
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// TÜRKEI: Immer mehr Fabriken im türkischen Metallsektor treten in den Streik. Besonders der derzeitige Streik in der Renault-Fabrik in Bursa wirft die Frage auf, welche Gewerkschaft kämpferische ArbeiterInnen brauchen und wie sie in Streiksituationen agieren müssen. //

Es begann mit dem Arbeitskampf bei Bosch: Seit Jahren führen die ArbeiterInnen einen Kampf für Lohnerhöhungen und verdienen inzwischen zwei Lira pro Stunde mehr als im Rest des Metallsektors. Das Beispiel macht aktuell Schule: Mit der Forderung, dass die Löhne wie bei Bosch erhöht werden müssen, begannen vor Kurzem auch die ArbeiterInnen bei Renault in der türkischen Stadt Bursa einen unerbittlichen Arbeitskampf. Die gleiche Forderung wird auch in vielen anderen Metallbetrieben gestellt.

Bisher wurden jedoch all diese Initiativen in Zusammenarbeit von Regierung, Unternehmen und Gewerkschaftsbürokratie gemeinsam erstickt: Bei Renault wurde die Lohnerhöhung vom Unternehmen und der Metallgewerkschaft „Türk Metal İş“ mit der Begründung abgelehnt, dass es außerhalb eines Tarifvertrages keine Lohnerhöhung geben könne. „Türk Metal İş“ sieht sich dem Unternehmen eng verpflichtet und unterdrückt jegliche Opposition mit Gewalt, während die Verhandlungen um Tarifverträge zwischen Gewerkschaft und Unternehmen schnell über die Bühne gebracht werden. Die Regierung der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) ihrerseits gab deutlich kund, dass sie wie bisher den Mindestlohn niedrig halten wird, und verbot außerdem den Metallerstreik im Januar dieses Jahres.

Der Widerstand gegen diese repressive Politik im Metallsektor nahm im Verlauf der letzten Woche an Fahrt auf. Zuerst begann der Widerstand bei Renault in Bursa mit 5.500 ArbeiterInnen. Die ArbeiterInnen der Spätsicht legten die Arbeit am 14. Mai nieder und weigerten sich, die Fabrik zu verlassen. Dem schlossen sich die ArbeiterInnen von der Nachtschicht mit Aktionen vor dem Betriebstor an, sodass die gesamte Belegschaft einheitlich auftreten konnte.

Wie ein Funke sprang der Streik danach auf die anderen Metallfabriken über. Einen Tag später, am 15. Mai, begannen auch die ArbeiterInnen bei der türkischen Autofabrik Tofaş einen Streik. Die 6.500 ArbeiterInnen bei Tofaş (ein Zulieferer von Fiat) kämpfen jetzt ebenso gegen das Unternehmen und „Türk Metal İş“. Am 16. Mai folgten die 2.000 ArbeiterInnen der Fabrik Çoşkunöz, welche Radiatoren produziert, und traten mit den selben Forderungen in den Streik und besetzten die Fabrik.

Die Regierung, die im Januar den Metallerstreik verboten hatte, versucht den Streik zu beschwichtigen, indem sie sich als VermittlerIn anbot. Doch auch das hinderte die ArbeiterInnen nicht daran, den Kampf fortzuführen. Am 18. Mai haben sich die ArbeiterInnen von Mako (1.000 ArbeiterInnen) in die Streikwelle eingereit. In den Fabriken Valeo (1.100 ArbeiterInnen) und Delphi begannen am selben Tag Arbeitsniederlungen und ArbeiterInnendemonstrationen. Am 20. Mai weitete sich der Streik auf die Ford-Fabrik mit 10.000 ArbeiterInnen in Kocaeli aus. Auch in weiteren Fabriken ist zu den ersten Arbeitsniederlegungen gekommen. Die Hyundai-Fabrik steht auch kurz davor, in den Streik zu treten. Das heißt, der gesamte Metallsektor steht vor der Stilllegung.

Die zentrale Frage des Kampfes: Was für eine Gewerkschaft?

Die Forderungen aus den verschiedenen Fabriken sind einheitlich:

  1. Die Löhne müssen nach dem Vorbild von Bosch erhöht werden.
  2. Die ArbeiterInnen wählen eine eigene Vertretung, die mit dem Arbeitergeberverband in Verhandlung tritt.
  3. Keine Kündigungen wegen dieses Streiks.

Gerade die zweite Forderung zielt auf die totale Entmachtung der offen reaktionären Gewerkschaft „Türk Metal Is“. JedeR zehnte gewerkschaftlich organisierte ArbeiterIn in der Türkei war bis jetzt bei „Türk Metal İş“ organisiert. Während „Türk Metal İş“ die Forderung der ArbeiterInnen nach Lohnerhöhung um zwei Lira pro Stunde überzogen findet, verdient der Vorsitzende von „Türk Metal İş“ monatlich 60.000 Lira. Schätzungsweise haben allein über 90% der Renault-ArbeiterInnen ihre Gewerkschaftsausweise von „Türk Metal İş“ zurückgegeben. Da die Gewerkschaft sich mit dem Arbeitergeber gegen die ArbeiterInnen stellt, verliert sie trotz der Gewalt und Drohungen gegen die ArbeiterInnen sehr schnell ihre Mitglieder.

