Alle Räder stehen still…

15.01.2015, Lesezeit 5 Min.
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// STREIKRECHT: Der Streik der GDL ist ein Kräftemessen um das Streikrecht überhaupt, sein Ausgang betrifft die ganze ArbeiterInnenklasse. //

Anfang November erlebte Deutschland den längsten Streik der Bahngeschichte: 75 Stunden Streik im Gütervekehr, 64 Stunden im Personenverkehr. Die BILD schäumte vor Wut auf die „Bahnsinnigen“, fast die gesamte bürgerliche Presse lechzte nach dem Blut des Chefs der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky.

Im Streik geht es um Arbeitsbe­dingungen und -zeiten, um Löhne, aber vor allem auch um die Organisierungsfreiheit der Spartengewerkschaft GDL, die ihr sowohl von der Bahn als auch von Führungen der DGB-Gewerkschaften abgesprochen wird. Noch Anfang November scheiterte die Bahn mit einer Klage gegen die „Verhältnismäßigkeit“ des Streiks.

Deshalb ist der Bahnstreik zum Kampfsymbol für das Recht auf Streik geworden. Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und Arbeitsministerin Nahles (SPD) verabschiedeten als „Konsequenz“ im Kabinett ein arbeiterInnenfeindliches „Tarif­einheits“-Gesetz, das Minderheitsgewerkschaften die Tariffähigkeit nehmen soll.

Mitte Dezember sprach GDL-Chef Weselsky von einem „Durchbruch“ in den Verhandlungen für das Jahr 2014, zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses wird noch verhandelt. Weitere Streiks nach der Winterpause sind möglich. In jedem Fall wird der Ausgang des Kampfes mit über die Kräfteverhältnisse in Sachen Streikrecht entscheiden.

Spartengewerkschaften

Dass die Frage des Streikrechts ausgerechnet am Bahnstreik ausgetragen wird, ist kein Zufall. Die Standortvorteile des deutschen Kapitals sind unmittelbar an eine günstige Infrastruktur gebunden. Und gerade in den Sektoren Bahn und Flughafen haben sich starke „Spartengewerkschaften“ etabliert, wie Cockpit oder GDL. Sie sind nicht weniger bürokratisch bestimmt als die DGB-Gewerkschaften: Die Autokratie-Vorwürfe gegenüber ihrem Chef Weselsky sind nicht aus der Luft gegriffen, Streikdemokratie ist Fehlanzeige. Aber Weselsky und Co. werden durch ihre besondere Position in eine „kämpferische“, das heißt streikfreudige, Haltung gezwungen. Ihre Berufsverbände haben nicht den Luxus kampfloser Branchentarifbindung, von der Riesen wie IG BCE oder IG Metall noch immer zehren, sondern müssen sich ständig vor den Mitgliedern in ihrer Kampfbereitschaft beweisen – mit Streiks.

Die Spartengewerkschaften ziehen mit dieser Streikfreudigkeit, die sich der kampflosen „Einheit“ einer brotlosen Sozial­partnerschaft nicht unterwerfen kann, den Zorn einer „ertappten“ DGB-Bürokratie auf sich. Dabei halten sie dieser nur den Spiegel des eigenen Versagens vor.

Abnehmende Tarifbindung und Zersplitterung der Tariflandschaft sind Ergebnisse der durch die Bürokratie über Jahrzehnte gehegten Zurückhaltung im Streik, der Hinnahme und Unterstützung von Hartz IV und Zeitarbeitsfirmen. Die großen Industriegewerkschaften IG BCE und IG Metall, jetzt größte Fürsprecherinnen der „Tarifeinheit“, haben den ArbeiterInnen das Streiken fast ganz ausgetrieben. Die EVG-Vorgängerin im DGB, Transnet, führte 2007 eine Anti-Streik-Kampagne gegen die Konkurrentin GDL durch, die ihr jetzt nach den LokführerInnen auch das Boardpersonal abspenstig macht. Nun wollen besonders diese drei Mitglieds­gewerkschaften die störende Konkurrenz faktisch gesetzlich verbieten lassen.

„Sozialpartnerschaft“

Die Gewerkschaftsbürokratien des DGB befinden sich hier in einem Widerspruch, weil sie den Status Quo der Sozialpartnerschaft erhalten wollen, deren materielle Grundlagen aber bröckeln. Erst beim neunmonatigen Streik um Neupack erlebten wir eine IG BCE, die unbedingt Sozialpartnerin sein wollte, aber der Boss spielte einfach nicht mit. Bei der Schließung von Opel Bochum kapitulierte die IG Metall vollends vor der „Standort­logik“ und gab einen Standort preis, um einen anderen zu „sichern“. Es schimmert an immer mehr Orten durch, dass diese „Partnerschaft“ verrottet ist und endlich begraben werden sollte – das geht aber nur gegen die Bürokratie.

Anders als die Bourgeoisie wollen die BürokratInnen die Klassenverhältnisse nicht neu verhandeln, sondern bis zum Ende verwalten. Die Erosion der Grundlage der „Sozialpartnerschaft“ bekommen jene Gewerkschaften am stärksten zu spüren, die viele prekäre und zersplitterte Belegschaften organisieren, vor allem ver.di, die sich mit NGG und GEW vorsichtig gegen die „Tarifeinheit“ positioniert. Aber nur eine klassenkämpferische und antibürokratische Strömung in den bestehenden Gewerkschaften kann von der Verwaltung des Elends zum Gegenangriff übergehen.

Die Bürgerlichen wollen „politische“ von „ökonomischen“ Streiks trennen, nur um diese Trennung dann mit juristischen Repressalien durchzusetzen. Doch jeder Streik ist ein Kräftemessen der Klassen und hat schon deshalb eine politische Qualität. Besonders gewinnt aber ein Streik an politischer Bedeutung, wenn sein Ausgang das Verhältnis der Klassen für eine längere Zeit mit prägt – wie im Bahnsektor. Wenn die Tarifautonomie fällt, wird es Zwangsschlichtungen geben. Der bürgerliche Staat wird dann die „Verhältnismäßigkeit“ von Kämpfen prüfen, die sich gegen seine Klasse richtet.

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