Alle Macht an Pablo Iglesias

18.12.2014, Lesezeit 8 Min.
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Es war keine Überraschung: Pablo Iglesias ist der Generalsekretär von Podemos. Als Anführer der Organisation, die in nur zehn Monaten das diskreditierte spanische Zweiparteiensystem in Frage stellen konnte, gewann er die Online-Abstimmung über die Parteiführung mit mehr als 95.000 Stimmen. KeineR der anderen KandidatInnen überschritt die Anzahl von tausend Stimmen. Auch der Rest der Posten ging an die KandidatInnen von Iglesias.

Podemos verkündete und feierte dieses Ergebnis am 15. November mit Verbündeten und speziellen Gästen wie Ada Colau (Guanyem), Yolanda Díaz (IU) oder Joan Herrera (ICV). Es waren auch Persönlichkeiten der „europäischen Linken“ anwesend, wie Jean-Luc-Mélenchon, Vizepräsident der Linkspartei aus Frankreich, Marisa Matías, Europa-Abgeordnete für den Linksblock aus Portugal, und Alexis Tsipras, Anführer von SYRIZA aus Griechenland.

Auf Twitter teilten Tausende ihre Ergriffenheit mit dem Hashtag #nacepodemos (Podemos wird geboren). Es bleibt unklar, was für sie also Podemos vor dieser „Geburt“ war. Klar ist jedoch, dass sie damit zwei Monate von „BürgerInnenversammlungen“ für beendet erklärten, während derer Iglesias und sein engster Kreis ihre politische Strategie, ihre Organisationsform, ihre ethischen Prinzipien und letzen Endes auch ihre Führung auf allen Ebenen durchdrücken konnten.

Denn Pablo Iglesias wurde nicht nur Generalsekretär. Er bekam auch alle Sitze der Parteileitung, vom „BürgerInnenrat“ (Podemos‘ „Zentralkomitee“) bis zur Wahlkommission. Nach Iglesias waren es die wichtigsten Figuren seines „harten Kerns“, die die meisten Stimmen bekamen: Íñigo Errejón, Carolina Bescansa, Juan Carlos Monedero, die Europa-Abgeordnete Tania González und Luis Alegre. Und diese Liste führt bis zum 62. Platz im BürgerInnenrat, die alle Teil der „vollständigen Liste“ von Iglesias waren, obwohl er dafür von zahlreichen Basiszirkeln kritisiert wurde. Eine aussagekräftige Zahl: Zwischen dem 62. und dem 63. Kandidaten gab es nicht weniger als 69.794 Stimmen Unterschied.

Die TeilnehmerInnenzahl bei den Wahlen erreichte trotz der Bequemlichkeit der Internet-Abstimmung, die jedem und jeder Eingeschriebenen in Podemos die Teilnahme an den Wahlen von zu Hause eine ganze Woche lang ermöglichte, nicht einmal 50 Prozent. Es wählten 107.000 Personen, 42 Prozent der insgesamt 251.000 Eingeschriebenen. Damit war die absolute Teilnahme nichtsdestotrotz hoch, was dem Führungsteam eine breite Legitimität gab. Podemos ist die Partei von Pablo Iglesias, daran gibt es keine Zweifel mehr.

Die Schlüssel der politischen Kontrolle von Iglesias, um sich die gesamte Macht in Podemos zu sichern

Podemos‘ Aufstieg lässt sich durch die großen Illusionen erklären, die es in einem breiten Teil der Bevölkerung erweckte. Diese Illusionen wachsen direkt proportional zu dem Überdruss mit der wirtschaftlichen und sozialen Krise und dem Fortschreiten des Zerfalls des Regimes und seiner Parteien, die der Schande der Korruption ausgeliefert sind.

Aber eine Führung etabliert sich nicht im Gebiet der Illusionen, sondern in der Politik – und manchmal im Manöver. Zwei Elemente bildeten die Schlüssel, mit denen Iglesias sich die gesamte Macht in Podemos sichern konnte: die Kontrolle der Spielregeln und die Presse.

Auf der einen Seite behielt Iglesias von Beginn an die absolute Kontrolle über die Organisierung der BürgerInnenversammlung von Podemos, dem Gründungskongress. Dies tat er mittels des „technischen Teams“, das er selbst im Juni vorschlug und das von niemandem ernsthaft in Frage gestellt wurde.

Dieses „Team“ schlug den Rhythmus des Gründungsprozesses, der für viele wahnsinnig schien, sowie den Mechanismus der Präsentation von Listen, KandidatInnen und so weiter vor. Eine Führung, die de facto durch eine plebiszitäre Wahlmethode geschlossener Listen gewählt wurde, ohne ein grundlegendes demokratisches Element wie die Proportionalität, durch eine Online-Plattform, die nicht zwischen „AktivistInnen“ und „Eingeschriebenen“ im Allgemeinen unterschied. Seitdem setzte sich diese Methode zum Kern der neuen Politik von Podemos durch.

Mit dem Lauf der Zeit wurde diese plebiszitäre Methode immer mehr von dem Basisaktivismus innerhalb von Podemos, und sogar von GründerInnen und Europa-Abgeordneten, in Frage gestellt. Unter letzteren kritisierten die Europa-Abgeordneten Pablo Echenique, Teresa Rodríguez und Lola Sánchez am offensten die organisatorischen Vorschläge von Iglesias. Doch diese Kritik war nicht auf seine politischen Inhalte gerichtet. Bis heute haben alle daran festgehalten, dass Iglesias der bestmögliche Generalsekretär ist.