„Türk Metal İş“ hat 170.000 Mitglieder. Sie wuchs erst richtig nach dem Militärputsch 1980 und kümmerte sich peinlich genau um das Anliegen der UnternehmerInnen. Demgegenüber zählt die linke Gewerkschaft „Birleşik Metal İş“ mit 20.000 Mitgliedern zu den kleineren Gewerkschaft im Sektor. Doch trotz der aktuellen Erfahrung mit der Gewerkschaft „Türk Metal İş“ kann „Birlesik Metal İş“ bisher nicht davon profitieren: Zum Einen gibt es eine allgemeine Skepsis gegenüber der Organisierung in Gewerkschaften, und zum anderen besitzt auch die linke Gewerkschaftsbürokratie der „Birleşik Metal İş“ eine klassenversöhnlerische Politik, die immer wieder bei der Opposition zu „Türk Metal Is“ ihre Grenzen zeigt. Dennoch wird „Birleşik Metal İş“ direkt vom Staat angegriffen. „Birlesik Metal Is“ hat versucht, im Januar einen kämpferischen Streik zu organisieren, welcher gleich vom Staat verboten wurde. Jetzt hat sie angekündigt, in den Betrieben Aktionen zur Solidarität zu organisieren.

Es gibt inzwischen in verschiedenen Fabriken selbstverwaltete Komitees, die bisher die Gespräche und den Streik leiten. So versuchen die schlagkräftigen Betriebe mit eigenen internen Organisationen ihre Forderungen durchzusetzen. In der aktuellen Vorwahl-Periode in der Türkei ist der Widerstand der ArbeiterInnen dabei eng mit der Frage verbunden, welche Gewerkschaft sie sich vorstellen. Die ArbeiterInnen handeln in dieser Zeit antibürokratisch und bauen eigene Organe in der Fabrik auf.

Aus den stalinistischen und reformistischen Linken wird die Antwort stärker, dass die ArbeiterInnen in die Gewerkschaft „Birleşik Metal İş“ gehen. Dabei ignorieren sie die Tatsache, dass die Gewerkschaftsbürokratie inzwischen bei ArbeiterInnen ein Schreckgespenst ist. Im Kern ist die Antwort eine andere bürokratische Antwort auf den Streik, da sie die Macht- und Kampforgane der ArbeiterInnen in den Fabriken einer anderen Gewerkschaftsbürokratie unterwerfen wollen.

Derzeit ist die Jugend in der Türkei, die in den letzten zwei Jahren Kämpfe wie in der Gezi-Bewegung durchgemacht hat, weit von diesem Kampf entfernt. Eine große Herausforderung bleibt, die Jugend für diesen Kampf zu gewinnen. Die Perspektiven dabei sind vielfältig: Der Kampf um höhere Löhne im Metallsektor bringt auch eine allgemeine Lebensverbesserung und die Aussicht auf die Erhöhung des Mindestlohnes mit sich. Die Ansätze der ArbeiterInnendemokratie, Fabriken zu besetzen und in den Streik einzutreten, können Keinformen für unabhängige Organe der ArbeiterInnen sein. Außerdem verteidigen sie sich aktuell sehr diszipliniert gegen Staat, Unternehmen und Gewerkschaftsbürokratie und ihre Schlägertrupps in Uniform und ohne Uniform. Diese Erfahrungen können auch sehr schnell auf die Universitäten, Schulen und weitere Teile der Gesellschaft ausgeweitet werden.

Die mögliche autonome betriebliche Organisierung im Metallsektor ist eine große Chance – vorausgesetzt, sie verfallen nicht der Gefahr, nur die privilegierten Teile zu organisieren. Doch trotz aller Gefahren schufen die ArbeiterInnen hier in Kürze eigene Organe und warfen die bürokratische „Türk Metal İş“ aus ihren eigenen Fabriken hinaus.

Die entscheidende Frage bleibt, ob „Birleşik Metal İş“ sich fähig zeigt, einen konstitutiven Gründungskongress mit ihren eigenen Mitgliedern und mit derzeit streikenden ArbeiterInnen einzuberufen, wo die internen Strukturen der Fabriken aufrecht bleiben und ausgebaut werden, die antibürokratischen Ansätze der Fabrikkomitees auf die Gewerkschaft ausgeweitet werden (Lohnbeschränkung für FunktionärInnen und jederzeitige Abwählbarkeit) und eine kämpferische Gewerkschaft für den gesamten Metallsektor aufgebaut wird.

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