Auf dem Weg in die Rezession

30.09.2012, Lesezeit 7 Min.
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Es schien bislang zum Allgemeinwissen zu gehören, dass die Eurokrise zwar politische, aber kaum wirtschaftliche Auswirkungen auf Deutschland haben würde. Doch dass das nur ein Mythos ist, zeigt sich immer deutlicher.

Denn die deutschen Profite sind durch die Weltwirtschaftskrise mit Epizentrum im Euroraum zunehmend gefährdet. Dies zeigt sich nicht nur in der düsteren Zukunftsaussicht für die deutsche Wirtschaft, falls der Euro (oder gar die EU) zerbrechen würde (auch wenn die PopulistInnen von CSU und FDP uns anderes weismachen wollen). Nein, schon heute befindet sich Deutschland laut der OECD auf dem direkten Weg in die wirtschaftliche Rezession[1].

Dies liegt vor allem am Einbruch der Exporte in die südeuropäischen Länder, die bisher am stärksten von der Krise (und damit von den von deutscher Seite geforderten Sparauflagen) betroffen sind. Denn die EU und speziell der Euroraum sind trotz Rückgang immer noch der größte Absatzmarkt für deutsche Exportwaren[2]. So mussten die Maschinen- und Anlagenbauer im Juli zum neunten Mal hintereinander ein Auftragsminus zum Vorjahr hinnehmen; und wenn auch die deutsche Industrie als Ganze mit +0,1% (davon +1,0% Binnen- und +0,1% Auslandsnachfrage) zumindest einen leicht positiven Auftragstrend von Juni auf Juli 2012 verzeichnen konnte, fielen die Exportaufträge nach einer Umfrage des Markit-Instituts unter 500 Firmen im August so stark wie seit drei Jahren nicht mehr[3]. Daran kann auch der Fakt nichts ändern, dass die deutsche Industrie eine bemerkenswerte geographische Umorientierung ihres Exports in Richtung der BRICS-Staaten versucht.

Krise der Autoindustrie

Die Auto- und Maschinenbauindustrie spielt für die deutsche Wirtschaft eine herausragende Rolle, und daher ist die Krise dieses Industriezweigs auf deutscher (und auch europäischer) Ebene von großer Signalwirkung: Ein DIW-Wochenbericht vom August 2012 zeigte zwar einerseits, wie dieser Wirtschaftszweig seine Exporte nach Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika massiv ausbauen und somit den Einbruch der Exporte nach Südeuropa abfedern konnte: Während 60% (bzw. 47%) der Pkw-Exporte weiterhin nach Europa (bzw. die Eurozone) gingen, gelang es der Autoindustrie, den Anteil der Pkw, die in die BRICS-Staaten exportiert wurden, um 30% zu steigern (mit China als klarem Spitzenreiter), während der Absatz nach Südeuropa von 22% auf 14% fiel[4]. Andererseits jedoch weisen große infrastrukturelle Hindernisse dieser Länder die deutschen Expansionsversuche in ihre Grenzen. Denn diese Länder – vor allem China – sind erstens selbst stark exportabhängig und daher selbst von der Weltwirtschaftskrise betroffen, und zweitens wächst ihr Binnenmarkt viel zu langsam, um die Ansprüche der deutschen Exportindustrie langfristig befriedigen zu können.

Und so macht sich ein strukturelles Problem der deutschen (und weltweiten) Industrie bemerkbar: Insbesondere die langfristige Konsumgüterindustrie und die Maschinenbauindustrie leidet an einer strukturellen Überproduktion auf der Grundlage einer strukturellen Überakkumulation von Kapital, die auch der Hauptgrund der Finanzmarktkrise seit 2007/8 ist. Das heißt, die Industrie ist hochproduktiv und kann z.B. hunderttausende Autos jährlich herstellen, die aber keinen Absatzmarkt finden und somit nicht in Profit umgewandelt werden können. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die deutsche Autoindustrie in einer tiefen Krise befindet, die durch die „Abwrackprämie“ der Großen Koalition 2009 nur aufgeschoben werden konnte und heute in der Krise von Opel, durch die zehntausende ArbeiterInnen von Kurzarbeit oder sogar von Massenentlassungen durch die Werksschließung in Bochum bedroht sind, ihren tiefsten Ausdruck hat. Dass sich diese Überproduktionskrise nicht nur auf Deutschland beschränkt, zeigen auch Fiat in Italien und vor allem Peugeot/PSA in Frankreich, wo die Schließung des Werkes in Aulnay bei Paris ein Ausdruck der tiefsten Krise der französischen Autoindustrie seit dem Zweiten Weltkrieg ist[5].

Insgesamt befindet sich die deutsche Industrie vor einem strukturellen Problem der Absatzmärkte, verschärft durch die Krise in den südeuropäischen Ländern, und muss seine Exportstrategie überdenken. So findet eine immer stärkere Umorientierung nach Osten, insbesondere Osteuropa, Russland und China statt[6], doch die geringe Binnennachfrage dieser Länder stellt die Profite der deutschen Industriebosse mittelfristig in Frage. Dies ist auch ein Grund, warum der bisherige harte Kurs der Umstrukturierung der Eurozone durch Angela Merkel von immer größeren Teilen der herrschenden Klasse Deutschlands kritisiert wird, die sich davor fürchten, dass der harte Sparkurs zum Zusammenbruch der Eurozone führen könnte, denn eine Alternative zum Euro und zur EU, welche ähnliche Profite bescheren könnte, ist nicht in Sicht.

