Arbeiterinnen vs. reichster Mann der Welt

13.04.2010, Lesezeit 7 Min.
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// Ein fünfwöchiger Streik bei Kraft Foods Argentina endet mit einem Teilsieg der ArbeiterInnen //

Berühmt-berüchtigt ist die Aussage des Mulitmilliardärs Warren Buffet: „Es gibt einen Klassenkrieg (…) doch es ist meine Klasse, die reiche Klasse, die diesen Krieg führt, und wir gewinnen.“ Aber selbst ein Warren Buffet muss ab und zu Niederlagen einstecken. Der reichste Mann der Welt konnte sich gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter der Lebensmittelfabrik Kraft-Terrabussi in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires nicht durchsetzen. Buffet ist wichtigster Aktionär des weltweit zweitgrößten Lebensmittelkonzerns Kraft Foods, der im Jahr 2000 das argentinische Unternehmen Terrabusi schluckte.

Die argentinische Lebensmittelbranche – in der bis zu 70% der Beschäftigten Frauen sind – galt lange Zeit als wenig konfliktbereit. Besonders während der 90er Jahre begegnete die Führung der zuständigen Gewerkschaft STIA (unter dem Vorsitzenden Rodolfo Daer) der Privatisierungs- und Flexibilisierungspolitik der Regierung Carlos Menem eher durch gemeinsames Stillhalten denn durch gemeinsamen Widerstand.

Dieses Bild hat sich innerhalb des vergangenen Jahres gewandelt: Seit Monaten kommt es in verschiedenen Fabriken des Landes zu Streiks – trotz eines unverändert passiven Kurses des Gewerkschaftsvorstandes. Erst Ende März blockierten 100 ArbeiterInnen die Panamericana-Fernstraße im Norden von Buenos Aires. Sie signalisierten ihrer Gewerkschaftsführung unmissverständlich, sich in der laufenden Tarifrunde nicht mit weniger als 35 Prozent Lohnerhöhungen zufriedenzugeben. Aufgrund von Inflationsraten von über 15 Prozent im vergangenen Jahr sind viele Löhne trotz nominaler Steigerungen real gefallen.

Spontanstreiks und Basisarbeit

Auslöser für die 180-Grad-Wendung war ein Konflikt um Hygienebestimmungen in der Lebensmittelfabrik von Kraft-Terrabusi im Juli vergangenen Jahres. In einer Betriebsversammlung hatten Teile der insgesamt 2.700 Beschäftigten bessere Vorsorgemaßnahmen gegen die in Argentinien grassierende Schweinegrippe gefordert – gerade weil es im Werk eine Kinderkrippe gibt. Doch die Geschäftsführung antwortete, dass es Hygienemaßnahmen erst dann geben würde, „wenn es in der Fabrik schon Tote gibt“.

Einige Wochen später erhielten 158 an der Aktion beteiligte ArbeiterInnen die Kündigung. Darunter auch die Betriebsratsmitglieder, die einen besonderen Kündigungsschutz genießen und von linken Basisgruppen außerhalb der Lebensmittelgewerkschaft STIA gestellt werden. Die ArbeiterInnen hätten, so die Begründung der Unternehmensführung, leitende Angestellte in ihrer Arbeit behindert und für mehrere Stunden in ihren Büros festgehalten.

Von den Entlassungen waren alle Strömungen in der Fabrik betroffen: AktivistInnen der maoistischen Revolutionären Kommunistischen Partei (PCR, die den Betriebsrat stellte), der klassenkämpferischen, trotzkistisch orientierten Basisgruppe „Desde Abajo“ („von Unten“) und selbst von Daers Gewerkschaftsbürokratie sollten gleichermaßen auf die Straße gesetzt werden. Sofort nachdem die Kündigungen bekannt wurden, folgten spontane Arbeitsniederlegungen und Proteste. Um ihre Wiedereinstellung zu erreichen, besetzten die ArbeiterInnen schließlich die Fabrik.

In den vergangenen Jahren haben sich beim US-Multi wie auch bei vielen anderen Unternehmen in Argentinien vermehrt linke Betriebsgruppen gebildet, die sich dem passiven Kurs der Gewerkschaft widersetzten. Besonders die konservative Presse zeigt sich über die Aktivitäten der „BasisgewerkschafterInnen“ (sindicalistas de Base) besorgt. Im Juni 2009 hieß es etwa in der Tageszeitung El Cronista: „Es wächst eine gewisse Rebellion in der Arbeitswelt, die von den Gewerkschaften und ihren Führungen nicht explizit unterstützt und schon gar nicht kontrolliert wird.“ Dieser Artikel sah das Problem bei einer zunehmenden Rolle der Basisdelegierten in den Fabriken und eine Infragestellung der bürokratischen Strukturen der Gewerkschaften.