Für die Wahl der Führung konnte sich Teresa Rodríguez aufgrund des Verbots der „Doppelten Mitgliedschaft“ in den Führungsorganen von Podemos nicht aufstellen lassen, das von Iglesias vorgeschlagen und vom Gründungskongress angenommen wurde. Rodríguez ist Mitglied von Izquierda Anticapitalista (IA, Spanische Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale), die eine zentrale Rolle im Aufbau von Podemos der letzten zehn Monaten gespielt hat. Eine längst vergangene Zeit, in der Podemos „alle Sensibilitäten“ zu akzeptieren schien. Aber das war eben nur ein Schein.

Echenique präsentierte eine Liste aus 20 Köpfen, auf eine edle Geste Iglesias hoffend, dass dieser keine komplette Liste aufstellen wurde. Dies geschah nicht und Echenique verwarf seine Liste, indem er eine sehr kritische Erklärung herausgab, in der er das von Iglesias und den Seinigen durchgesetzte Wahlsystem verurteilte.

So ließ Iglesias den sichtbarsten der kritischen Sektoren verschwinden, was sich bildhaft in seinem Antrittsakt ausdrückte. Weder Echenique, Sánchez, noch Rodríguez wurden auf die Bühne eingeladen und mussten das Spektakel von der Tribüne verfolgen.

Doch die Führung von Podemos ist erst dann komplett, wenn der Wahlprozess der Regionalleitungen beendet ist. Zu den 62 Mitgliedern des BürgerInnenrats gesellen sich 17 GeneralsekretärInnen der autonomen Regionen und ein weiterer, der aus dem Ausland gewählt wird. Echenique kann sich für seine Region, Aragón, präsentieren. Im Fall von Rodríguez, die aus Andalusien stammt, ist es etwas komplizierter. Auch wenn in den letzten Wochen ans Licht kam, dass die Führung von IA bereit ist, ihre Partei aufzulösen, damit Rodríguez und andere Mitglieder zu den Wahlen antreten können, ist sie noch Mitglied von IA.

Das zweite Element, das die Macht von Iglesias sicherte und genauso grundlegend wie das erste ist – oder vielleicht sogar mehr – war die Presse, besonders das Fernsehen. Die unablässigen Auftritte in Talkshows, TV-Debatten und der Print-Presse gaben dem Anführer von Podemos und seinen engsten Verbündeten eine unerreichbare mediale Präsenz. Eine Maschinerie, die keiner weiteren Erklärung bedarf.

Hier liegt der Schlüssel zum Erfolg von Iglesias. Ein Artikel, der auf eldiario.es veröffentlicht wurde, gibt eine gute Synthese: „Die Wahlen waren legitim, aber der mediale Faktor und die Blockabstimmungen nahmen die Resultate vorweg, bevor sie bekannt gegeben wurden“.

Vertikalismus, Videopolitik und die Gefahr der Anpssung

Zuerst führte Iglesias die Wahl eines Exekutivkomitees durch, das den etwas „freundlicheren“ Namen „Koordinierungsrat“ trägt und aus zehn Mitgliedern, ihm eingeschlossen, besetzt ist. Natürlich wurde die Liste von Iglesias (die seinen „harten Kern“ beinhaltet: Juan Carlos Monedero, Íñigo Errejón, Carolina Bescansa und Luis Alegre) einstimmig vom BürgerInnenrat angenommen.

Laut Iglesias werden die wichtigsten Entscheidungen von der BürgerInnenversammlung (dem Kongress) getroffen. Doch dieser findet nur alle drei Jahre statt, wodurch unweigerlich die Strategie und Taktik, das Programm und die Orientierung der Partei im BürgerInnenrat und besonders im Exekutivkomitee getroffen werden. Eine Art Leitungs-Matrjoschka, bei der die Macht sich in immer weniger Menschen vereint – in letzter Instanz im Generalsekretär selbst.

So konsolidiert sich Podemos als eine mediale und vertikale Partei, die auf der plebiszitären Verbindung zwischen dem Anführer und den unterschiedslosen WählerInnen basiert… abseits der sozialen Bewegungen.

Die zahlreichen Kritiken, die von den Zirkeln geäußert wurden – die einzige Organisationsform der Mitglieder, die Podemos hat – belästigten Iglesias kaum, der sich seines Sieges gewiss war. Die Antworten waren immer die gleichen: Effizienz gewinnen, die Teilnahme aller ermöglichen (nicht nur derer, die „Zeit haben“, aktiv zu sein) und vor allem „Vertrauen in Pablo“ zu haben.

Doch was sich als ein Akt der politischen List präsentiert, den Diskurs anzupassen und die Kommunikation „effizient“ zu gestalten, um an die Regierung zu kommen, ist in Wirklichkeit eine Anpassung an den Druck des selben politischen Regimes zur „medialen“ Form der „Video-Politik“. Oder anders gesagt, die Gründung von Parteien, die „Maschinen des Wahlkriegs“ sind – wie es Íñigo Errejón so gerne sagt –, jedoch entfernt vom Klassenkampf stehen, und die der Möglichkeit der Überwindung des Kapitalismus skeptisch gegenüber stehen.

Podemos war auch vor dem Gründungskongress keine „linke“ Bewegung, doch sie beanspruchte für sich, mit der etablierten Ordnung zu brechen. Das Dramatische an diesem Fall ist, dass die junge Partei mit ihrer Anpassung Gefahr läuft, sich eben diesem Regime anzupassen – so sehr sie sich auch „gegen die Kaste“ äußert – und am Ende zur Wiederholung der von ihr bekämpften Mechanismen verdammt ist.

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