Auswirkungen auf die Lohnabhängigen

Während sich nun zu zeigen beginnt, dass die Krise die Profite der deutschen herrschenden Klasse zu schmälern beginnt, wird es natürlich nicht diese Klasse sein, die die Einbußen ausbaden soll. Stattdessen sollen die Kosten der Krise auf die ArbeiterInnen abgeladen werden – vor allem in Südeuropa, aber immer mehr auch in Deutschland. In 16 der 27 EU-Länder sinken die Reallöhne im Gefolge der Wirtschaftskrise, schätzt das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung[7]. Schon seit Jahren schreitet die Prekarisierung weiter Teile der ArbeiterInnenklasse voran[8], und auch die Arbeitslosenzahlen steigen wieder an. Dies ist insbesondere durch die Häufung von Massenentlassungen, sowohl im hochindustriellen Bereich wie bei Opel oder bei Siemens[9] zu befürchten, als auch im prekären Niedriglohnsektor, wie bei Schlecker, wo nach der Insolvenz immer noch über 15.000 ehemalige Beschäftigte arbeitslos sind[10]. Ein weiteres Resultat ist die jüngst selbst von Arbeitsministerin von der Leyen konstatierte steigende Altersarmut, von der nach aktuellem Stand mehr als ein Drittel der Bevölkerung betroffen sein könnte[11].

Dies alles zeigt, dass die Antworten, die die herrschende Klasse in Deutschland und europaweit auf die Krise haben, für die lohnabhängigen Massen nichts als Misere bedeuten. Um das Beispiel der Autoindustrie wieder aufzugreifen: Obwohl sich die Beschäftigtenzahl in der europäischen Autoindustrie seit 1980 halbiert hat[12], konnte das die strukturellen Probleme der Industrie nicht lösen. Wenn also die Herrschenden wieder nur Entlassungen als „Weg aus der Krise“ anzubieten haben, müssen wir, ArbeiterInnen und Jugendliche, die Enteignung der Fabriken und die Verstaatlichung der Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle fordern – der einzige Weg zur Rationalisierung der Produktion, der nicht auf Kosten der ArbeiterInnen und ihrer Familien geht. Ein solches Programm der Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle müsste mindestens die Öffnung der Geschäftsbücher, eine gleitende Skala der Arbeitszeit (also die Aufteilung der vorhandenen Arbeit auf alle Schultern bei vollem Lohnausgleich), eine Abnahme- und Investitionsgarantie seitens des Staates, die demokratische Planung und Kontrolle aller Abläufe in den Fabriken (seien sie in der Produktion oder der Verwaltung angesiedelt) mittels regelmäßiger Versammlungen aller ArbeiterInnen in und außerhalb der Gewerkschaft, sowie die Rotation und jederzeitige Abwählbarkeit der Delegierten beinhalten.

Im Kleinen zeigte die Keramikfabrik Zanon in Argentinien[13] wie eine solche demokratische Kontrolle der Produktion aussehen kann. Da jedoch Inseln der demokratischen Planwirtschaft im kapitalistischen Meer nicht existieren können, ist der Aufbau einer revolutionären Partei nötig, die diese Erfahrungen über die einzelne Fabrik ausdehnt und im Kampf für eine sozialistische Revolution verallgemeinert.

Fußnoten

[1]. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/konjunktur/oecd-deutschland-rutscht-in-die-rezession-11881164.html.

[2]. http://www.welt.de/wirtschaft/article106403531/Deutscher-Export-in-Euro-Krisenlaender-bricht-ein.html.

[3]. Vgl. FAZ: OECD.

[4]. DIW Wochenbericht Nr 34. 2012

[5]. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/entlassungen-bei-peugeot-flaechenbrand-in-europas-autoindustrie-11818061.html.

[6]. Zu diesen Tendenzen vgl. den Artikel: „In welcher Etappe der Eurokrise befinden wir uns?“ in Klasse gegen Klasse Nr. 3. https://www.klassegegenklasse.org/in-welcher-etappe-der-eurokrise-befinden-wir-uns/.

[7]. Vgl. FAZ: OECD.

[8]. Zu Prekarisierung siehe den Artikel auf S. 10 in dieser Ausgabe.

[9]. http://www.jungewelt.de/2012/08-22/056.php.

[10]. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/insolvente-drogeriekette-15-000-schlecker-frauen-suchen-noch-arbeit-11880142.html.

[11]. http://www.morgenpost.de/printarchiv/titelseite/article108934877/Von-der-Leyen-Altersarmut-droht-schon-bei-2500-brutto.html.

[12]. Vgl. FAZ: Entlassungen.

[13]. Broschüre: Zanon gehört den ArbeiterInnen!

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