Oscar Coria, der zu den Gefeuerten bei Kraft gehört, erklärte, wie die Basisgruppe „von Unten“ regelmäßig nach dem Ende der Nachschicht Grillfeste und Fußballspiele organisierte, um politische Gespräche mit KollegInnen zu führen. Ab 2007 fanden regelmäßig Versammlungen in der Nähe des Werks mit bis zu 200 ArbeiterInnen statt. Die AktivistInnen vernetzten sich mit GewerkschafterInnen von der benachbarten Lebensmittelfabrik Pepsico, der U-Bahn von Buenos Aires oder der besetzten Keramikfabrik Zanon, um von deren Erfahrungen zu lernen. „Ich bin kein Genie“, sagt Oscar. „Das mit den Fußballspielen habe ich von den Leuten bei Zanon kopiert.“

USA besorgt

Für die Regierung um Cristina Fernández de Kirchner entwickelte sich der Konflikt zum ernsthaften Problem. Keine der von Arbeitsminister Carlos Tomada einberufenen Gesprächsrunden konnte zu einer Annäherung der Parteien führen. Als der Streik sich immer mehr ausweitete, intervenierte die US-Botschaft in Argentinien, um die „Respektierung des Rechtes auf Privateigentum“ zu fordern!

Nach fünf Wochen, am 25. September, wurde die Fabrik schließlich geräumt: Die Polizei rückte mit Pferden, Schlagstöcken, und Tränengas an, 100 Menschen, darunter 36 ArbeiterInnen, wurden festgenommen. „Diese Bilder waren den ganzen Tag in den Nachrichten, denn sie erinnern die Leute sehr stark an die Militärdiktatur oder an die Repression von 2001“ erklärte Julio Rovelli, ein Student, der die Proteste unterstützte. Die Regierung hatte ihre Menschenrechtsbeauftragte die Räumung begleiten lassen, was die Repression nicht viel angenehmer machte.

Nicht zuletzt aufgrund der großen Solidarität innerhalb und außerhalb der Fabrik endete der Konflikt am 16. Oktober zumindest mit einem Teilsieg. Der Betriebsrat unterschrieb eine Vereinbarung (ohne die Zustimmung der Basis!): 106 Gefeuerte konnten wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, 53 KollegInnen mussten allerdings draußen bleiben.

Viele bei Kraft-Terrabusi waren jedoch der Meinung, dass aus dem Konflikt mehr herauszuholen gewesen wäre. Die Betriebsratsmitglieder bekamen die Quittung für ihre Unterschrift am 3. November, als die Gruppe „von Unten“ überraschend die Betriebsratswahlen gewann und die maoistische PCR nach 16 Jahren ablöste. Die Gewerkschaft STIA bekam weniger als 10% der Stimmen. Später wurde der Streikführer und der neue Betriebsratsvorsitzende, Javier „Pauke“ Hermosilla, von der Zeitschrift „Veintitres“ zu einer der „Persönlichkeiten des Jahres“ in Argentinien ernannt.

Während des Kampfes haben Studierende der Universität von Buenos Aires (UBA) mehrmals Straßen im Stadtzentrum blockiert und auch an den Blockaden der Autobahn neben der Fabrik teilgenommen. „Wir mussten jeden Morgen um vier aufstehen, um rechtzeitig an der panamerikanischen Autobahn zu sein“ erzählte Julio. Zudem haben SchülerInnen eine berühmte Quizshow im Fernsehen gestört und ein Transparent gegen die Entlassungen hochgehalten. Der Konflikt in der Fabrik wurde – vor allem nach der Intervention der US-Botschaft – zu einem politischen Ereignis von landesweiter Bedeutung. Jetzt laufen die Tarifkämpfe, aber auch Gerichtsverfahren gegen Hermosilla und auch studentische AktivistInnen wegen „Störung des Straßenverkehrs“ weiter.

Dieser Teilsieg gegen den multinationalen Konzern wäre ohne die jahrelange Basisarbeit von der Gruppe „von Unten“ und der trotzkistischen Partei PTS nicht möglich gewesen. Über seine Motivation für sein fast zehnjähriges Engagement unter den ArbeiterInnen von Terrabusi reflektiert Oscar: „Wenn wir einen mächtigen Gegner haben und nur eine Kugel in unserer Pistole, dann müssen wir aufs Herz zielen. Und das Herz der argentinischen Bourgeoisie liegt im Industriegürtel im Norden von Buenos Aires.“

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